Von der Klinik in den Bundestag

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Berlin/Ludwigshafen (pag) – Chefarzt und Bundestagsmitglied: Prof. Armin Grau ist zurzeit beides. Zum Video-Gespräch begrüßt er uns im weißen Kittel aus seinem Büro im Klinikum Ludwigshafen. Die Regale sind bereits leergeräumt und die letzten Patientenkontakte stehen dem Chefarzt der Neurologischen Klinik bevor. Im Gespräch erzählt der Abgeordnete der Grünen, was sich in der Krankenhausversorgung ändern muss, warum er Vollzeit in die Politik wechselt und weshalb er zunächst kein Gegner des DRG-Systems war.

Univadis: Guten Tag Herr Prof. Grau, wir erreichen Sie heute im weißen Kittel im Krankenhaus. Sie sind neu im Bundestag. Allein von Berufswegen ist ihr Steckenpferd Krankenhauspolitik. Was muss getan werden?

Grau: Wir brauchen eine Struktur- und Finanzierungsreform für die Krankenhäuser, eine bessere Investitionsfinanzierung, eine Reform des DRG-Systems und der Krankenhausplanung. Und wir brauchen einen neuen Aufschlag in der sektorenübergreifenden Versorgung. Wir müssen dahinkommen, dass regionale Betrachtungsweisen mehr zählen als die sektoralen.

Univadis: Auf der Agenda steht aber noch mehr, oder?

Grau: Richtig. Nehmen wir die Pflege im Krankenhaus. Wir brauchen ein Personalbemessungsinstrument. Wir müssen von den reinen Untergrenzen weg. Und wir brauchen eine ÖGD-Reform. Die Gelder, die der Bund jetzt in den Öffentlichen Gesundheitsdienst steckt, müssen kontinuierlich fließen. Der ÖGD muss gut ausgestattet sein, um seine vielfältigen Aufgaben erfüllen zu können.

Univadis: Apropos Pflege: Wie stehen Sie zur Akademisierung?

Grau: Sehr positiv. Die Akademisierung gehört zum gesamten Portfolio, um die Pflege attraktiver zu machen. Mittelfristig kann sie dazu führen, dass mehr Menschen in diesem Bereich arbeiten wollen. In den letzten 35 Jahren ist der Pflegeberuf geschwächt worden. Die Akademisierung kann da einiges wieder zurückholen.

Univadis: War die Ausgliederung der Pflege aus den DRGs sinnvoll und hilfreich?

Grau: Ja, ich habe vieles an der Politik von Herrn Spahn kritisiert. Doch an dieser Stelle habe ich meinen Hut gezogen. Das hat er richtig gut gemacht und war mutiger, als ich erwartet hatte. Aber auch hier steckt der Teufel im Detail.

Univadis: Wo genau?

Grau: Die Kliniken bleiben teilweise auf den Pflegebudgets sitzen, weil es nach wie vor Streitpunkte gibt. Die Verhandlung der Pflegebudgets ist sehr aufwändig und konfliktbehaftet. Es wird darüber gestritten, was eigentlich zur Pflege im Krankenhaus gehört. Auch eine Abgrenzungsvereinbarung hat nicht wirklich viel geholfen. Etliche Kliniken haben aus diesem Grund bislang auch für 2020 keine endgültigen Pflegebudgets verhandelt. Viele Fälle landen bei den Schiedsgerichten.

Univadis: Heißt das, examinierte Pflegekräfte teilen das Essen aus?

Grau: Das ist zum Teil der Fall. Stellen von Pflegehilfskräften wurden in einzelnen Kliniken abgebaut, was sicherlich keine gute Entscheidung war. In den Personaluntergrenzen sind die Hilfskräfte nicht eingeplant. Dadurch ist der Abbau dieser Stellen nicht geschützt.

Univadis: Sie haben die DRG-Reform angesprochen. In welche Richtung muss diese gehen?

Grau: Seit zehn Jahren sage ich, dass wir vom reinen Gedanken „Das Geld folgt der Leistung“ wegkommen müssen. Wir müssen stattdessen hin zum Gedanken: „Das Geld folgt der Leistungsfähigkeit“. Wir müssen Vorhaltekosten finanzieren. Da kann man einzelne Berechnungen des InEK durchaus benutzen, aber es muss eine andere Systematik bekommen. Es ergibt keinen Sinn, die ganzen Vorhaltekosten, die im Krankenhauswesen mitunter einen erheblichen Teil ausmachen, über die Summe der einzelnen Fälle – ich mag das Wort nicht, ich spreche lieber von Patientinnen und Patienten – zu finanzieren. Wenn ich am Standort X in der Akutversorgung ein Arbeitszeitmodell mit drei Schichten in einem bestimmten Bereich benötige, dann muss das vorneweg finanziert werden. Diese Finanzierung muss fallzahlunabhängig erfolgen.

Univadis: Damit stehen Sie nicht allein da. Wo sehen Sie Ihre Verbündeten in der Politik?

Grau: Der Koalitionsvertrag beschreibt ein Vorgehen in dieser Richtung. Zunächst wird aber eine Kommission dazu eingerichtet.

Univadis: Aber in der Krankenhauspolitik muss es einen großen Wurf geben. Sollte man die DRG-Neugestaltung nicht als Teil der großen Strukturreform angehen?

Grau: Wir brauchen eine Strukturreform im Krankenhauswesen. Eine solche Strukturreform ist ein längerfristiges Projekt, das wir gemeinsam mit den Ländern bald einleiten müssen und das sich sicher in der Umsetzung über viele Jahre hinziehen wird. Wir müssen einen Transformationsprozess im Krankenhaus anstoßen und der wird Zeit brauchen. Die Krankenhausfinanzierung aber würde ich gerne davon etwas abkoppeln. Gleich wie nachher die Struktur im Einzelnen aussieht, muss meines Erachtens dem Gedanken Rechnung getragen werden, Vorhaltekosten in der Betriebskostenfinanzierung separat zu bezahlen, um das Hamsterrad in den Krankenhäusern anzuhalten.

Univadis: Auch für die sektorenübergreifende Versorgung ist eine neue Finanzierungsform notwendig …

Grau: Ja. Wir machen in der Ampel den ganz konkreten Vorschlag der Hybrid-DRGs: Eine Leistung wird bezahlt, egal ob sie stationär, ambulant oder teilstationär erbracht wird. Das würde zu einer Verbesserung der sektorenübergreifenden Vernetzung beitragen. Man kann auch vieles in der Zusammenarbeit der Sektoren verbessern, ohne hier gleich eine große Finanzierungsreform zu brauchen.

Univadis: Der Trend geht zur Ambulantisierung. Ein mutiger Versuch, der nicht so richtig Tritt gefasst hat, ist die ambulante spezialfachärztliche Versorgung, die ASV. Richtig zum Fliegen ist sie nie gekommen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Grau: Die ASV ist sehr bürokratisch und kleinteilig. Zum Teil werden recht kleine Indikationsbereiche für sich beackert, anstatt den großen Wurf zu wagen.

Univadis: Hat das vielleicht auch etwas mit Vertrauenskultur zu tun?

Grau: Die ist in unserem Gesundheitswesen sicher viel zu schwach ausgeprägt.

Univadis: Ist das auch der Grund, warum Sie als Kliniker in die Bundespolitik wechseln?

Grau: Ich war immer ein politisch interessierter Mensch. Ich habe vor der Medizin Politik studiert und bin seit 1983 bei den Grünen. Schon am Anfang meiner ärztlichen Tätigkeit habe ich überlegt, ob ich mich irgendwann noch einmal stärker politisch einbringe. Diese Grundmotivation gab es immer. Der andere Motivationsstrang ist meine mehrjährige Erfahrung als Chefarzt. Ich habe in zwei Kliniken das DRG-System eingeführt. Ich war der Ansicht, dass die tagesgleichen Pflegesätze ausgedient haben. Damals gab es einen starken Fehlanreiz hin zu langen Liegezeiten. Es war teilweise grotesk, wie lange die Menschen in den Krankenhäusern lagen. Ich habe ein paar Jahre gebraucht, um zu sehen, dass das DRG-System auch ganz gravierende Fehlanreize setzt und zu einer Kommerzialisierung in der Medizin beiträgt. Im Verhältnis zu den Geschäftsführungen haben die Ärzte immer mehr an Boden verloren. Aktuell folgt die Leistung sehr stark dem Geld, nicht den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten. Vieles könnten wir ambulant und teilstationär machen, was heute im Krankenhausbett gemacht wird. Ich will dazu beitragen, das Ganze ein ganz kleines bisschen in die richtige Richtung zu bewegen.

Univadis: Sind KV- und Klinikwelt überhaupt miteinander kompatibel?

Grau: Heute sind es zwei getrennte Bereiche. Wir müssen sie allmählich zusammenführen. Wir müssen anfangen, auf Landesebene gemeinsame Gremien zu schaffen, die mit Leben gefüllt sind. Die Gremien nach Paragraph 90a des SGB V leben zum Beispiel oft noch zu wenig. Wir brauchen eine gemeinsame Planung auf Landesebene. Ich bin ein großer Anhänger von gutgemachten Gesundheitskonferenzen im regionalen Bereich. Sinnvoll wäre auch eine Landesgesundheitskonferenz. Die Player müssen an einen Tisch. Wir brauchen dabei Gesundheitskonferenzen unter Einschluss von Patientinnen und Patienten.

Univadis: Hätten die Grünen gerne das Bundesgesundheitsministerium bekommen?

Grau: Ich hätte mich über eine grüne Ministerin gefreut. Aber das Gesundheitsministerium ist im Moment eine heiße Kartoffel. Ich war auch nicht optimistisch, dass wir Grünen es bekommen.

Univadis: Noch sind Sie beides, behandelnder Arzt und Bundestagsabgeordneter. Wie ist ihre Gefühlslage in den letzten Tagen in der Klinik?

Grau: Ich bin seit der Bundestagswahl nur noch sehr wenig in der Klinik; mein Leitender Oberarzt ersetzt mich sehr gut. Natürlich ist es noch ein fremdes Gefühl, kaum mehr Patienten zu sehen. Ich habe schließlich 35 Jahre lang intensiv mit Patienten gearbeitet. Ich hatte erst überlegt, noch Sprechstunden anzubieten. Aber das ist nicht praktikabel und funktioniert nicht gut. Es schafft nur Hektik und Unzufriedenheit. Ich habe mich dagegen entschieden und mache einen Cut. Ich werde Anfang März meine letzten Visiten machen und das war‘s dann. Mein Büro in der Klinik ist schon ausgeräumt.