Tierbiss-Verletzungen: Ein Leitfaden für die Versorgung der Patienten

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Von Marie-Theres Karla

Jährlich kommt es in Deutschland zu 30.000 bis 50.000 Verletzungen durch Bisse von Tieren. Auch Ihre Kolleginnen und Kollegen bestätigen in einer Umfrage auf coliquio, dass Tierbisse in der Praxis recht häufig sind: Gut 60 % hatten schon mehrere Male mit Bissverletzungen zu tun. Die wichtigsten Fakten auf einen Blick:

  • In Industrieländern wird Schätzungen zufolge die Hälfte der Einwohner einmal im Leben von einem Tier oder einem Menschen gebissen.
  • Hunde verursachen 60-80 % der Bissverletzungen, Katzen 20-30 %. Das Infektionsrisiko ist bei Katzenbissen höher.
  • 70-80 % der Verletzungen befinden sich an den Extremitäten, 10-30 % im Kopf-Hals-Bereich. Bisse an Händen und Armen führen eher zu einer Infektion.
  • Unter den häufigsten pathogenen Erregern finden sich Staphylokokken (u. a. MRSA) und Streptokokken (darunter Streptococcus pyogenes), außerdem Pasteurella multocida und Capnocytophaga canimorsus.
  • Kommt es zu einer manifesten Infektion, handelt es sich meist um eine Cellulitis (v. a. an den Händen),
  • evtl. Phlegmone mit Abszedierung und Lymphknotenschwellung. An den Händen tritt häufiger eine Tenosynovitis oder ein Gelenkempyem auf. Eine Sepsis ist selten.

Hier ein praktischer Handlungspfad bei Tierbissen

Anamnese: Bei der Anamnese sollte unbedingt der genaue Zeitpunkt des Bisses dokumentiert werden. Gerade bei kleinen Verletzungen kommen die Patientinnen und Patienten erst einige Tage später in die Praxis. Auf diese Aspekte ist bei der Anamnese besonders zu achten:

  • Impfstatus (Tetanus und ggf. Tollwut)
  • Einschätzung von Risikofaktoren (Medikamente wie Immunsuppressiva oder Kortison, Vorerkrankungen, die die Wundheilung beeinflussen können, z. B. Diabetes oder pAVK, Herzklappe, Splenektomie)
  • Allgemeinzustand und auffällige Symptome (Schüttelfrost, Fieber, Schmerzen, Druck)
  • Entzündungszeichen
  • Informationen zum Tier (Art und Besitzer, Gesundheitszustand, Impfstatus)

Wundinspektion & Wundversorgung: Eine sorgfältige Wundinspektion ist bei Tierbissverletzungen obligat. Katzenbisse verursachen i.d.R. punktionsförmige Verletzungen, bei denen es zu einer tiefen Inokulation von Tierspeichel kommt. Die eigentliche Tiefe der Verletzung wird aufgrund des sog. „Kulissenphänomens“, einer Verschiebung von Epidermis, Dermis und Subkutis, jedoch oft unterschätzt. Achten Sie v. a. bei Katzenbissen auch auf abgebrochene Zähne und Krallen in der Wunde.

Bei Hundebissen kann die lokale Krafteinwirkung zusätzlich zu Verletzungen des Weichgewebes und der Knochen führen, die ggf. durch bildgebende Verfahren abgeklärt werden müssen.

Für die Wundversorgung gilt: Sind die Wunden oberflächlich und die Dermis nicht verletzt, ist kein chirurgisches Debridement notwendig. Innerhalb von 48 Stunden sollte die Bisswunde klinisch kontrolliert werden, bei ausgedehnten Befunden oder einer Verschlechterung muss das Intervall verkürzt werden.

Maßnahmen für die Lokalbehandlung:

  • Säuberung (z. B. mit 1% Organojodlösung) der Wunde
  • Spülung mit physiologischer Kochsalzlösung, verwendet werden Infusionskatheter oder Knopfkanülen, dabei sollte kein zu hoher Druck angewandt werden.
  • Debridement, Entfernung von avitalem Gewebe bei tieferen oder infizieren Wunden
  • Bei Wunden im Gesicht wird ein primärer Wundverschluss empfohlen.
  • Bei Punktionswunden mit tiefer Inokulation (typisch für Katzenbisse) und im Bereich der Hände sollte nicht primär verschlossen werden.
  • Für die Extremitäten gibt es keine einheitliche Empfehlung, Wundinfektionen treten bei genähten Bisswunden nicht häufiger auf als bei einer Sekundärheilung.

Laboruntersuchung: Ein Routinelabor ist in jedem Fall notwendig und soll ggf. erweitert werden. Wichtige Vorabinformationen für das ausführende Labor sind z. B. spezielle Methoden (Nährboden, Anaerobiertechnik), schnelle Transportzeiten oder längere Bebrütungszeiten, aber auch die Information, ob Mischkulturen oder ungewöhnliche Erreger zu erwarten sind.  Diese Werte sollten erfasst werden:

Routinemäßig

  • kleines Blutbild
  • CRP
  • Transaminasen und Nierenfunktion für nachfolgende antibiotische Therapie

Bei Verdacht auf Infektionen oder bei schweren Fällen

  • Blutbild
  • CRP/PCT
  • Serologie
  • Gerinnungswerte
  • Blutkulturen
  • Liquor
  • Stuhl (Mikroskopie, Kultur, PCR)

Zudem sollte die Untersuchung des Tieres (Abstriche, Stuhl) veranlasst werden.

Antibiotika-Therapie

Die meisten Experten empfehlen eine prophylaktische Antibiotikagabe. Bei oberflächlichen Wunden und bei Betroffenen, die erst 24 Stunden nach dem Biss und ohne Infektionszeichen vorstellig werden, kann darauf verzichtet werden. Die Behandlungsdauer bei frischen Wunden beträgt 3–5 Tage. Im Fall einer Infektion treten häufig aerob-anaerobe Mischinfektionen auf, verursacht durch Keime aus der oralen Bakterienflora des beißenden Tieres. Obwohl Hunde- und Katzenbisse ein teilweise unterschiedliches Erregerprofil aufweisen, sind die empfohlenen Antibiotika grundsätzlich dieselben:Ampicillin/Sulbactam (3x3 g i.v.)

  • Amoxicillin/Clavulansäure (3x875/175 mg p.o.)
  • Cefuroxim (3x1,5 g i.v.) + Clindamycin (3x600 mg i.v./p.o.)
  • Moxifloxacin (1x400 mg p.o.)
  • bei schwerer Infektion: Piperacillin/Tazobactam (3-4x4,5 g i.v.)

Tetanus- und Tollwutimpfung

Liegt die Tetanusschutzimpfung mehr als 10 Jahre zurück, sollte eine Auffrischung erfolgen, bei sehr tiefen oder großen Wunden bereits nach 5 Jahren. Patientinnen und Patienten ohne Impfschutz sollten eine Simultanimpfung aus Tetanus-Immunoglobulin und Tetanus-Toxoid erhalten.

Ist der Tollwut-Impfstatus des Tieres nicht klar, ist eine Tollwut-Abklärung indiziert und das Tier sollte insbesondere in tollwutgefährdeten Bezirken untersucht werden. Im Zweifelsfall sollte immer einer Tollwut-Schutzimpfung verabreicht werden, ebenso bei Fledermausbissen (Tollwut-Simultanimpfung)3

Tollwutimpfung für Reisende

Bei reisemedizinisch indizierten Tollwutimpfungen gilt momentan die Empfehlung, „liberal zu impfen“. Grund dafür sind stockende Kampagnen zur Hundevakzinierung aufgrund der Covid-19-Pandemie und damit einhergehende steigende Fallzahlen von Hunde- und Menschentollwut. Zudem fehlt in vielen Ländern Immunglobulin, so dass man sich nicht auf die Versorgung im Reiseland verlassen kann. Dies gilt neben tropischen Ländern beispielsweise auch für Südafrika.

Schlangenbisse: Nicht so selten, wie man denkt

Jährlich kommt es zu ca. 2,5 Mio. Schlangenbissen. Meistens sind es Giftnattern oder Vipern, die Wanderer weltweit v. a. in den frühen Morgenstunden angreifen.

Aber nicht nur auf Reisen können giftige Schlangen zum Problem werden: Giftschlangenhalter gibt es in beträchtlicher Anzahl in jeder deutschen Großstadt. Insbesondere während der Sommermonate, wenn die Tiere aktiver werden, gibt es immer wieder Berichte über ausgebrochene Tiere. So wurde beispielsweise 2021 ein 10-Parteien-Wohnhaus in Köln evakuiert, 2020 fand eine Frau auf ihrem Dachboden eine giftige Viper.6 Statistisch gesehen hat jede in der Dermatologie tätige Person in ihrem Berufsleben mindestens einmal mit einer Schlangenbissvergiftung zu tun – besser also, man ist gut vorbereitet.

 

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de.