Weihnachten - das Fest der Liebe und manchmal auch des Liebeskummers
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Am 29. Oktober 1772 erschoss sich in Wetzlar der 24-jährige Jurist und Gesandtschaftssekretär Karl Wilhelm Jerusalem. Der vermutete Grund: unerfüllte Liebe, also Liebeskummer, auch als Lovesickness, Malade d’amour oder Mal d'amore bekannt. Der 24-Jährige hatte sich in die junge Elisabeth Herdt verliebt, die allerdings seit 1768 bereits verheiratet war. Ohne einen anderen, deutlich bekannteren Juristen wäre diese tragische Geschichte vermutlich nur eine von vielen kaum beachteten tragischen Geschichten geblieben. Der andere Jurist stammte aus Frankfurt am Main und war Autor des 1774 veröffentlichten Briefromans „Die Leiden des jungen Werthers“. Karl Wilhelm Jerusalem diente dem Autor Johann Wolfgang Goethe als Vorlage für den Roman-Protagonisten, der aus unerfüllter Liebe zu einer jungen Dame namens Lotte sich ebenfalls das Leben nahm.
Liebeskummer hat zwar selten einen Suizid zur Folge. Aber wenn ein noch junger Mensch droht, sich sich vor einen Zug zu werfen, weil die Freundin oder der Freund ihn verlassen hat, dann ist der Liebeskummer keine Quantité négligeable mehr.
Gründe gibt es viele
Doch was genau ist Liebeskummer eigentlich, den Studien aus dem deutschsprachigen Raum zufolge die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens mindestens einmal erleben?„Liebeskummer ist“, wie der Psychiater Prof. Dr. Dr.. Henrik Walter (Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie CCM, Charité) erklärt, „eine vorwiegend negative emotionale Reaktion, häufig mit körperlichen Symptomen, auf eine nicht erwiderte Liebe, eine Trennung oder Bedrohung der Partnerschaft, kurz, eine negative emotionale Reaktion auf romantische Zurückweisung (romantic rejection)“. Gründe oder Ursachen gibt es viele. Beim Stichwort „Liebeskummer" denken zwar viele Menschen sofort an eine Trennung als Ursache. Doch das sei viel zu kurz gegriffen, erklären die Berliner „Liebeskümmerer“, eine Gruppe von Psychologinnen und Coachs, die Menschen mit Liebeskummer beraten. Spezialisiert haben sich die „Liebeskümmerer“ ihren Angaben zufolge etwa auf Liebeskummer durch Trennung, durch eine Affäre, narzisstische Beziehung oder durch emotionale Abhängigkeit.
In jedem Alter möglich
Laut Henrik Walter ist Liebeskummer typischerweise ein Phänomen der Adoleszenz und des jungen Erwachsenenalters; darauf beziehen sich dem Psychiater zufolge auch die meisten der relativ wenigen empirischen Studien. In der deutlich umfangreicheren Ratgeberliteratur werde jedoch betont, dass Liebeskummer in jedem Lebensalter auftreten könne; dies stehe auch in Einklang mit der Lebenserfahrung, erklärt der Psychiater weiter.
Liebeskummer ist so häufig, dass er oft als eine völlig normale, zum Leben dazu gehörende Erfahrung erachtet wird. Das trifft wohl auch zu. Doch die Häufigkeit von Liebeskummer schliesse nicht aus, dass er „in einer relevanten Anzahl von Fällen“ Krankheitswert haben könne. Darauf weisen, wie Walter betont, auch Daten zur Suizidalität hin. So sei Liebeskummer häufige Ursache oder Anlass von „Suizid(versuchen) von Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen“. In einer älteren Studie sei dieses Phänomen bei 438 Personen (weiblich: 239) unter 25 Jahren anhand von Polizeiberichten der Stadt Zürich untersucht worden. Der häufigste Anlass für den Suizidversuch war laut Walter Liebeskummer mit etwas über einem Drittel bei weiblichen und einem Fünftel bei männlichen Betroffenen. Neuere Studien führten Liebeskummer meist nicht separat auf, sondern subsummierten ihn unter interpersonellen Problemen. So hätten in den USA 21 Prozent aller Studenten mit einem Suizidversuch Beziehungsprobleme als Anlass angegeben; Liebeskummer sei damit der zweithäufigste Grund nach Depressionen (67 %) gewesen. In einer südkoreanischen Studie seien interpersonale Probleme die häufigste Motivation für Suizidversuche gewesen, und zwar in 77 Prozent der 149 Suizidversuche.
Keine spezifischen Therapien, aber viele Ratgeber
Unabhängig davon, ob man nun Liebeskummer als zwar schmerzhafte, aber zum Leben gehörende Erfahrung versteht, als Anpassungsstörung oder als Depression und damit als Krankheit: Zumindest in schweren Fällen stellt sich die Frage, wie den Betroffenen geholfen werden kann. Leider fehlten wissenschaftlich fundierten spezifischen Therapien, erklärt Walter. Und anders als bei der Trauerberatung oder -begleitung gebe es für Menschen mit Liebeskummer ausserdem kaum Anlauf- oder Beratungsstellen. Was es gebe, seien hingegen Ratgeber; erst in den letzten Jahren seien zudem vereinzelt Angebote entwickelt worden, etwa die schon erwähnten „Liebeskümmerer“ (Berlin), ausserdem die Herzkümmerei (Hamburg) oder die Liebeskummerberatung für Jugendliche bei Profamilia. Auch die AOK bietet Betroffenen Hilfe durch Aufklärung und Beratung an. Diese Angebote verstehen sich, wie der Psychiater weiter erklärt, nicht direkt als Therapie, sondern als „Beratung und Unterstützung im Umgang mit einer zutiefst menschlichen Erfahrung“. Dabei gelte es zunächst zu akzeptieren, dass niemand jemand anderen dazu bringen könne, einen zu lieben. Walter: „Den Liebestrank gibt es eben nur in der Oper und bei Harry Potter.“ Die im MIttelalter diskutierten Therapien - Kräuter oder Beischlaf - sind wahrscheinlich nicht immer zielführend. Eine Pille gegen die Schmerzen gebe es nicht, heißt es auch auf der Webseite der AOK. Und den Schmerz im Alkohol zu „ertränken“, sei keine gute Idee. Alkohol machte emotional, die Gefahr sei groß, dass man sich während des Rauschs oder während des Katers noch schlechter fühle. Auch eine „genüsslich geplante Rache“ könne einen nur noch mehr in „das Gefühlstief katapultieren“.
Hilfreich sei, so Walter, die typischen Phasen beim Verlust einer Liebe zu kennen: „das ungläubige Nicht-wahrhaben-Wollen, die Phase der aufbrechenden Gefühle und schließlich die Neuorientierung“. Vor allem am Anfang seien konkrete Maßnahmen zur Linderung des akuten Kummers wichtig; dazu zählten etwa, ausreichend essen und trinken, klare Verhältnisse schaffen, dem oder der Ex nicht in den sozialen Medien zu folgen und sich selbst regelmäßig Gutes tun.
Keine Hilfe: Johnnie Walker oder Rachegelüste
Später gehe es vor allem darum, sein Leben „neu aufzustellen und zu organisieren“. Dabei könne die so genannte „Glücksherzmethode“ helfen: Zeichne man die Quellen des Glücks in ein Herz, sollten dort idealerweise mehrere, in etwa ähnliche große Anteile stehen und romantische Beziehungen nicht den ganzen Platz einnehmen. Dies diene zugleich der Prävention von Liebeskummer. Ziel sei, eine möglichst breite Basis für Quellen des Lebensglücks zu schaffen. Dazu zählten etwa Hobbys, Beruf, Freunde, Familie, soziale Aktivitäten, gemeinschaftliches Engagement, Hilfe oder Spiritualität.
Ein realistischer und ein sich selbst schonender Umgang mit Liebeskummer sei der viel bessere Weg als etwa der Griff zu Johnnie Walker oder der Versuch, Rachegelüste zu hegen, raten auch die AOK-Experten. Wichtig sei zunächst, die Trauer zuzulassen. „Niemand heilt durch Jammern seinen Harm“, wusste schon Richard III. „Tränen reinigen das Herz", sagte auch der russische Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski. Sich der Familie und Freunden anzuvertrauen, sei ein weiterer wichtiger Schritt zur „Schmerzlinderung“. Kontakt zum Ex-Partner sollte nicht gesucht werden, Fotos und andere Erinnerungen sollten erst einmal aus dem Sichtfeld „verbannt“ werden. Auch Ablenkung könne guttun. Meist helfen diese „Therapien“ über den Kummer hinweg. Ausserdem heilt ja auch die Zeit so manche Wunde.
Wenn Liebeskummer jedoch so stark sei, dass der oder die Betroffene über Tage nichts esse, nichts trinke und auch nicht mehr aufstehe, könne der Kummer gefährlich werden, betonen die AOK-Experten. Spätestens dann, wenn sich Suizidgedanken einschleichen und nicht mehr verschwinden, ist der Kummer keine Bagatelle mehr und ärztliche Hilfe erforderlich.
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