Türschild-Titel Dr.med. - berechtigte Kritik oder übliches Ärzte-Bashing?
- Dr. med. Thomas Kron
- Im Diskurs
Dummheit ist eine menschliche Eigenschaft, die unabhängig sein soll von Parametern wie der Dicke des Bankkontos und der Position auf irgendeiner Karriereleiter. Auch die Korrelation zwischen Intelligenz und dem Besitz eines akademischen Grades ist nicht besonders ausgeprägt, wie Lebenserfahrung und Talkshows vermuten lassen. Nicht einmal der Professoren-Titel garantiert besondere Klugheit, Weitsicht oder gar Weisheit.
Zwei Buchstaben, die sich lohnen können
Gleichwohl genießen Menschen mit einem so genannten „Doktor-Titel“ ein immer noch recht hohes Ansehen in weiten Teilen der Gesellschaft; auch der beruflichen Karriere und dem Einkommen können die beiden Buchstaben „Dr.“ zugute kommen, allerdings nicht in allen Fächern. „Promovieren lohnt sich“, hieß es kürzlich dazu in der Wochenzeitung „Die Zeit“.
So zeigten Untersuchungen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) dass Menschen, die promoviert hätten, nicht nur rasch einen adäquaten Job fänden. Sie würden dafür auch besser bezahlt, erreichten häufiger eine Führungsposition und seien sehr zufrieden in ihrem Beruf. Das scheint übrigens Tradition zu haben. Bereits im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit hätten die Herren Doktoren jede Menge Privilegien besessen, heißt es außerdem in dem „Zeit“-Beitrag von Anna-Lena Scholz. So seien die Promovierten zum Beispiel von Steuern befreit gewesen und hätten eine Sonderbehandlung vor Gericht erhalten; sogar vor Folter und Todesstrafe seien sie geschützt gewesen.
Promotionsflut vor allem in der Medizin
Es kann daher kaum wundern, dass auch heute noch der „Doktor“ einen gewissen Reiz ausübt und als besonders erstrebenswert gilt. Besonders ausgeprägt ist dieses Streben bekanntlich unter Medizinerinnen und Medizinern; in kaum einer Berufsgruppe ist der Anteil der „Doktors“ so groß. Doch wie so gut wie alles im Leben hat auch diese „Promotionsflut" ihre Schattenseiten. Der „Doktor-Titel“ in der Medizin sei nur ein „Schmalspur-Titel“ oder „Türschild-Titel“, heißt es zum Beispiel immer wieder. Sogar als „akademische Ramschware“ wurden Mediziner-Dissertationen schon bezeichnet. „Es gibt Doktorväter, die jede Fußnote kontrollieren und jeden Kommafehler anstreichen. Die sich Seite um Seite durch die Werke ihrer Schützlinge kämpfen, und sie im Zweifelsfall auch durchfallen lassen. Und es gibt Mediziner“, so nicht ohne Sarkasmus die Spiegel-Redakteurin Verena Töpper.
Die Kritik ist nicht unberechtigt: Welcher Mediziner kennt nicht einen Kollegen oder eine Kollegin, der oder die mit einer Auswertung von ein paar Krankenakten und einer banalen deskriptiven Statistik die begehrten zwei Buchstaben erhalten hat. 2006 soll eine Studentin der Universität Münster den Titel sogar mit einer nur dreiseitigen Dissertation über „Naturmedizin gegen Impotenz im mittelalterlichen Persien" erhalten haben. Besonders bemerkenswert - außer der Kürze der Arbeit - war, dass die Dissertation einem alten Aufsatz des Doktorvaters der Studentin nicht unähnlich gewesen sein soll.
Berechtigte Kritik, aber auch Missgunst und Neid?
Obgleich Kritik an Dissertationen in der Medizin berechtigt ist, drängt sich manchmal der Eindruck auf, dass die Kritik nicht immer ausreichend frei ist von Missgunst und Neid. Ärzte-Bashing erfreut sich nunmal einer gewissen Beliebtheit in manchen Kreisen und Medien. Das Produzieren „akademischer Ramschware“ ist da gemeinsam mit maßlosen Honorarforderungen, Abrechnungsbetrug oder dem Verkauf überflüssiger Leistungen nur eine von vielen „Schandtaten“, die man Medizinern zutraut und immer wieder auch unterstellt.
Zeitaufwendiger als oft behauptet
Außerdem: Ist die medizinische Dissertation wirklich so schlecht wie oft behauptet oder vermutet? Dieser Frage ging vor mehr als 20 Jahren der Anatom Prof. Dr. med. Reinhard Pabst von der Medizinischen Hochschule Hannover in einer repräsentativen Umfrage nach. An der Umfrage nahmen alle Studierenden und Ärztinnen sowie Ärzte teil, die zwischen dem 1. Januar und 31. Dezember 1996 im Rektorat der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) ihre Doktorarbeit für den Dr. med. oder Dr. med. dent. einreichten; sie erhielten laut Pabst einen Fragebogen und ein erläuterndes Anschreiben. 248 Antworten hätten ausgewertet werden können.
14 Prozent der Befragten gaben dem Autor zufolge an, ihre Arbeit in Instituten der theoretischen und 17 Prozent in Institutionen der klinisch-theoretischen Medizin, 56 Prozent in den Kliniken der MHH und 13 Prozent außerhalb der MHH angefertigt zu haben. Bei einer Analyse der Häufigkeit der Arten der Dissertation sei aufgefallen, dass nur in sechs Prozent tierexperimentelle Themen bearbeitet und in 20 Prozent reine Laborversuche durchgeführt worden seien; in 28 Prozent hätten Patienten-Untersuchungen im Vordergrund gestanden. Die Dauer der Experimente habe im Median 1,5 Jahre betragen, und bis zum Einreichen, nach der Auswertung und dem Schreiben der Arbeit vergingen 3,5 Jahre (Median). Dabei fiel nach Angaben von Pabst die große Schwankungsbreite von zwei bis zehn Jahren auf. Das oft von Vertretern anderer Fächer verbreitete Vorurteil, eine Doktorarbeit in der Medizin sei in einigen Wochen oder höchstens Monaten zu erstellen und damit in der zeitlichen Belastung höchstens einer Diplomarbeit, zum Beispiel in der Biologie von sechs Monaten, vergleichbar, lasse sich mit den hier erhobenen Daten nicht belegen, so das Fazit des Autors. Allerdings widerlegt die Umfrage nicht den Vorwurf mangelnder Qualität vieler medizinischer Dissertationen.
Dünne Bretter werden auch außerhalb der Medizin gebohrt
Aber: Wie gut sind eigentlich Dissertationen in anderen akademischen Fächern, etwa in der Germanistik oder der Politologie? Sind diese Arbeiten immer erste Sahne, so dass es grundsätzlich keinen Grund zu ähnlichen Schmähungen wie bei Dissertationen von Medizinern geben kann? Werden in manchen nicht-medizinischen Fächern nicht auch hin recht dürftige Dissertationen (und Habilitationen) produziert? Vielleicht wird ja über „akademischen Ramsch“ in anderen Fächern nur einfach weniger berichtet.
Eine ganz andere Frage ist sicher die, ob der „Dr. med.“ im Arzt-Beruf noch zeitgemäß ist. Dass ein Dr. med. aus einem grobmotorisch Begabten noch keinen begnadeten ästhetischen Chirurgen macht, dürfte Konsens sein. Wahrscheinlich wäre es wirklich sinnvoll, den Dr. in der Medizin an eine wissenschaftliche Laufbahn zu binden und stets angemessene Anforderungen zu stellen. Das trifft aber auch auf andere Fächer zu. Denn auch der CEO eines Automobilunternehmens etwa wird durch den Besitz der zwei Buchstaben nicht automatisch zum erfolgreichen Topmanager. Und bei den Angehörigen der so genannten politischen Elite garantiert der Dr. ebenfalls nicht immer Qualität, wie Historie und politische Gegenwart belegen. Dünne Bretter werden offenbar auch außerhalb der Medizin gebohrt, wie der aktuelle Beitrag eines Historikers befürchten lässt.
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