Es ist Ulrich Weigeldts letzte Delegiertenversammlung als Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands. Der Bremer kandidiert nicht mehr. Am 16. September wählen die Delegierten seinen Nachfolger: Dr. Markus Beier. In seinem letzten „Bericht zur Lage“ wünscht sich Weigeldt eine doppelte Impfkampagne, stellt der Digitalisierung im Gesundheitswesen Health ein schlechtes Zeugnis aus und erteilt den Apothekern eine Kampfansage.
In seiner Rede schlägt Weigeldt zunächst milde Töne an. Der Austausch mit den Apothekern lohne sich. „Wir sollten auch weiterhin darauf achten, uns letztlich zu verständigen – wenn notwendig auch mit härterer Argumentation, aber nicht mit kriegerischer Rhetorik“, streckt er die Hand aus, nur um sie wenig später zur Faust zu ballen. Denn beim Dispensierrecht würde er gerne weitergehen – über Paxlovid und Notfallmedikamente hinaus. „Wir werden nicht nachgeben.“ Auch wenn Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) den Apothekern zugesagt habe, das Dispensierrecht nicht auszuweiten. Bestätigung findet Weigeldt in einer Umfrage, der zufolge sich eine große Mehrheit der Patienten die Medikamentenabgabe von Hausärzten wünschen würde.
Doppelte Impfkampagne gewünscht
In Sachen Corona-Impfung wünscht sich Weigeldt eine „positive“ Kampagne. Deutschland habe schließlich eine fähige Werbeindustrie. Die Hausärzte stünden bereit. „Wir schaffen das wieder!“, verkündet Weigeldt. Er geht aber von einem großen Beratungsaufwand in den Praxen aus. Schließlich stehen neben den bisherigen Corona-Impfstoffen nun zwei neue Boostervakzine gegen die Varianten BA.1 und gegen BA.4/BA.5 zur Verfügung. Probleme bereiteten die Lieferverzögerungen, vor allem wenn es vorher „vollmundige Erklärungen“ gebe, leistet sich Weigeldt einen kleinen Seitenhieb in Richtung Lauterbach. Der zu diesem Zeitpunkt noch Hausärztechef rät zum simultanen Impfen gegen Corona und gegen Influenza. Das biete sich an, weil es sich um die gleiche Zielgruppe handelt: ältere und vorerkrankte Menschen. Der große Plan: Zwei Drittel der Über-60-Jährigen gegen Grippe impfen.
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen bereitet Weigeldt Kopfschmerzen. „Es fehlt die Nutzerorientierung“, klagt er auf der Delegiertenversammlung. Der Zugang zur elektronischen Patientenakte sei zu kompliziert, das E-Rezept in seiner jetzigen Form weder für Praxen noch für Patienten nutzbar. Er zweifelt gar die Telematikinfrastruktur im Gesundheitswesen an und fragt, warum es keine einheitliche Struktur für alle Lebensbereiche gibt.
HzV versus EBM
Die Hausärzte sind dank der HzV-Verträge (Hausarztzentrierte Versorgung) fein raus aus dem EBM-System und konnten die Verhandlungen zwischen GKV-Spitzenverband und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) um den Orientierungswert mit einer gewissen Gelassenheit beobachten. „Die HzV hingegen bleibt von diesen Fragen vollkommen unberührt. Diese sichert nicht nur eine fairere Vergütung, sondern ist auch strukturell das deutlich modernere System“, sagt Weigeldt dann auch. Die Erhöhung des Orientierungswerts findet er dennoch zu niedrig. Einigen Delegierten ist Weigeldts Kritik wohl trotzdem ein bisschen zu lasch. „Das ist eine unwahrscheinliche Frechheit“, schimpft Peter Heinz, Delegierter aus Rheinland-Pfalz, über den Schiedsspruch zum Orientierungswert. Der EBM müsse überwunden werden. Das findet auch Weigeldt („Das Ding ist am Ende.“). Er geht allerdings nicht davon aus, dass eine Solidarisierung mit den Fachärzten dazu führe, dass diese den Hausärzten im Gegenzug bei der Weiterentwicklung der HzV unterstützen. „Eher glaube ich, dass Weihnachten und Ostern zusammenfallen.“
Reizthema Gesundheitskioske
Ein emotionales Thema sind Gesundheitskioske. Die flächendeckende Einrichtung fordert Lauterbach in einem Eckpunktepapier. Den niedrigschwelligen Ansatz begrüßt Weigeldt zwar, medizinische Versorgung und deren Koordination müsse aber in den Händen der Hausarztpraxen bleiben. Außerdem befürchtet er eine in diesen Einrichtungen, wenn kein Arzt involviert ist, eine medizinische Versorgung zweiter Klasse. Auch der bayerische Delegierte Dr. Gerald Quitterer hat seine Probleme mit diesen Vorschlägen aus dem Bundesgesundheitsministerium. Er argwöhnt, dass in den Kiosken auch nichtärztliches Personal heilkundliche Aufgaben wie Impfen übernehme. Lars Rettstadt, der eine Praxis in Dortmund-Scharnhorst betreibt, will die Idee nicht beerdigen. „Wir sollten diese Gesundheitskioske als Chance sehen.“ Der Bedarf in sozial schwachen Regionen sei gegeben. Viele seiner Patienten hätten Schwierigkeiten, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden. Er selbst habe einen Sozialarbeiter eingestellt. Das kommt einem Antrag, den die Delegierten mehrheitlich annehmen, sehr nahe. In diesem wird eine staatlich finanzierte Sozialberatung durch Sozialarbeiter in den Arztpraxen gefordert, als Entlastung für die dortigen Teams. Eine der Antragstellerin ist Dr. Jana Husemann (Vorsitzende des Landesverbands Hamburg), die auf St. Pauli arbeitet. „Es ist als Gegenmodell zu den geplanten Gesundheitskiosken gedacht. Die Patienten müssen nicht woanders hingehen, sondern bleiben in der Praxis“, erläutert sie das Anliegen. Rettstadt hat damit allerdings Probleme, befürchtet er doch einen zu hohen staatlichen Einfluss. Es gehe nur um die Finanzierung, nicht um Einmischung, betont Weigeldt. Rettstadt bleibt skeptisch, trägt den Antrag aber letztendlich mit.
Der neue Chef-Hausarzt
Einen Tag später wählen die Delegierten ihren neuen Vorsitzenden. Dr. Markus Beier, bisher Weigeldts Vize und Vorsitzender des bayerischen Landesverbands, kann 97 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Gegenkandidaten gibt es keine. Er und der neue Vorstand wollen den Verband künftig „noch stärker als Team“ führen. Auf seiner Agenda stehen die Modernisierung und Ausbau der HzV sowie die Eindämmung investorenfinanzierter Medizinischer Versorgungszentren (MVZ).
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