Thromboembolie-Risiko ist noch lange nach COVID erhöht
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Von Dr. Rob Hicks
Eine COVID-19-Infektion erhöhe das Risiko von Blutgerinnseln für fast 1 Jahr, so britische Forscher. Sie empfehlen neue Behandlungsstrategien, um infektionsbedingte venöse und arterielle Thromboembolien zu verringern.
In ihre Kohortenstudie hatten Dr. Rochelle Knight von der University of Bristol und Kollegen 48 Millionen Erwachsene eingeschlossen; davon wiesen 1,4 Millionen eine COVID-19-Diagnose auf. Die Ergebnisse, die jetzt in Circulation veröffentlicht wurden, legen nahe, dass die Pandemie allein in England und Wales im Jahr 2020 zu „10.500 zusätzlichen Fällen von Herzinfarkten, Schlaganfällen und anderen Komplikationen durch Blutgerinnsel wie tiefe Venenthrombosen geführt haben könnte", schreiben die Autoren [1].
„Das ist eine beindruckende Studie, vor allem im Hinblick auf die Größe des Kollektivs“, kommentiert Prof. Dr. Georg Ertl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) gegenüber Medscape die Ergebnisse. Die Studie zeige die Leistungsfähigkeit des englischen Gesundheitssystems Daten für die Wissenschaft zur Verfügung zu stellen – „das ist in Deutschland so heute noch nicht denkbar“, so Ertl. „Die Studie zeigt, dass thrombotische Ereignisse eine wichtige Komplikation bei COVID-19 sind und Hospitalisierung – wie bei anderen Krankheiten - einen zusätzlichen Risikofaktor für Thrombosen und Embolien darstellt.“
Die Infektion mit SARS-CoV-2 führt zu einem prothrombotischen Zustand, aber die langfristigen Auswirkungen von COVID-19 auf das Auftreten von Gefäßerkrankungen sind unklar. Dr. William Whiteley, Epidemiologe und Neurologe an der Universität Edinburgh und einer der Studienleiter, wies darauf hin, dass die Auswirkungen einer Coronavirus-Infektion auf das Risiko von Erkrankungen, die mit Blutgerinnseln in Zusammenhang stehen, „nur unzureichend untersucht" sind.
Erhöhtes Risiko für thrombotische Ereignisse sinkt schnell
An der Studie waren Forscher der Universitäten Bristol, Cambridge, Edinburgh sowie Swansea beteiligt. Sie nutzten Daten aus den Gesundheitsakten von 48 Millionen ungeimpften Erwachsenen aus der ersten Pandemiewelle, auf die sie über das NHS Digital Trusted Research Environment für England und die SAIL-Datenbank für Wales zugreifen konnten.
Die Forscher untersuchten die anonymisierten elektronischen Daten der gesamten Bevölkerung von England und Wales vom 1. Januar bis 7. Dezember 2020 und verglichen das Risiko von Gefäßerkrankungen, einschließlich Blutgerinnseln, nach einer COVID-19-Diagnose mit dem Risiko ohne COVID-19-Diagnose.
Sie schätzten bereinigte Hazard Ratios (HR) und verglichen die Inzidenz von arteriellen Thrombosen und venösen thromboembolischen Ereignissen (VTE) nach COVID-19-Diagnose mit der Inzidenz bei Personen ohne COVID-19-Diagnose. Es wurden auch Subgruppenanalysen nach dem Schweregrad der Infektion, nach demografischen Merkmalen und nach Anamnese durchgeführt.
Bei Personen mit COVID-19 stellten die Forscher in den ersten Wochen nach Diagnose eine deutlich höhere Inzidenz von arteriellen Thrombosen fest – verglichen mit Personen ohne COVID-19. Die Forscher fanden auch heraus, dass dieses Risiko mit der Zeit nach der Diagnose rasch abnahm.
Die Wahrscheinlichkeit, eine arterielle Thrombose wie einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden, war in der ersten Woche nach der COVID-19-Diagnose um das 21,7-Fache (95% KI: 21,0 bis 22,4) erhöht, wobei das Risiko nach 4 Wochen auf das 3,9-Fache sank. Nach 26 bis 49 Wochen war das Risiko auf das 1,34-Fache (95% KI: 1,21 bis 1,48) gesunken.
Für venöse Thromboembolien war das Risiko in der ersten Woche nach COVID-19-Diagnose 33,2 (95% KI: 31,3 bis 35,2) Mal höher, fiel nach 4 Wochen auf ein 8 Mal höheres Risiko und nach 26 bis 49 Wochen auf 1,8 (95% KI: 1,50 bis 2,17) Mal. Die Autoren betonen, dass die übermäßige Inzidenz von VTEs in den ersten Wochen nach COVID-19-Diagnose weniger schnell abnahm als bei den arteriellen Thrombosen. Sowohl bei arteriellen Thrombosen als auch bei VTEs war die relative Inzidenz nach Krankenhausaufenthalten höher und blieb länger erhöht als bei nicht hospitalisierten Fällen von COVID-19. Die Forscher betonen jedoch, dass auch Menschen mit „nur leichter oder mittelschwerer Erkrankung" betroffen waren.
Prof. Dr. Jonathan Sterne, Medizinstatistiker und Epidemiologie an der Universität Bristol und Mitautor der Studie, sagte: „Es beruhigt uns, dass das Risiko recht schnell sinkt - insbesondere für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Doch die Feststellung, dass es für einige Zeit erhöht bleibt, unterstreicht die längerfristigen Auswirkungen von COVID-19, die wir gerade erst zu verstehen beginnen." Die Autoren schätzten, dass das Risiko für arterielle Thrombosen und VTEs 49 Wochen nach einer COVID-19-Diagnose in der Gesamtbevölkerung um 0,5% bzw. 0,25% anstieg, was, wie die Autoren erklären, 7.200 bzw. 3500 zusätzlichen Ereignissen nach 1,4 Millionen COVID-19-Diagnosen entsprach.
„Weil das Risiko mit der Zeit zwar abnimmt, aber doch noch länger bestehen bleibt, muss bei der Betreuung von COVID-19-Kranken darauf geachtet werden“, betont Ertl. Dabei gelten die allgemeinen Richtlinien für die Prävention und Therapie der jeweiligen thromboembolischen Komplikationen, eine spezifische Post-COVID-19-Thromboembolie-Prophylaxe oder –Therapie gibt es bisher nicht. Ertl. „Da Impfung und antivirale Therapie schwere Krankheitsverläufe verhindern oder mildern können, bleibt zu hoffen, dass sie auch thromboembolische Komplikationen verhindern“, sagte Ertl.
Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung möglicherweise erheblich
Die meisten bisherigen Forschungsarbeiten haben die Auswirkungen von COVID-19 auf die Blutgerinnung bei Menschen untersucht, die mit COVID-19 ins Krankenhaus eingeliefert wurden, schreiben die Autoren. Ihre Studie zeige, dass es auch Auswirkungen auf Menschen gab, bei denen COVID-19 nicht zu einem Krankenhausaufenthalt geführt hat, „obwohl ihr erhöhtes Risiko nicht so groß war wie bei denjenigen, die einen schweren Verlauf hatten und in die Klinik eingeliefert werden mussten", betonen sie.
Die Assoziationen zwischen COVID-19 und thrombotischen Ereignissen unterschieden sich nicht wesentlich nach Alter oder Geschlecht, aber die Forscher stellen fest, dass die HRs höher waren, je länger die Diagnose zurücklag:
Die Autoren merkten an, dass das zusätzliche Risiko für den Einzelnen „gering bleibt und mit der Zeit abnimmt". Sie sagten, dass bei Personen mit dem höchsten Risiko - Männer über 80 Jahre - zusätzlich 2 von 100 infizierten Männern nach einer COVID-19-Infektion einen Schlaganfall oder Herzinfarkt erleiden können.
Prof. Dr. Angela Wood, Biostatistikerin an der Universität Cambridge und ebenfalls Mitautorin der Studie, sagte: „Wir haben gezeigt, dass selbst Menschen, die nicht ins Krankenhaus eingeliefert wurden, in der ersten Welle ein höheres Risiko für Blutgerinnsel hatten". Sie fügte hinzu, dass das Risiko für den Einzelnen zwar gering sei, die Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung jedoch „erheblich" sein könnten und dass Strategien zur Vorbeugung von vaskulären Ereignissen „wichtig sein werden, während wir die Pandemie durchlaufen".
Die Wohltätigkeitsorganisation Thrombosis UK begrüßte „weitere Klarheit über das Thromboserisiko während und nach einer COVID-19-Infektion". Die Gründerin der Organisation, Prof. Dr. Beverly Hunt, wies jedoch darauf hin, dass in der Studie nur die Alpha- und Delta-Varianten untersucht wurden, nicht aber die Omikron-Variante, bei der „die Thromboseraten deutlich niedriger sind". „Wie erwartet gab es innerhalb von 3 Monaten nach der Infektion hohe Raten von arteriellen und venösen Thrombosen, wie sie nach jeder Infektion zu beobachten sind, obwohl die Raten offenbar höher sind als bei anderen Infektionen.“ COVID-19 verursacht schwere Krankheitsverläufe bei Menschen mit nicht übertragbaren Krankheiten wie Fettleibigkeit, Diabetes und kardiovaskulären Begleiterkrankungen, erklärte sie und stellte die Frage: „Könnte es sein, dass diese Bevölkerungsgruppe besonders hervorgehoben wird und die Studie die hohe Hintergrundrate von Thrombosen in dieser Gruppe aufgreift?"
Notwendige Strategien zur Verringerung thrombotischer Ereignisse
Die Autoren erklärten, dass ihre Ergebnisse „Maßnahmen zur Verhinderung von schwerem COVID-19" durch Impfstoffe, eine frühzeitige Überprüfung nach der Entlassung, die Kontrolle von Risikofaktoren und den Einsatz von sekundären Präventivmitteln bei Hochrisikopatienten unterstützen. Im Einzelnen sprechen die Autoren folgende Empfehlungen aus:
Whiteley betonte, dass evidenzbasierte Methoden zur Vorbeugung thrombotischer Zustände nach der Infektion „der Schlüssel zur Verringerung der Auswirkungen der Pandemie auf die Patienten" sein werden.
Die Autoren wiesen darauf hin, dass die analysierten Daten im Jahr 2020 erhoben wurden, also vor der Einführung der COVID-19-Impfung im Vereinigten Königreich und bevor neuere Virusvarianten wie Delta und Omikron weit verbreitet waren. Sie untersuchen nun die Daten nach 2020, um die Wirkung der Impfung und die Auswirkungen neuerer Varianten zu verstehen.
Dieser Artikel wurde von Ute Eppinger für medscape. de aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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