Wie Stress die Frakturheilung beeinträchtigt

  • Dr. med.Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaften

Es gilt es als erwiesen, dass massive Stresserfahrungen und posttraumatische Belastungen die Wund- und Knochenheilung verzögern. Eine Studie von Ulmer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat nun die molekularen Mechanismen identifiziert, über die psychische Traumen und andere massive Stresserfahrungen die Heilung von Knochenbrüchen verzögern.

„Eine kontinuierliche Stressbelastung führt dazu, dass Immunzellen ein bestimmtes Enzym produzieren, das wiederum die Ausschüttung von Stresshormonen bewirkt, die die Knochenbildung hemmen“, so der Neurobiologe Professor Stefan Reber, der an der Ulmer Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie die Sektion für Molekulare Psychosomatik leitet und gemeinsam mit Professorin Melanie Haffner-Luntzer vom Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik die Studie koordiniert hat. Erschienen ist die Studie in der Fachzeitschrift „Nature Communications“.

Bei den Immunzellen handelt es sich um neutrophile Granulozyten. Starker Stress veranlasst diese Immunzellen dazu, das Enzym Tyrosinhydroxylase (TH) zu produzieren; dieses Enzym wiederum sorgt dafür, dass Katecholamine freigesetzt werden. Im Frakturhämatom wirken diese Stresshormone lokal auf die Zonen, in denen Knochenmaterial neu gebildet wird. Die Neubildung geschieht normalerweise, indem Knorpelzellen in Knochen umgebaut werden. „Durch den Einfluss der Stresshormone wird der Umbau von Knorpel- in Knochenzellen gehemmt. Die Knochenbildung und damit die Frakturheilung verlangsamt sich“, erklärt Dr. Miriam Tschaffon-Müller in einer Mitteilung der Universität Ulm. Die Wissenschaftlerin vom Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik gehört wie Elena Kempter, Doktorandin aus Rebers Sektion, zu den beiden Erstautorinnen der Studie. 

Mit zelltyp-spezifischen Knockout-Mäusen, bei denen einerseits die TH-Expression unterbunden und andererseits der Adrenorezeptor (AR) geblockt war, konnten die Forscher laut der Mitteilung den Nachweis für diesen stressinduzierten Wirkmechanismus auf molekulargenetischer Ebene erbringen. Die Knockout-Mäuse hätten keine stressbedingte Verzögerung der Knochenheilung gezeigt.

Im klinischen Teil der Studie wurden in Zusammenarbeit mit der Unfallchirurgischen Klinik und der Klinik für Psychosomatik Patientinnen und Patienten mit Sprunggelenksfraktur untersucht. „Das Ergebnis der klinischen Teilstudie zeigte: Wurde der Grad der psychischen Belastung durch Stress, traumatische Belastungen oder Depressionen als hoch eingeschätzt, war auch ein hoher Level an Tyrosinhydroxylase im Frakturhämatom zu finden und die Frakturheilung verlangsamt“, so Haffner-Luntzer. Erstaunlich laut der Mitteilung: Ausschlaggebend für diese messbaren Effekte war dabei die subjektive Einschätzung der Belastung und auch das Schmerzempfinden. 

Die Studie habe bereits eine gewisse praktische Relevanz, heißt es zudem. Schon jetzt könnten aus den Befunden Empfehlungen für die klinische Praxis abgeleitet werden. So könnte es ratsam sein, bei der Behandlung von Patienten mit Knochenbrüchen und anderen massiven Verletzungen die persönliche Stresshistorie zu berücksichtigen.

Die Studien-Ergebnisse deuten den Autoren zufolge darauf hin, dass die Blockierung der Einwanderung von TH-positiven myeloischen Zellen/Neutrophilen in das Frakturhämatom oder deren lokale Freisetzung von Katecholaminen eine vielversprechende zukünftige Strategie zur Förderung der Frakturheilung bei Patienten mit dem Risiko für psychosomatische Störungen sei. Insbesondere die kurzfristige Blockade der β2-AR-Signalübertragung könnte nützlich sein, da mehrere spezifische und unspezifische β2-AR-Blocker mit unterschiedlichen Eigenschaften wie Propranolol, Solatol, Atenolol, Bisoprolol und Metoprolol klinisch verfügbar seien.


Gefördert wurde das Projekt, an dem auch Forscher aus Montréal und Yokohama beteiligt waren, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1149 „Gefahrenantwort, Störfaktoren und regeneratives Potential nach akutem Trauma“.