UN-Bericht: Wird das Potenzial von Hebammen unterschätzt?
- Deepa Koli
- Medizinische Nachricht
„Eine qualitativ hochwertige Versorgung von Müttern und Neugeborenen kann eine Herausforderung darstellen, aber die Hebammenarbeit stellt eine grundlegende Lösung für diese Herausforderungen dar“, sagte Florence Bauer, Direktorin des United Nations Population Fund (UNFPA) Regional Office for Eastern Europe and Central Asia (EECA). Sie äußerte sich am Welt-Hebammentag 2023 bei der Veröffentlichung des Berichts „The State of the Midwifery Workforce in Eastern Europe and Central Asia“.

Laut dem Bericht können angemessen geschulte Hebammen etwa 90 % des Bedarfs an wesentlichen Interventionen in den Bereichen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit sowie der Gesundheit der Mutter, des Neugeborenen und Jugendlicher erfüllen. In den 17 teilnehmenden EECA-Ländern werden nur 8 % dieser Interventionen von professionellen Hebammen durchgeführt, bei nur 5,5 Hebammen pro 10.000 Einwohner. Die Dichte der Hebammen variiert zwischen den Ländern stark, wobei die höchste Dichte mit 16,2 pro 10.000 Einwohner in Weißrussland gegeben ist und die niedrigste mit 1,4 pro 10.000 Einwohnern in Georgien. Nur 54 % der EECA-Länder erkennen die Hebammenarbeit rechtlich als von der Krankenpflege getrennte Profession an, verglichen mit 95 % der Länder in Westeuropa.
Etwa 70 % der EECA-Länder verfügen über Leitlinien, die eine von der Hebamme durchgeführte Versorgung während der Schwangerschaft, bei der Geburt und in der postnatalen Phase empfehlen. Die Daten zeigen jedoch, dass diese Leitlinien zwar in der Praxis existieren, aber nicht immer umgesetzt werden, so Andrea Nove, technische Leiterin von Novametrics, einem britischen Beratungsunternehmen für Forschungs- und Wissensmanagement. Sechs Länder verfügen über ein Regulierungssystem, das speziell für Hebammen gilt, keines verfügt jedoch über eine eigene Regulierungsbehörde für Hebammen. Auch sind Hebammen kaum in Führungspositionen vertreten: lediglich Tadschikistan gab überhaupt Hebammen als Führungskräfte an. Im Vergleich zum weltweiten Durchschnitt schränken die EECA-Länder und -Territorien zudem den Aufgabenbereich von Hebammen bezüglich der grundlegenden Versorgung durch Geburtshilfe im Notfall und für Neugeborene ungewöhnlich streng ein.
Hebammen verfügen über das Potenzial, umfassender zu den Versorgungsaktivitäten beizutragen – etwa um die medizinische Grundversorgung und die allgemeinen Gesundheitsversorgung sowie die Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen zu fördern und deren sexuelle und reproduktive Rechte anzusprechen. Aufgrund ihrer sozialen Nähe können Hebammen auch als Vertreterinnen des gesellschaftlichen Wandels agieren sowie die Stärkung der Rolle der Frau und Verhaltensänderungen fördern, insbesondere in der Familienplanung und der Auseinandersetzung mit nachteiligen sozialen und geschlechtsspezifischen Normen. Darüber hinaus können sie im sozialen Umfeld als Ansprechpartnerinnen für sexuelle und reproduktive Gesundheitsleistungen dienen und Selbstversorgungsinterventionen unterstützen, wie z. B. die Selbstüberwachung des Blutdrucks während der Schwangerschaft.
Frauen in der EECA sind jedoch aufgrund der Geschlechterdiskriminierung und der patriarchalen Einstellung gegenüber den Rollen von Frauen und Männern in Bezug auf eine Karriereentwicklung immer noch mit Hindernissen konfrontiert. Auch der Rückgang der öffentlichen Investitionen in die Sozialfürsorge erhöht für Frauen die Last unbezahlter Arbeit. Die COVID-19-Pandemie hat diese Probleme verschärft und es Frauen mit Kindern weiter erschwert, einer bezahlten Arbeit nachzugehen. Hebammen, die überwiegend Frauen sind, benötigen eine geschlechtsspezifische Politik und Praxis, die sie stärkt und befähigt.
Laut einer Analyse von Daten aus Aserbaidschan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan könnte die flächendeckende Versorgung durch Hebammen bis zum Jahr 2035 über 20.000 Menschenleben pro Jahr retten.
„Hebammen sollten innerhalb des Gesundheitssystems eines Landes als unerlässliche Investition angesehen werden. Dieser Bericht ermutigt die Befürworter, die in diesem Bericht aufgeführten Evidenzen zu nutzen, um die Wahrnehmung zu verändern. Hebammen stellen eine Investition dar, die nicht nur gesundheitliche Vorteile, sondern auch einen sozioökonomischen Nutzen bringt“, sagte Nove.
Der Bericht empfiehlt Investitionen in vier Schlüsselbereiche, um Hebammen dabei zu helfen, ihr Potenzial auszuschöpfen:
- Arbeitskräfteplanung im Gesundheitswesen, Management und Regulierung des Arbeitsumfelds
- qualitativ hochwertige Aus- und Weiterbildung von und für Hebammen
- von Hebammen durchgeführte Verbesserungen bei der Erbringung von Gesundheitsleistungen
- Verbesserung der Vertretung in Führungs- und Regierungsrollen
Diese Investitionen sollten auf Landesebene und auf regionaler Ebene von den Regierungen, politischen Entscheidungsträgern, Regulierungsbehörden, Ausbildungseinrichtungen, Berufsverbänden, internationalen Organisationen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Forschern in Erwägung gezogen werden.
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