Ukraine-Krieg: weltweite Ernährungskrisen, aber nicht in Deutschland
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
In der Ukraine ist die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln drei Wochen nach Beginn des Krieges nicht mehr ausreichend gesichert. Das könnte, wie von Univadis berichtet, Erinnerungen an den Holodomor (holod bedeutet Hunger und mor Mord) unter Josef Stalin wecken.
Der Krieg gefährdet jedoch nicht allein die Lebensmittel-Versorgung in der Ukraine. „Die russische Invasion der Ukraine wird immense Konsequenzen für Millionen von Ukrainer haben, für die Sicherheit in Europa, für die Energiemärkte, aber auch für die Agrarmärkte und die weltweite Ernährungssicherheit“, erklärt Dr. Stephan von Cramon-Taubadel, Professor für Agrarpolitik am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung (Universität Göttingen), gegenüber dem „Science Media Center“ (SMC).
„Die Ukraine, Kasachstan und Russland machten in den letzten Jahren etwa 25 Prozent der globalen Getreideexporte (hauptsächlich Weizen und Mais) aus. Infolge der Invasion wird die ukrainische Getreideproduktion wahrscheinlich um mindestens 35 Millionen Tonnen im Vergleich zu 2021 fallen“, berichtet der Agrarwissenschaftler weiter. Zusätzlich, so Stephan von Cramon-Taubadel, würden Schäden an der Infrastruktur, etwa an Hafenanlagen, den Export von Produktionsüberschüssen verringern. Die russische Produktion werde höchstwahrscheinlich nicht betroffen sein, aber logistische und finanzielle Restriktionen würden russische Getreideexporte verzögern, umleiten und möglicherweise auch reduzieren.
Die internationalen Getreidemärkte waren dem Wissenschaftler zufolge schon vor der Invasion belastet; die internationalen Getreidevorräte seien gering, „und der Welthunger in den letzten Jahren wieder gestiegen". Daher seien Getreidepreise auch „gegenüber kleinen Angebotsschocks sehr empfindlich“. Die Getreidepreise seien seit dem Beginn der Invasion um 50 Prozent auf historische Höchststände gestiegen.
„Für die Ernährungssicherheit in einkommensstarken Ländern wie Deutschland stellen verringerte Getreideexporte aus der Region des Schwarzen Meeres keine Bedrohung dar“, betont der Wissenschaftler weiter. Die Inflation der Nahrungsmittelpreise werde zwar zunehmen, weil Getreide als Grundnahrungsmittel und als Futtermittel für die Viehzucht wichtig sei. „Deutsche geben aber durchschnittlich nur 14 bis 15 Prozent ihres Einkommens für Essen und Trinken aus, sodass die meisten Haushalte damit zurechtkommen können, und die deutsche Regierung kann gezielte Sozialhilfe für Haushalte leisten, die das nicht können“, so Stephan von Cramon-Taubadel.
In einkommensschwachen Ländern sei die Situation jedoch ganz anders. Die Inflation der Nahrungsmittelpreise treffe jene Haushalte sehr hart, die jetzt schon 50 Prozent ihres Einkommens oder mehr für Essen ausgäben. Als direkte Folge der russischen Invasion der Ukraine bedrohten zunehmende Getreideknappheit und hohe Preise die Ernährungssicherheit von Hunderten Millionen Menschen, besonders in Afrika und Südostasien.
„Sprunghaft ansteigende Preise für Grundnahrungsmittel wie Weizen und Mais sind vor allem für arme Menschen ein Problem und bedeuten mehr Hunger“, betont auch Dr. Matin Qaim, Professor für Agrarökonomie und Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung (Universität Bonn) gegenüber dem SMC. „Die Situation könnte sich in den kommenden Monaten weiter zuspitzen, weil die größten Mengen aus der Schwarzmeer-Region im Normalfall im Sommer und Herbst geerntet und exportiert werden. Sollten diese Mengen im laufenden Jahr komplett fehlen, könnte die Zahl der hungernden Menschen kurzfristig um über 100 Millionen ansteigen.“
„In Europa steigen die Preise für Lebensmittel ebenfalls, was arme Bevölkerungsschichten besonders trifft“, so Matin Qaim weiter. Hier sollten seinen Angaben zufolge soziale Ausgleichsmechanismen für besonders Bedürftige greifen. Insgesamt sei Europa aber weniger stark auf Lebensmittelimporte aus Russland und der Ukraine angewiesen. Matin Qaim: „Von leeren Regalen in Europa ist also nicht auszugehen.“
Auch Stefanie Sabet, Geschäftsführerin der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, glaubt laut einem Bericht in der „Zeit“ , dass generell kein Anlass zur Sorge für leere Supermärkte bestehe. „Aufseiten der Produktion sehen wir allerdings erhebliche Kostensteigerungen", wird sie in dem Bericht zitiert. „In der Ukraine ist der Warenfluss komplett zusammengebrochen", sagt Sabet. Auch die steigenden Energiekosten und die steigenden Benzinpreise seien Grund für die Preissteigerungen von Lebensmitteln, wird zudem Christian Böttcher, Leiter für Politik und Kommunikation des Bundesverbandes des Deutschen Lebensmittelhandels e. V. (BVLH) zitiert. Dass jedoch die Regale in Deutschland tatsächlich von einer plötzlichen Leere befallen seien, sehe auch er nicht.
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