Vagusnervstimulation - eine wenig bekannte Option bei Depressionen

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaften

Standardtherapie bei Depressionen sind Antidepressiva und Psychotherapie. In besonders schweren Fällen kann auch eine Elektrokonvulsionstherapie indiziert sein. Oder eine Vagusnervstimulation (VNS). Die VNS sei eine zugelassene, wirksame und gut verträgliche Langzeittherapie bei chronischen und therapieresistenten Depressionen, schlussfolgert ein Autorenteam um Dr. Christine Reif-Leonhardt vom Universitätsklinikum Frankfurt a.M. in einem aktuellen Zeitschriftenbeitrag. Im Gegensatz zu geläufigeren Behandlungen wie EKT seien Kenntnisse über die VNS, deren Kosten in Deutschland von den Krankenkassen übernommen würden, sowohl in der Allgemeinbevölkerung als auch in Fachkreisen gering.

Seit rund 20 Jahren in der EU eine verfügbare Option bei Depressionen

Die invasive VNS ist, wie die Autoren berichten, seit 1994 in der Europäischen Union und seit 1997 in den USA für die Behandlung von Kindern mit medikamentös therapierefraktärer Epilepsie zugelassen. Da sich bei Erwachsenen nach etwa drei Monaten VNS positive und anhaltende Effekte auf die Stimmung gezeigt hätten, die von der antikonvulsiven Effektivität unabhängig gewesene seien, sei „ein genuin antidepressiver Effekt der VNS postuliert“ und so die Weiterentwicklung als antidepressives Therapieverfahren angestoßen worden. 

2001 habe ein VNS-System in der EU erstmals eine CE-Zertifizierung für die Behandlung von Patienten mit chronischer oder rezidivierender Depression erhalten, die unter einer therapieresistenten Depression litten oder die aktuelle Depressions-Therapie nicht tolerierten. 2005 sei die VNS in den USA zur Behandlung von mindestens 18-jährigen Patienten mit therapieresistenten Major-Depression zugelassen worden, denen mindestens vier antidepressive Therapien nicht adäquat geholfen hätten. 

Sham-kontrollierte Studien noch Mangelware

In den letzten 20 Jahren gab es laut Christine Reif-Leonhardt und ihren Kollegen mehrere Studien und Fallserien zur VNS bei therapieresistenten depressiven Patienten. Viele unterstrichen zwar den zusätzlichen Nutzen der VNS als adjuvantes Verfahren; allerdings seien es Beobachtungsstudien; Sham-kontrollierte Studien seien aufgrund methodischer Schwierigkeiten und ethischer Probleme Mangelware. Die größte Langzeitstudie sei eine Registerstudie, in der bei 494 Patienten mit TRD die Kombination der üblichen antidepressiven Therapie mit der VNS erprobt worden sei.  Zur Kontrollgruppe der %-Jahres-Studie gehörten 301 Patienten, die allein die übliche Therapie erhielten. Sowohl das kumulative Ansprechen auf die Therapie (68 % vs. 41 %) als auch die Remissionsraten (43 vs. 26%) waren den Autoren zufolge in der Gruppe mit VNS signifikant größer. Besonders gut auf die VNS angesprochen hätten Patienten, die zuvor von mindestens einer EKT-Serie mit mindestens sieben Sitzungen. Allerdings habe die kombinierte Therapie auch bei den EKT-Nonrespondern besser gewirkt als die übliche Therapie alleine. 

Bislang gebe es jedoch nur eine Sham-kontrollierte Studie zur VNS-Behandlung bei TRD. Hier sei die VNS einer Sham-Stimulation über einen Beobachtungszeitraum von zehn Wochen nicht signifikant überlegen gewesen. Beobachtungsstudien hätten allerdings Hinweise darauf geliefert, dass der antidepressive Effekt der VNS erst nach einer Behandlungsdauer von mindestens 12 Monaten eintrete. Zusammengefasst deuten die Daten laut Christine Reif-Leonhardt und ihren Kollegen darauf hin, dass Unterschiede in der Responserate und bei den Therapieeffekten erst im längerfristigen Verlauf nach 3 bis 12 Monaten zu beobachten sind und mit zunehmender Therapiedauer die VNS-Effekte auch größer werden“. Dies lasse annehmen, „dass der Wirkmechanismus der VNS auf neuroplastische bzw. adaptive Phänomene zurückzuführen sein dürfte“. 

Typische und häufige chirurgische Nebenwirkungen seien Schmerzen und Parästhesien. Durch Irritation des Nervs träten bei etwa jedem 3. Patienten postoperativ Heiserkeit und Stimmveränderung auf. Ernste Nebenwirkungen und Komplikationen wie passagere Schluckstörungen seien selten. Durch Reduktion der Stimulationsintensität oder Senkung von Stimulationsfrequenz oder Impulsbreite könnten die stimulationsassoziierten Nebenwirkungen gemildert oder sogar beseitigt werden. Aufgrund von Kabelbrüchen oder zum Austausch der Batterie (Lebensdauer 3 bis 8 Jahre) könne ein erneuter kleiner chirurgischer Eingriff notwendig werden. 

Kriterien für eine VNS-Therapie bei Depressionen

Wann sollte nun eine VNS in Erwägung gezogen werden? Die Autoren nennen folgende Kriterien:

  • Unzureichendes Ansprechen auf mindestens zwei Antidepressiva unterschiedlicher Substanzklassen (idealerweise einschließlich eines Trizyklikums) in ausreichender Dosierung und Dauer sowie zwei Augmentationsstrategien (etwa Lithium, Quetiapin) in Kombination mit einer Richtlinien-Psychotherapie
  • Nichttolerierbare Nebenwirkungen einer Pharmakotherapie bzw. Kon- traindikationen gegen medikamentöse Therapieverfahren
  • EKT-Responder mit Rückfällen oder Residualsymptomen nach Beendigung der (Erhaltungs-)EKT, nichttolerablen EKT-Nebenwirkungen oder der Notwendigkeit von Erhaltungs-EKT
  • Wiederholte oder lange Krankenhaus-Behandlungen aufgrund einer Depression.