Ukraine-Krieg erhöht Risiko von globalen Ernährungskrisen
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Kernbotschaften
In der Ukraine wachst das Risiko einer unzureichenden Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln. Dass Menschen mitten in Europa hungern, kann Realität werden. Das könnte insbesondere in der Ukraine Erinnerungen an die Jahre 1931 bis 1934 wecken: „Mindestens 5 Millionen Menschen verhungerten in der ganzen Sowjetunion zwischen 1931 und 1934, darunter mehr als 3,9 Millionen Ukrainer“, schreibt die US-amerikanische Osteuropa-Expertin und Journalistin Anne Applebaum in ihrem Buch über den so genannten Holodomor (holod bedeutet Hunger und mor Mord) in der Ukraine („Roter Hunger. Stalins Krieg gegen die Ukraine“).
Lebensmittel-Knappheit kein nur lokales Problem
Es sei zwar noch lange nicht so weit, dass Millionen von Menschen in der Ukraine verhungerten, schreiben Michael J. Puma (Columbia University’s Climate School) und Megan Konar (Universität von Illinois) in einem Beitrag in der „New York Times“. Aber die Lebensmittel-Knappheit werde anders als damals keine isolierte Krise bleiben. Was jetzt in der Ukraine geschehe, strahle bereits auf andere Länder aus und bedrohe die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln in weniger wohlhabenden Ländern, die auf die Ausfuhr von Getreide und von anderen Nahrungsmitteln aus der Ukraine und Russland angewiesen seien, so Pumar und Konar, die sich beide wissenschaftlich mit der globalen Lebensmittel-Versorgung befassen. So sei, wie sie weiter erklären, die Ukraine eine der Kornkammern der Welt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion seien die Ukraine und Russland Nettoimporteure von Getreide gewesen. Heute entfielen auf diese beiden Länder 29 Prozent der weltweiten Weizenexporte, 19 Prozent der weltweiten Mais- und 80 Prozent der weltweiten Sonnenblumenölexporte.
Ernährungslage in armen Ländern wird noch schlechter
Vor allem arme Länder seien durch kriegsbedingt höhere Preise für Getreide stark bedroht: Länder wie Bangladesch, Sudan und Pakistan bezogen 2020 etwa die Hälfte oder mehr ihres Weizens aus Russland oder der Ukraine. Als die Ukraine vor mehr als zehn Jahren ihre Weizenexporte eingeschränkt habe, seien in den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas die Lebensmittelpreise 2010 sprunghaft gestiegen, berichten die beiden Wissenschaftler; dies habe die bis dahin kontinuierliche Versorgung dieser Länder mit Lebensmitteln beeinträchtigt und zur politischen Instabilität in der gesamten Region beigetragen.
Pandemiebedingte Unterbrechungen der Lieferketten hätten die Preise für Lebensmittel und andere Grundnahrungsmittel bereits in die Höhe getrieben. Erschwerend komme hinzu, dass Russland und Weißrussland auch wichtige Exporteure von Düngemitteln seien, wobei Russland weltweit führend sei. Die Düngemittelknappheit gefährde die weltweite Pflanzenproduktion zu einem Zeitpunkt, an dem die 13 % der weltweiten Mais- und 12 % der weltweiten Weizenexporte aus der Ukraine ganz oder teilweise ausfallen könnten.
„Hunger darf keine Kriegswaffe werden"
Der Einmarsch Russlands in der Ukraine habe die ohnehin schon bestehenden Probleme der globalen Lebensmittel-Versorgung noch erheblich verschärft und bedrohe auch die Sicherheit der Länder, die bereits mit der Ernährung ihrer Bevölkerung zu kämpfen hätten. Die internationale Gemeinschaft müsse daher Maßnahmen ergreifen, um die sich von der Ukraine ausbreitende Nahrungsmittelkrise zu verhindern. „Wir müssen verhindern, dass Hunger und Hungersnot im 21. Jahrhundert in der Ukraine und anderswo als Kriegswaffe eingesetzt werden“, so Pumar und Konar abschließend:
Besorgt über die Versorgungslage der Zivilbevölkerung in der Ukraine sind auch die Vereinten Nationen. Das Schwarzmeerbecken sei eines der wichtigsten Gebiete der Welt für die Getreide- und Agrarproduktion, heißt es in einer Mitteilung. Die Auswirkungen des Konflikts auf die Ernährungssicherheit würden wahrscheinlich über die Grenzen der Ukraine hinaus spürbar sein, insbesondere für die Ärmsten der Armen. Die Unterbrechung des Getreidestroms aus der Schwarzmeerregion werde die Preise weiter in die Höhe treiben. So sei der globale Weizenpreis seit dem russischen Angriff vor mehr als einer Woche bereits um rund ein Drittel gestiegen.
Die Lage für die Menschen in der Ukraine habe sich durch die erbitterten Kämpfe dramatisch zugespitzt, sagt auch Martin Frick, WFP-Direktor in Deutschland (WFP: World Food Programme). Die Menschen harrten in Kellern aus und könnten nur unter größter Gefahr Besorgungen machen. „Gerade aus Kiew und Charkiw erreichen uns Berichte, dass Nahrungsmittel ausgehen und Trinkwasser knapp wird", so Frick in einem „ZDF-Beitrag“. Die Priorität der UN-Organisation sei es jetzt, Versorgungswege nach Kiew und in die Epizentren des Konflikts zu etablieren, bevor die Kämpfe weiter eskalierten. Ein internationales Team sei bereits in der Ukraine und den Nachbarstaaten, um Hilfe zu koordinieren. Lkw mit 400 Tonnen Nahrungsmitteln seien aus der Türkei unterwegs. „Kampfhandlungen und Fluchtbewegungen im ganzen Land machen die Lage aber auch für Helferinnen und Helfer unübersichtlich", so Martin Frick in dem „ZDF-Beitrag“.
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