Zurückhaltende Beurteilung für bivalente COVID-19-Impfstoffe

  • Michael Simm
  • Studien – kurz & knapp
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Kernbotschaften

Die neueste Generation der mRNA-Impfstoffe gegen die Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 zeigt in Laborversuchen zweier verschiedener Arbeitsgruppen keine große Überlegenheit gegenüber den bislang genutzten monovalenten Impfstoffen. Als mögliche Ursache wird ein „Imprinting“-Phänomen diskutiert, woraus sich auch Konsequenzen für die Formulierung neuer Impfstoffe ergeben könnten.

Hintergrund

Im 3. Jahr der SARS-CoV-2-Pandemie ist eine neue Variante (Omikron) aufgetaucht, die zwar weniger gefährlich, aber deutlich ansteckender als frühere Virustypen ist. Sie trägt mehr als 30 Mutationen im Gen für das Spike-Protein, und mindestens die Hälfte dieser Mutationen liegen in der Domäne, mit dem das Virus an seinen Rezeptor bindet, und die das Hauptziel neutralisierender Antikörper ist. Aus Sorge, dass dadurch die Wirksamkeit existierender Vakzine zu stark sinken könnte, haben die Hersteller BioNTech-Pfizer und Moderna bivalente Impfstoffe auf den Markt gebracht, die jeweils zur Hälfte mRNA gegen den Wildtyp und gegen die neuen Omikron-Varianten BA.4/BA.5 enthalten.

Design

In 2 Briefen an die Fachzeitschrift New England Journal of Medicine berichten 2 unabhängige Forscherteams über die Fähigkeit der neuen bivalenten mRNA-Impfstoffe, nach mehreren monovalenten Impfungen eine humorale bzw. zelluläre Immunantwort gegen die Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 hervorzurufen. Dazu wurden Antikörper- und T-Zellen anhand ELISA bzw. interzellulären Zytokinen bestimmt (1) oder Neutralisierungsexperimente mit verschiedenen Pseudoviren an Serum-Proben durchgeführt (2).

Ergebnisse

  • Booster-Impfungen mit dem ursprünglichen monovalenten Impfstoff und mit dem neuen bivalenten Impfstoff führten beide zu einer präferentiellen Expansion von Antikörpern gegen das ursprüngliche Spike-Protein (WA1/2020).
  • Die Antikörpertiter gegen BA.5 vermehrten sich durch die monovalente Booster-Impfung von 184 auf 2829 (Faktor 15), durch die bivalente Booster-Impfung von 212 auf 3693 (Faktor 17).
  • Die zelluläre Immunantwort (median) gegen das BA.5-Spike-Protein nahm bei beiden Impfungen nur geringfügig zu:
    • CD8+-Zellen nach monovalentem Booster: Zunahme von 0,027 auf 0,048 %,
    • CD8+Zellen nach bivalentem Booster: Zunahme von 0,024 auf 0,046 %,
    • CD4+Zellen nach monovalentem Booster: Zunahme von 0,060 auf 0,130 %,
    • CD4+Zellen nach bivalentem Booster: Zunahme von 0,051 auf 0,072 %,
    • B-Zellen nach monovalentem Booster 0,079 % und nach bivalentem Booster 0,091 %.
  • Bei den Neutralisierungsexperimenten mit Pseudoviren ergaben sich bei keiner der verschiedenen SARS-CoV-2-Varianten ein signifikanter Unterschied in der humoralen Immunantwort zwischen Personen, die 4-mal einen monovalenten Impfstoff erhalten hatten, und jenen, die nach 3-maliger monovalenter Impfung einen bivalenten Booster bekommen hatten.

Klinische Bedeutung

Die jetzt auch „offiziell“ veröffentlichten Daten waren bereits im Oktober 2022 als PrePrints bekannt geworden und könnten die Impfstrategien angesichts neuer Virusvarianten beeinflussen. Beide Forschergruppen sehen ebenso wie der Kommentator Paul A. Offit (3) einen lediglich bescheidenen Nutzen durch die bivalente Booster-Impfung und machen dafür das Phänomen des „Imprinting“ verantwortlich: Da alle Empfänger eines bivalenten Impfstoffes zuvor bereits eine oder mehrere Impfungen erhalten hatten, reagierte das Immunsystem wahrscheinlich stärker auf die bereits bekannten Epitope und jene, die BA.4/BA.5 mit dem Wildtyp gemeinsam haben. Sollte (wieder) eine SARS-CoV-2-Variante auftauchen, die schwere Krankheitsverläufe auslöst, wird man dagegen eine spezifische Vakzine entwickeln müssen, rät Offit. Außerdem, fügt er hinzu, solle man nicht weiter versuchen, bei jungen gesunden Menschen all symptomatischen Infektionen zu verhindern, indem man sie mit mRNA von Stämmen impft, die wenige Monate später wieder verschwinden könnten.

Finanzierung: National Institutes of Health (NIH und Forschungsgelder des National Institute of Allergy and Infectious Diseases, Massachusetts Consortium for Pathogen Readiness, und des Ragon Institute.