Weniger Pfunde: manchmal nötig, aber weder immer noch um jeden Preis

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Vor allem die Festtage, aber nicht nur, sind trotz regelmäßiger professoraler Mahnungen für manche Menschen mehr Tage des Schlemmens als der Besinnlichkeit. Die Folgen: Immer mehr Menschen werden dick und dicker. Schätzungen zufolge werden bis 2030 weltweit eine Milliarde Menschen adipös sein.

Klagen über die so genannte „Adipositas-Epidemie“ sind nicht neu. Auch die vielen medizinischen Gründe dafür, dass es sinnvoll ist, nicht adipös zu werden oder zu bleiben, haben kaum noch Neuigkeitswert; trotzdem seien sie hier in aller Kürze genannt: Adipositas geht einher mit Diabetes mellitus, Bluthochdruck, kardiovaskulären sowie zerebrovaskulären Krankheiten und auch malignen Tumoren. Starkes Übergewicht sei Hauptursache für verlorene gesunde Lebensjahre, bringt es die „Deutsche Adipositas Gesellschaft“ auf den Punkt. Wahrscheinlich wagte es heute kaum noch jemand, wie einst Julius Cäsar wohlbeleibte Männer zu loben und sich zu wünschen, dass hohlwangige Gestalten fett wären.

Adipositas-Therapien: Was gesichert ist

Wer zu dick ist, sollte also unbedingt etwas dagegen tun. Was aus Sicht der evidenzbasierten Medizin getan werden kann und sollte, hat kürzlich der Ernährungsmediziner Dr. Gert Bischoff vom  Krankenhaus Barmherzige Brüder in München erklärt. Bevor es allerdings um die Therapien geht, sind zwei Fragen zu beantworten; sie lauten: Wann sollte behandelt werden und was sind anzustrebenden Ziele? 

Gemäß den S3-Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft besteht nach Angaben von Bischoff die Indikation zur Adipositas-Therapie ab einem BMI ≥ 30 kg/m2 oder auch schon bei einem BMI ≥ 25 kg/m2, wenn bereits adipositas-assoziierte Komorbiditäten (etwa Diabetes mellitus) oder hoher psychosozialer Leidensdruck, bestehen.

Ziel einer Adipositas-Therapie sei, bei einem BMI < 35 kg/m2 das Gewicht um mindestens 5 % des Körpergewichts zu reduzieren und um mindestens 10% bei einem BMI≥ 35 kg/m2. 

Wichtige Ziele seien zudem eine Remission oder Verbesserung der adipositas-assoziierten Folgeerkrankungen sowie der Lebensqualität.

Mehrere Schräubchen müssen gedreht werden

Manche Menschen glauben, dass es ein einziges Schräubchen gibt, das allein sie drehen müssten, um Gewicht zu verlieren. Die langfristig wirksamste Therapie ist allerdings eine Kombination verschiedener „Therapiebausteine“. Dazu zählt zunächst die Ernährungstherapie. Ziel der Ernährungstherapie bei Adipositas ist laut Bischoff ein Defizit in der Kalorienbilanz von mindestens 500 kcal/Tag. Dieses Defizit könne durch eine Reduktion der Zufuhr von Kohlenhydraten, der Zufuhr von Fetten oder der Zufuhr von Fetten und Kohlenhydraten erfolgen. Zudem müsse auf eine ausreichende Aufnahme von Protein geachtet werden. Extrem einseitige Ernährungsformen sollten wegen hoher medizinischer Risiken und aufgrund des fehlenden Langzeiterfolgs nicht empfohlen werden. 

Ein weiterer wichtiger therapeutischer Baustein ist Bewegung. Als besonders günstig habe sich hier eine Kombination aus Kraft- und Ausdauertraining erwiesen, erläutert der Ernährungsmediziner weiter. Wichtig seien dabei „eine professionelle Anleitung und Kontrolle der Bewegungstherapie durch in der Adipositas-Therapie erfahrene Bewegungstherapeuten“. Effektiv sei es außerdem, Alltagsaktivitäten zu steigern. Bestandteil jeder multimodalen Adipositas-Therapie müsse außerdem eine professionelle Verhaltenstherapie sein.

Einen zunehmenden Stellenwert in der Behandlung von adipösen Menschen hat in den vergangenen Jahren die Adipositas-Chirurgie (inklusive endoskopischer Verfahren) gewonnen, von der belegt ist, dass sie Morbidität und Mortalität senken kann. Fortschritte sind - endlich - inzwischen auch in der Entwicklung von Medikamenten zur Adipositas-Therapie erzielt worden; in der Vergangenheit hätten Arzneimittel dabei nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt, erinnert der Ernährungsmediziner. So sei zum Beispiel in der S3-Leitlinie von 2014 nur für Orlistat in Kombination mit Lifestyle-Modifikation eine schwache Empfehlung ausgesprochen worden. Andere Medikamente wie Amphetaminderivate oder Rimonabant seien wegen schwerer Nebenwirkungen vom Markt genommen worden. Inzwischen gebe es jedoch neue Therapieoptionen. Die Rede ist von Glucagon-like-peptide-1(GLP-1)-Analoga wie Liraglutid und Semaglutid, die nicht nur für Patienten mit Diabetes mellitus zugelassen sind, sondern auch für adipöse Patienten ohne Diabetes. Was etwa mit Semaglutid erreicht werden kann, hat unter anderen die STEP-1-Studie gezeigt: Nach 68 Wochen lag die Gewichtsreduktion in der Semaglutid-Gruppe bei fast 15 Prozent. Dabei wurde es in der Dosis von 2,4 mg einmal wöchentlich als Spritze verabreicht und von Lebensstiländerungen begleitet. Die Probanden der Placebo-Gruppe nahmen im selben Zeitraum nur 2,4% des Körpergewichts ab. 

Es gebe also, betont Bischoff abschließend, effektive und seriöse Möglichkeiten der Adipositas-Therapie, außerdem evidenzbasierte S3-Leitlinien und ein professionelles Therapieangebot. Bis heute sei jedoch die Finanzierung dieser leitliniengerechten Adipositas-Therapie in Deutschland nicht flächendeckend geregelt. Bei so gut wie jeder Adipositas-Therapie handele es sich um eine „Kann-Leistung“ der Krankenkasse. 

Leider gibt es nicht nur das Problem der Finanzierung. Ein weiteres Problem ist offenbar auch der „Missbrauch“ von Medikamenten wie Semaglutid. Mittlerweile werde dieses Mittel zunehmend off-label als Life-Style-Medikament zum Abnehmen eingesetzt, so laut einem Bericht von „Medscape“ die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie. Das Mittel sollte jedoch nicht ohne Indikation eingesetzt werden, warnt Prof. Dr. Harald J. Schneider, Leiter des Zentrums für Endokrinologie und Stoffwechsel in Landshut in einem Interview mit dem Fachportal.

Inzwischen sei durch den Off-Label-Use der Wirkstoff Semaglutid mancherorts sogar knapp geworden. Er, so Schneider, glaube, dass das Grundproblem gerade in den USA darin bestehe, „dass viele Menschen, die das nehmen, nicht die Kriterien einer Adipositas erfüllen. Vielleicht sind diese Menschen gar nicht übergewichtig oder nur ein wenig. Beworben wird Ozempic® beispielsweise von Prominenten wie Elon Musk und von Hollywoodstars über soziale Plattformen wie TikTok“.  Diese Menschen hätten aber nicht wirklich ein Problem mit Übergewicht, sondern nutzten das Mittel nur dazu, um damit noch ein paar Kilos abzunehmen. Das ist laut Schneider ein völlig falscher Einsatz des Mittels und strahlt auch eine gefährliche und falsche Botschaft in die Welt aus. 

Denn wie alle wirksamen Medikamente hat auch Semaglutid mögliche Nebenwirkungen, dazu zählen etwa Magen-Darm-Beschwerden, Übelkeit, Bauchschmerzen und Durchfälle. Folgen könnten, wie der Stoffwechsel-Spezialist weiter erklärt,  außerdem Entzündungen der Bauchspeicheldrüse und Erkrankungen der Gallenblase sein. Manchmal könnten auch Gallensteine auftreten. In Tiermodellen habe man zudem ein potenziell erhöhtes Risiko für bestimmte Arten von Schilddrüsenkrebs gefunden. 

Ebenfalls ungesund: Körperkult und Schlankheitswahn

Warnungen vor möglichen Nebenwirkungen werden allerdings Menschen, die unbedingt  ein paar Pfunde abnehmen wollen, nicht davon abhalten, sich einen solchen Wirkstoff zu besorgen. Es ist immer wieder erstaunlich, was manche Menschen bereit sind, zu erleiden (und zu bezahlen), um so auszusehen, wie sie glauben, aussehen zu müssen, damit sie bei Instagramm, TikTok und in der Glitzerwelt von „Germany’s Next Topmodel“ (Motto: Hungern für Heidi) vielleicht ein „Star“ oder Sternchen werden. 

Besonders gefährdet durch diesen Körperkult und Schlankheitswahn sind vor allem (aber nicht nur) Mädchen und Frauen, warnt unter anderen die auf Ess-Störungen spezialisierte Psychiaterin Dr. Dagmar Pauli von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Verstärkt wird der Druck, den eigenen Körper zu „optimieren“, noch durch die Diskriminierung und Stigmatisierung adipöser Menschen. „Menschen in westlich industrialisierten Ländern verbinden mit Übergewicht eine lange Liste von Vorurteilen, wie etwa: weniger intelligent, dumm, undiszipliniert, nicht erfolgreich“, erklärt Pauli. Diese Stigmatisierung übergewichtiger Menschen verursache großes Leid und ist nicht zuletzt für die hohe Zahl an psychischen Störungen in dieser Bevölkerungsgruppe verantwortlich“.

Im Vergleich zu all den invasiven Eingriffen mit dem Ziel der „instagramm-tauglichen Körper-Optimierung“ ist zwar selbst der medizinisch nicht indizierte Gebrauch eines geprüften Arzneimittels vermutlich das deutlich kleinere Übel. Aber nunmal auch ein Übel.