Weitere Hinweise auf unerfreuliche Effekte von Süßstoffen

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaften

Laut der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) mehren sich die Hinweise darauf, dass auch von Zuckerersatz-Stoffen wie Sucralose oder Aspartam ein Gesundheitsrisiko ausgeht, wenn sie dauerhaft konsumiert werden.

„Dabei ging man lange Zeit davon aus, dass diese Substanzen nicht nur kalorienfrei sind, sondern sich im Körper überhaupt völlig neutral verhalten“, erklärt Privatdozentin Dr. med. Birgit Terjung, Chefärztin der Abteilung Innere Medizin der GFO Kliniken Bonn und Vorstandsmitglied der DGVS. Mittlerweile gebe es aber etliche Untersuchungen, die zeigten, „dass auch die Süßstoffe den Körper nicht völlig spurlos durchqueren“, so Terjung in einer Mitteilung der Fachgesellschaft. Besonders detailliert wurde diese Frage in einer Studie des Weizmann-Instituts im israelischen Rehovot untersucht, die im Fachjournal „Cell“ publiziert wurde. Die Forscher um Studienleiter Dr. Eran Elinav verabreichten ihren Probandinnen und Probanden jeweils einen der vier Süßstoffe Saccharin, Sucralose, Aspartam und Stevia in gängigen Dosierungen. Während der zweiwöchigen Einnahme dokumentierten sie mögliche Änderungen des Stoffwechsels sowie den Effekt der Süßstoffe auf die Zusammensetzung und die Funktion des Mikrobioms.

Blutzuckerkontrolle beeinträchtigt

Saccharin und Sucralose fielen bei den Versuchen dadurch auf, dass sie eine starke glykämische Reaktion begünstigten: Während der regelmäßig durchgeführten Glukose-Toleranztests stieg der Blutzuckerspiegel der Probanden deutlich stärker an als vor Beginn der Süßstoffeinnahme. „Die sogenannte Blutzuckerkontrolle, also die Fähigkeit des Körpers, den Blutzuckerspiegel auch bei Aufnahme von Glukose niedrig zu halten, war demnach unter Einfluss der Süßstoffe deutlich reduziert“, erläutert laut der Mittelung der Ernährungsmediziner Professor Dr. med. Johann Ockenga, Direktor des Klinikums Bremen Mitte.

Darüber hinaus konnten die Forscher vielfältige Änderungen in der Zusammensetzung der Darmflora sowie in der Konzentration bestimmter Stoffwechselprodukte im Blutplasma der Probanden nachweisen. Diese waren sowohl zwischen den verschiedenen Süßstoffen als auch individuell unterschiedlich, korrelierten aber mit dem Ausmaß der jeweils verminderten Blutzuckerkontrolle. Tatsächlich neutral war nach Angaben der Fachgesellschaft keiner der Süßstoffe. Um zu überprüfen, ob ein Zusammenhang zwischen den beobachteten Stoffwechselveränderungen und der veränderten Darmflora bestand, führten die israelischen Forscher zusätzlich Versuche an Mäusen durch: Sterile Mäuse, die selbst keinerlei Darmflora besaßen, wurden mit der Darmflora der Versuchspersonen behandelt. Sie entwickelten daraufhin die selben Auffälligkeiten bei der Blutzuckerkontrolle.

Süßstoffe: von wegen neutral oder passiv!

„Die Studie zeigt auf eindrückliche Weise, dass sich Süßstoffe im Körper durchaus nicht passiv verhalten“, sagt Ockenga. Vielmehr zeichneten sich mannigfaltige Wechselwirkungen mit dem Mikrobiom und ein deutlicher Einfluss auf das Stoffwechselgeschehen im Körper ab. In diese Richtung deutet auch eine weitere aktuelle Studie, nach der Sucralose bei Mäusen die Funktion des Immunsystems beeinträchtigen kann. Gerade angesichts der zunehmenden Beliebtheit von Süßstoffen seien solche Fragen von großer Relevanz, ergänzt Terjung. Die langfristigen Auswirkungen auf die Gesundheit seien noch weitgehend unklar und müssten dringend genauer untersucht werden.

Auch Fruchtzucker (Fructose), der ebenfalls oft eingesetzt wird, um Glukose einzusparen, kann nicht als unbedenkliche Alternative zum Haushaltzucker gelten. Eine aktuelle Studie zeige, „dass Fructose die Neubildung von Fett in der Leber sogar stärker anregt als Glukose“, wird Terjung in der Mitteilung der Fachgesellschaft zitiert.  Damit könne auch diese Zuckervariante zu den typischen Stoffwechsel- und Gesundheitsproblemen beitragen, die üblicherweise mit einem hohen Zuckerkonsum in Verbindung gebracht werden.

Erhöhtes Herzinfarkt-Risiko durch Erythrit?

Hinweise auf gesundheitliche Schäden durch einen Zuckeraustauschstoff hat kürzlich auch eine im Fachjournal „Nature Medicine“ publizierte Studie ergeben. In dieser Studie ging es Erythrit (Erythritol oder E 968). Ergebnis der Studie: Hohe Erythrit-Spiegel standen in einer statistischen Beziehung zu einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die typischerweise durch Störungen der Blutgerinnung begleitet sind.

Dieses Ergebnis könne jedoch – wie viele andere ähnliche Resultate zu anderen Süßstoffen, rotem Fleisch oder selbst Zucker – zu weiten Teilen auf Scheinkorrelationen und Störgrößen beruhen, so Dr. Stefan Kabisch (Deutsches Zentrum für Diabetesforschung, Campus Benjamin Franklin, Charité ), der die Studie für das „Science Media Center“ beurteilt hat.

So sind laut Kabisch Menschen, die häufig Zuckerersatzstoffe konsumieren,  typischerweise adipöser, metabolisch kränker und hätten einen insgesamt ungesünderen Lebensstil. All diese Faktoren könnten laut Kabisch „die eigentlichen Ursachen für das höhere kardiovaskuläre Risiko sein, während Erythrit ‚nur zufällig‘ miterhöht ist“.

Allerdings sei im in-vitro- sowie in-vivo-Modell (Maus und Mensch) in dieser Arbeit bei kleinen Fallzahlen und bei sehr hoher Erythrit-Dosis gezeigt worden, dass die Erythrit-Zufuhr tatsächlich bestimmte Gerinnungsprozesse stimulierte. Das stütze eine tatsächlich kausale Rolle von Erythrit jenseits der reinen statistischen Assoziation.

„Allein die Dosis machts, dass ein Ding (k)ein Gift sei"

In allen drei Kohorten habe jedoch nur das oberste Quartil das signifikant erhöhte Herz-Kreislauf-Risiko gezeigt, erklärte Kabisch weiter. 75 Prozent der untersuchten Probanden hätten ein vergleichbar normales Risiko gehabt. Die Erythrit-Spiegel dieser 75 Prozent lägen in allen Kohorten bis circa sechs Mikromol, erst das oberste Quartil erreiche Spiegel bis 46 Mikromol (USA-Kohorte) beziehungsweise 137 Mikromol (Deutschland-Kohorte). Die experimentelle Erythrit-Dosis (Zellen, Versuchstiere, Menschen) mit starken Effekten habe mit 45 bis 290 Mikromol in diesem Extrembereich gelegen. Die notwendige Dosis für einen Effekt auf das statistische Herzrisiko beziehungsweise eine Wirkung auf das Gerinnungssystem ist laut dem Wissenschaftler demnach möglicherweise so hoch, dass die meisten Menschen sie auch mit dem heute üblichen Ernährungsmuster und der verfügbaren Produktpalette nicht erreichten.