Von der Krise zur Chance: Die Gesundheitsversorgung in Mittel- und Osteuropa neu überdenken

  • Drishti Agarwal
  • Medizinische Nachricht
Der Zugang zum gesamten Inhalt dieser Seite ist nur Angehörigen medizinischer Fachkreise vorbehalten. Der Zugang zum gesamten Inhalt dieser Seite ist nur Angehörigen medizinischer Fachkreise vorbehalten.

Jahrzehntelange unzureichende Investitionen in das Gesundheitswesen haben zwischen Ost- und Westeuropa zu Ungleichheiten zwischen den Gesundheitsausgaben und den Ergebnissen geführt. Während der COVID-19-Pandemie wurde diese Kluft sichtbar und durch den Krieg in der Ukraine noch vergrößert. Viele Länder, darunter Polen, Rumänien und Ungarn, haben eine noch nie dagewesene Zahl von Flüchtlingen aufgenommen, wodurch die Belastung des Gesundheitswesens weiter verstärkt wird. Mit dem Anhalten des Konflikt werden die Einschränkungen der nationalen Haushalte, die Erhöhung der Inflation und der Arbeitslosenquoten sowie die Unterbrechungen der Lieferketten die bereits fragilen Gesundheitssysteme weiter belasten. 

 

Angesichts des Zusammenkommens gleich mehrerer Krisen in der Region veranstaltete die American Chamber of Commerce to the European Union am 21. April eine Konferenz mit dem Titel „At a turning point: Healthcare systems in Central and Eastern Europe“. Dabei kamen die wichtigsten Interessengruppen zusammen, um die größten Probleme, die sich negativ auf Gesundheitssysteme auswirken, und die in der jüngsten Economist-Impact-Studie vorgeschlagenen Handlungsempfehlungen zu diskutieren.

Gesundheit und Wirtschaft sind miteinander verflochten

Die mittel- und osteuropäischen Länder (MOEL) geben einen geringeren Anteil ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für das Gesundheitswesen aus als Westeuropa. Ungarn und Rumänien tätigen mit 6,3 % und 5,7 % ihres BIP die niedrigsten Ausgaben, während der EU-Durchschnitt 2019 bei 9,9 % lag.

In Bulgarien und Ungarn machen die Auslagen mehr als 37 % und 27 % der gesamten aktuellen Gesundheitsausgaben aus und übersteigen den EU-Durchschnitt von 20,3 %.

Die Gesundheitssysteme werden in Europa in erster Linie durch obligatorische soziale Krankenversicherungssysteme finanziert, die sich in hohem Maße auf die von Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Rahmen einer beschäftigungsbezogenen Sozialversicherung gezahlten Beiträge stützen. Dieses Modell trägt sich jedoch aufgrund des wirtschaftlichen Abschwungs, der zunehmenden Arbeitslosigkeit und der alternden Bevölkerung nicht mehr. Die Economist-Impact-Studie vertritt die Auffassung, dass weitreichende finanzielle Leistungen es erforderlich machen, dass „die Regierungen jetzt mehr Mittel aus dem Staatshaushalt für die Gesundheit bereitstellen und diese Investitionen weiter erhöhen“. Des Weiteren sollten alternative Methoden zur Einnahmenerzielung in Betracht gezogen werden. Die Bewertung „wo und wie der private Sektor dabei eine Rolle spielen kann“ ist ebenfalls entscheidend.

Um die Ziele der allgemeinen Krankenversicherung sowie die Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, werden die Länder in einem WHO-Bericht über die Gesundheitsausgaben aus dem Jahr 2021 dringend dazu aufgefordert, die Gesundheitssysteme durch eine sorgfältige Politik zu stärken, die die Abhängigkeit von Selbstbehalten reduziert.

Ressourcen für sich nutzen

Die anhaltende Konzentration auf den Ausbau der Krankenhausinfrastruktur bei gleichzeitiger Vernachlässigung des medizinischen Personals hat zu einem Ungleichgewicht der Ressourcen geführt. Zudem nahm die erhebliche Abwanderung von medizinischen Fachkräften des Gesundheitswesens aus den MOEL-Ländern einen größtenteils negativen Einfluss auf deren Gesundheitssysteme. Die Kanalisierung von Mitteln in die medizinische Primärversorgung ist der wirksamste Weg, um Fortschritte auf dem Weg zu einer allgemeinen Gesundheitsversorgung zu erzielen. Die Economist-Impact-Studie bekräftigt die an alle Länder gerichtete Empfehlung der WHO, zusätzliche 1 % ihres BIP aus den öffentlichen Fonds für Investitionen in die Primärversorgung bereitzustellen. Sie empfiehlt auch, dass die MOEL-Länder Slowenien nachahmen sollten, das ein neues Primärversorgungsmodell entwickelt hat, dessen Schwerpunkte auf der präventiven Versorgung und auf Zentren zur Gesundheitsförderung liegen. Dies hat dazu geführt, dass das Land die wenigsten COVID-19-Todesfälle zu verzeichnen hat, obwohl es in der Studie die meisten bestätigten Fälle in seiner Bevölkerung aufweist.

Technologie kann die Wende bringen

Die westeuropäischen Länder sind den MOEL weit voraus, was die Zahl und das Tempo des Zugangs zu neuen, innovativen Medikamenten betrifft. Zudem ist es möglich, dass sich die Lücke zwischen den Ausgaben und den Ergebnissen wie Mortalitätsraten, Lebensqualität der Patienten und Gesundheitskosten weiter vergrößern wird. In den MOEL wurden Maßnahmen zur Kostenkontrolle zur Priorität gemacht, ohne die potenziellen langfristigen Vorteile neuer Technologien für die Patientenergebnisse zu berücksichtigen. In dem „Aufruf zum Handeln“ der Studie wird vorgeschlagen, dass die Nutzer des Gesundheitswesens einen besseren Zugang zu Dienstleistungen und Produkten erhalten könnten, indem Referenzpreise für Produkte zum Vergleich mit den tatsächlichen Verkaufspreisen bereitgestellt sowie Bewertungen der neuesten Gesundheitstechnologien veröffentlicht werden. 

Durch die Pandemie wurde die Umsetzung der Telemedizin, der virtuellen Versorgung und der Fernberatung beschleunigt. Zwischen MOEL und westeuropäischen Ländern bestehen jedoch große Lücken in Bezug auf die Weiterentwicklung der Digitalisierung und der eHealth-Lösungen. 

Laut dem 2022 Digital Economy and Society Index verfügen Finnland, Dänemark, die Niederlande und Schweden über die fortschrittlichsten digitalen Volkswirtschaften in der EU, während Rumänien, Bulgarien und Griechenland am Ende der Bewertungstabelle stehen.

Die Verbesserung der Infrastruktur, die Erhöhung des Internetzugangs, die Schulung von Informations- und Kommunikationstechnologiespezialisten, die Festlegung von Datenschutz-Rahmenbedingungen sowie die Aufforderung der Bevölkerung zur Nutzung digitaler Hilfsmittel stellen Verbesserungen außerhalb des Gesundheitswesens dar, die die Grundlage eines Systems bilden könnten, das dafür bereit ist, Big Data und KI zu nutzen. 

EU-Politik überbrückt die Kluft

Im Mittelpunkt der Bemühungen der EU steht die Aufbau- und Resilienzfazilität, die Kredite und Zuschüsse zur Unterstützung der Wiederherstellung von durch COVID-19 verursachten Schäden bereitstellt, wobei Länder wie die Slowakei, Bulgarien, Kroatien, die Tschechische Republik, Deutschland und Portugal zu den Begünstigten gehören. Durch die Fazilität wurden 724 Milliarden Euro an Mitteln zur Verfügung gestellt, wobei ein beträchtlicher Teil für die digitale Transformation in verschiedenen Sektoren, einschließlich des Gesundheitswesens, bestimmt ist und den MOEL besondere Priorität eingeräumt wird. 

Die MOEL können auch erheblich vom EU4Health-Programm profitieren, dessen Ziel es ist, die öffentliche Gesundheit und die Gesundheitssysteme in den Mitgliedsstaaten zu verbessern. Die Laufzeit des Programms ist von 2021 bis 2027 angesetzt, und es umfasst ein Budget von 5 Milliarden Euro.

Der Europäische Gesundheitsdatenraum und die Arzneimittelstrategie für Europa stellen Möglichkeiten zur Abstimmung von Datenstandards und pharmazeutischen Vorschriften sowie Kostenerstattungsmöglichkeiten für die gesamte EU zur Verfügung. 

Diese Initiativen sind „Werkzeuge, um die Gesundheitssysteme von morgen aufzubauen“, sagt Stella Kyriakides, European Commissioner for Health and Food Safety. „Wir werden sicherstellen, dass kein Bürger oder Mitgliedstaat zurückgelassen wird.“ 

Gemeinschaftliche Bemühungen haben zum Ziel, die Gesundheitssysteme der MOEL gegen zukünftige wirtschaftliche Belastungen widerstandsfähiger zu machen. Damit sie erfolgreich sein können, müssen mehrere staatliche Stellen zusammenarbeiten.