Typ-1-Diabetes in der Adoleszenz: Verapamil kann Restfunktion der Pankreaszellen erhalten

  • Nicola Siegmund-Schultze
  • Studien – kurz & knapp
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Kernbotschaften

Bei Kindern und Jugendlichen mit neu diagnostiziertem Typ-1-Diabetes verzögert der Kalziumkanalblocker Verapamil einen weiteren Funktionsverlust der insulinproduzierenden ß-Zellen. Erhalten die Patienten zusätzlich zu einer Diabetesbehandlung Verapamil, bleibt eine Restfunktion der Pankreaszellen einer randomisierten Studie zufolge weitgehend erhalten – zumindest für den Beobachtungszeitraum von einem Jahr. Eine Restfunktion der ß-Zellen erleichtert die Blutzuckerregulierung.

Hintergrund 

Ende der 1990er Jahre wurde entdeckt, dass bei Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes ein systemischer oxidativer Stress vorliegt und dieser bis zum frühen Erwachsenenalter weiter zunimmt (1). Der oxidative Stress fördert die durch Autoimmunreaktionen in Gang gesetzte Zerstörung der Langerhanszellen und damit die Ausbildung eines Diabetes mellitus (2). Kalziumkanalblocker wie Verapamil wiederum wirken - unter anderem – der Expression eines Proteins entgegen, das den Abbau reaktiver Sauerstoffspezies hemmt: des Thioredoxin Interacting Proteins TXNIP. Auf diesen beiden Erkenntnissen basierten zunächst Tierversuche zu potenziell protektiven Effekten von Kalziumkanalblockern auf ß-Zellen und, als diese ein positives Ergebnis erbracht hatten, frühe klinische Studien beim Menschen. Nun ist eine prospektiv randomisierte Phase-3-Untersuchung zur Wirkung von Verapamil auf die ß-Zellrestfunktion bei Kindern und Jugendlichen mit neu diagnostiziertem Typ-1-Diabetes in der Zeitschrift JAMA (doi:10.1001/jama.2023.20643) publiziert worden.

Design

  • Studienform: prospektiv randomisierte, doppelblinde Phase-3-Studie (Hybrid Closed Loop Therapy and Verapamil for Beta Cell Preservation in New Onset Type 1 Diabetes; CLVer)

  • Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer: Kinder und Jugendliche (7-17 Jahre) mit neu diagnostiziertem Diabetes mellitus Typ 1

  • Randomisierung: 

    • zu gleichen Anteilen in 4 Gruppen: Verapamil plus intensive Diabetesbehandlung über eine automatisiertes Insulinpumpensystem oder 

    • Verapamil plus Standardtherapie und 

    • jeweils eine Placebogruppe mit intensivierter Therapie oder Standardbehandlung

  • Verapamil wurde gewichtsadaptiert verabreicht, beginnend mit 60 oder 120 mg pro Tag und in 2-4 wöchigen Intervallen erhöht auf maximal 360 mg/Tag.

  • Primärer Endpunkt: C-Peptid (Area under the Curve, AUC) nach einer Probemahlzeit zu Woche 52; das C-Peptid ist Teil des Proinsulins und ein labordiagnostischer Marker für die Eigenproduktion von Insulin

Hauptergebnisse 

  • Von den 88 randomisierten Patienten waren etwas mehr als die Hälfte männlich und 58 % der Gesamtgruppe hatten eine diabetische Ketoazidose bei Diagnose.

  • In der Verapamilgruppe lag der AUC-Wert des C-Peptids zu Studienbeginn bei 0,66 pmol/ml und war nach 52 Wochen um lediglich 0,01 pmol/ml auf 0,65 pmol/ml abgefallen.

  • In der Placebogruppe sank der AUC-Wert des C-Peptids von 0,60 pmol/ml zu Studienbeginn auf 0,44 pmol/ml nach 52 Wochen.

  • Der adjustierte C-Peptid-Wert war in der Verapamilgruppe damit um 30 % höher als im Placeboarm.

  • In dem für eine gute glykämische Kontrolle erforderlichen Insulinverbrauch, einem sekundären Endpunkt, gab es keine relevanten Unterschiede.

  • Der HbA1c-Wert sank in der Verapamilgruppe von 10,3 % bei Diagnose auf 6,6 % nach 52 Wochen 6,6 % und im Placeboarm von 10,2 % zu Studienbeginn auf 6,9 %. In der Verumgruppe war dieser Parameter also um 0,3 %-Punkte günstiger, ein numerischer, aber kein statistisch signifikanter Unterschied.

  • Es gab keine schwerwiegenden unerwünschten Effekte der Studientherapie und die Rate leichter bis moderater Nebenwirkungen war mit 17 % und 20 % vergleichbar.

Klinische Bedeutung

Die einmal tägliche Einnahme von Verapamil schützt bei Kindern und Jugendlichen mit neu diagnostiziertem Typ-1-Diabetes offenbar vor einem weiteren autoimmunologisch induzierten Abbau der Langerhanszellen - zumindest temporär. Der Unterschied in der C-Peptidsekretion von 30 % unter den mit Verapamil behandelten Patienten entspreche etwa den Effekten einer immunsuppressiven Therapie, so die Autoren.

Verapamil wirkt nicht immunmodulierend, sondern reduziert oxidativen Stress und hemmt damit die Apoptose. Ob Verapamil länger anhaltend protektiv auf die ß-Zellfunktion wirke, lasse sich aktuell noch nicht abschätzen, so das Studienteam. Die Ergebnisse rechtfertigten aber weitere klinische Studien mit dieser Fragestellung, vor allem auch mit einer höheren Teilnehmerzahl.

Finanzierung: Juvenile Diabetes Research Foundation, USA