Weihnachten - ein Fest der Freude, aber nicht für Einsame und Arme
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Kernbotschaften
Weihnachten gilt als das Fest der Freude. Aber für einsame Menschen können die Wochen bis zum Fest und über die Feiertage alles andere als freudvoll sein. Wissenschaftlichen Studien zufolge kann Einsamkeit unter anderem mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre und auch kognitive Störungen einhergehen.
Einsamkeit das neue Yoga?
Einsamkeit ist seit einigen Jahren schon ein Thema für die Wissenschaft. Auch die Schönen und Reichen in Hollywood sollen die Einsamkeit als „Thema“ für sich erkannt haben. Aus allen Medien heulten uns die einsamen Wölfe entgegen, schrieb vor wenigen Jahren der Journalist Michael Allmaier in der Wochenzeitung „Die Zeit“. Dutzende Hollywoodstars seien abonniert auf die Rolle des mysteriösen Fremden oder auch des quietschfidelen Singles. Lifestyle-Autoren feierten das neue „Lebensgefühl", den „Weg zu innerer Freiheit", die „Kunst, sich auszuhalten". Und viele Leute kauften ihnen das ab. Warum sonst, so Allmaier weiter, „pilgern die Sinnsucher scharenweise auf dem Jakobsweg oder verkrümeln sich ins Schweigekloster? Einsamkeit ist das neue Yoga“. Aber die wirklich Einsamen seien selten glücklich. Sie seien in Wirklichkeit „arme Schweine, die niemand mehr sieht oder hört“.
Das Thema hat längst das Interesse auch von Politikern geweckt. So forderte vor einigen Jahren etwa SPD-Politiker Karl Lauterbach „mehr Einsatz dagegen“. Aktuell rufen auch Politiker der Ampelkoalition wie unter anderen Professor Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, nach mehr Engagement gegen das Problem Einsamkeit. Eine aktuelle wissenschaftliche Auseinandersetzung damit liefert jetzt die neue Ausgabe der Fachzeitschrift „PiD – Psychotherapie im Dialog“. Die Ergebnisse des Soziooekonomischen Panels (SOEP) aus den Jahren 2013 und 2017 legten nahe, dass in den beiden Jahren etwa 14 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen zumindest manchmal einsam gewesen seien, heißt es in dem Themenheft. Während der Corona-Pandemie nahmen diese Einsamkeitsgefühle weiter zu. Im SOEP 2021 gaben rund 42 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen an, sich einsam zu fühlen, so das Bundesfamilienministerium.
Einsam oder allein?
Wissenschaftlich wird Einsamkeit als wahrgenommene Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlichen sozialen Beziehungen definiert. Im Gegensatz zum Alleinsein ist Einsamkeit kein selbst gewählter Zustand. „Ich habe nie gesagt: Ich will allein sein. Ich sagte: Ich will allein gelassen werden - das ist ein Riesenunterschied“, hat es Greta Garbo auf den Punkt gebracht.
Einsame nehmen die Qualität ihrer sozialen Beziehungen, aber auch sich selbst als unzureichend wahr: „Betroffene erleben sich in verschiedener Hinsicht als defizitär und sehen keine Chance, den Zustand mit eigenen Ressourcen zu ändern“, berichtet der Pädagoge Thomas Hax-Schoppenhorst (LVR-Klinik in Düren). Armut, Migrationshintergrund, seelische und körperliche Erkrankungen sowie eine intensive Social-Media-Nutzung, die unmittelbare Kontakte ersetzt, erhöhen laut Hax-Schoppenhorst das Einsamkeits-Risiko in besonderem Maß.
Risikofaktoren für Einsamkeit
Von Armut betroffene Menschen besuchen seltener andere und empfangen umgekehrt weniger Gäste als finanziell gut gestellte. Der Verlust des Arbeitsplatzes beispielsweise verändert die Zusammensetzung des Freundeskreises. „Nach längerer Zeit in Armut, gehören beispielsweise weniger Menschen mit einem festen Arbeitsplatz dazu“, erklärt Hax-Schoppenhorst. Dadurch nimmt das Gefühl zu, sozial ausgegrenzt zu sein.
Auch unter Menschen mit direktem Migrationshintergrund, die im Ausland geboren seien und jetzt in Deutschland lebten, sei der Anteil der von Einsamkeit Betroffenen mit 15 Prozent besonders hoch. Anders als ihre Kinder arrangietren sich Migranten der ersten Generation häufig weniger gut mit der hiesigen Kultur. Zudem nähmen sie im Vergleich zur deutschen Bevölkerung erst sehr spät psychotherapeutische Hilfsangebote wahr.
Menschen mit chronischen körperlichen Erkrankungen nehmen meist weniger an sozialen Aktivitäten teil. Nicht selten fühlen sie sich im Vergleich zu Gesunden als nicht „voll funktionsfähig“. „Das führt zu Rückzug“, so Hax-Schoppenhorst. Psychisch Erkrankte scheuten eine offensive Kontaktsuche und pflegten oft Kontakt zu ebenfalls Erkrankten. Insgesamt erschwere die Stigmatisierung seelischer Erkrankungen die soziale Teilhabe, ist sich der Experte sicher.
Über die einsamkeitsverstärkende Wirkung durch die Nutzung sozialer Medien wird hingegen kontrovers diskutiert. Das Einsamkeitsrisiko steigt jedoch, wenn die Social-Media-Nutzung die Gesamtheit der Kontakte ausmacht und Begegnungen „face to face“ fehlen.
Je größer die Einsamkeit, desto höher der Blutdruck
Die körperlichen Folgen von Einsamkeit werden insbesondere in Bezug auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen sichtbar. So zeigen Untersuchungen in Abhängigkeit vom Ausprägungsgrad der Vereinsamung graduell systolische Blutdruckanstiege um jeweils 5 mmHg. „Vereinfachend lassen sich diese Ergebnisse auf die provokante Formel bringen: Je größer die Einsamkeit desto höher der Blutdruck“, berichtet Privatdozent Dr. med. Roland Prondzinsky (Merseburg). Umfassende Metaanalysen von Patientendaten zeigten zudem, dass Einsamkeit das Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall um rund 30 Prozent erhöht. Damit erhöhe Einsamkeit das Risiko in etwa so wie Rauchen, Angst oder Arbeitsstress. Der Kardiologie plädiert deshalb dafür, Einsamkeit mehr als bisher in der kardiovaskulären Risikoabschätzung mitzudenken. Nähmen Menschen aufgrund ihrer Einsamkeit psychotherapeutische Hilfe in Anspruch, sollten eine ärztliche Abklärung möglicher Herz-Kreislauf-Erkrankungen empfohlen werden.
Aktuelle Studien liefern weitere Daten
Welche gesundheitlichen Probleme mit Einsamkeit verbunden sein können, zeigen unter anderen auch, wie bereits berichtet, zwei aktuelle Studien. So geht laut der einen, in „Neurology“ publizierten Studie Einsamkeit mit einem erhöhten Demenz-Risiko einher.
Für diese Studie analysierten die Autoren Daten aus den bevölkerungsbasierten Kohorten der Framingham-Studie (09.09.1948 - 31.12.2018). Die Einsamkeit wurde definiert als das Gefühl der Einsamkeit an ≥3 Tagen in der vergangenen Woche.
Ergebnisse: Von 2308 Teilnehmern (mittleres Alter 73 Jahre; 56 % Frauen), die zu Beginn der Studie keine Demenz hatten, entwickelten innerhalb von zehn Jahren 14 Prozent eine Demenz; sechs Prozent erfüllten das Kriterium für Einsamkeit. Die Berechnungen ergaben für einsame Erwachsene im Vergleich zu nicht einsamen ein um mehr als 50 Prozent höheres 10-Jahres-Demenzrisiko (alters-, geschlechts- und bildungsbereinigte Hazard Ratio, 1,54; 95% CI, 1,06-2,24). Bei einsamen Teilnehmern unter 80 Jahren ohne den Alzheimer-Risikofaktor APOE-ε4-Allele ergaben die Berechnungen sogar ein noch höheres Risiko (bereinigte Hazard Ratio, 3,03; 95% CI, 1,63-5,62). Weiteren Analysen zufolge ging Einsamkeit einher mit einer schlechteren Exekutivfunktion, einem geringeren Hirnvolumen und einer größeren Schädigung der weißen Substanz.
Schwere Herz-Kreislauf-Erkrankung
In der zweiten Studie kam heraus, dass soziale Isolation und Einsamkeit bei älteren Frauen in den USA mit einem um 27 Prozent erhöhten Risiko für eine schwere Herz-Kreislauf-Erkrankung verbunden waren. An der Studie nahmen, wie von „Medscape“ berichtet, fast 60.000 Frauen im Alter zwischen 65 und 99 Jahren teil.
„Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese weit verbreiteten psychosozialen Probleme bei der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen älterer Frauen mehr Aufmerksamkeit verdienen – insbesondere in der Ära von COVID-19“, so die Forscher um Dr. Natalie Golaszewski von der University of California in San Diego.
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