Telemedizin verhilft Menschen in Seniorenheimen mit geringem Aufwand zu besserem Sehen
- Dr. Angela Kron
- Konferenzberichte
Kernbotschaften
In Seniorenheimen wird noch zu selten auf gutes Sehen und Augenkrankheiten geachtet, wie die größte ophthalmologische Versorgungsstudie in Deutschland aufgedeckt hat. Eine Nachfolge-Studie zeigt einen Ausweg: die Telemedizin. Denn damit gelingt es, effizient und einfach eine Diagnose zu stellen. Das Verfahren und erste Ergebnisse wurden bei einer Online-Konferenz der Stiftung Auge vorgestellt.
Die Mängel in der ophthalmologischen Versorgung seien deshalb so bedenklich, weil Augenprobleme mit dem Alter bekanntlich stark zunehmen, umriss Prof. Dr. Frank G. Holz die Tragweite des Missstands. Der Direktor der Universitäts-Augenklinik Bonn und Vorsitzende der Stiftung Auge der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft. verdeutlichte die gravierenden Folgen: Sehbehinderte Heimbewohner müssen auf Fernsehen und Lesen verzichten, manche vereinsamen und werden depressiv. Zudem besteht die Gefahr, dass sie über Teppichkanten oder Treppenstufen stürzen und Knochenbrüche erleiden, dadurch bettlägerig werden oder sogar vorzeitig sterben.
Die Augen geraten leicht aus dem Blick
Wer umgekehrt gut sieht, bleibt länger selbstständig, mobil und geistig fit. Dass die Voraussetzungen dafür in der Pflege oft nicht erfüllt sind, hat eine große Studie der Stiftung Auge vor wenigen Jahren gezeigt.[1] Ihr Name: OVIS für "Ophthalmologische Versorgung in Seniorenheimen".
Insgesamt nahmen 600 Bewohner in 32 Einrichtungen teil. Bei mehr als 50 Prozent lag der letzte Augenarzt-Besuch länger als fünf Jahre zurück. Fast zwei Drittel hatten einen ophthalmologischen Befund, der eine Behandlung erforderte. Bei gut der Hälfte wurde ein visusrelevanter Katarakt festgestellt, bei knapp 40 Prozent Zeichen einer altersabhängigen Makuladegeneration (AMD). Bei rund einem Fünftel bestand der Verdacht oder die gesicherte Diagnose eines Glaukoms. Und nicht wenige brauchten schlicht eine besser angepasste Brille. Mehr als ein Drittel gab, an, zu einer Konsultation beim Augenarzt aktuell nicht imstande zu sein, vorwiegend weil eine Fahrgelegenheit oder eine Begleitperson fehlte.
Inwieweit eignet sich die Telemedizin als erste Maßnahme, um diese Hürden zu umgehen? In einer Pilotstudie namens TOVIS - kurz für "Telemedizinische Ophthalmologische Versorgung In Seniorenheimen" - hat die Stiftung Auge diese Option geprüft.
Gerät beherrschen Multitasking
Der innovative Ansatz: Medizinische Fachangestellte und Optometristen untersuchten rund 140 alte Menschen in drei Einrichtungen in und um Bonn. Dazu nutzten sie einen Multifunktionsapparat, der sowohl die Sehschärfe und den Augeninnendruck bestimmte als auch mit einer Kamera Aufnahmen der vorderen Augenabschnitte und der Netzhaut anfertigte. "In der Ophthalmologie haben wir das Glück, solche präzisen Diagnostikgeräte zu besitzen", erläuterte Holz. Augenärzte der Uniklinik Bonn stellten dann auf Grundlage der übermittelten Daten aus der Ferne einen Befund.
TOVIS bestätigte das in OVIS festgestellte Diagnostik- und Therapiedefizit, ergab aber auch, dass es mit der getesteten Methode, Shared Eye Care genannt, effizient und einfach behoben werden kann. Besonders Bewohner mit Gehbehinderung profitieren, da sie frühzeitiger eine Therapie gegen irreversible Sehverluste erhalten.
Bald Fördergelder für Versorgungsforscher?
Diese vielversprechenden Resultate würden demnächst publiziert, berichtete Holz. Weiterhin hätten er und seine Kollegen einen Antrag beim Innovationsfonds gestellt, der gesundheitspolitisch wichtige Versorgungsformen und -forschung fördert. "Wir sind optimistisch, dass die nötigen Mittel bewilligt werden", meint der Ophthalmologe. Damit möchten die Wissenschaftler ihr Modell in einer großen Kohorte testen und eingehender - auch gesundheitsökonomisch - analysieren. Denn die gesetzlichen Krankenkassen müssten ja die Kosten tragen.
Darüber hinaus zählte Holz Vorschläge der Stiftung Auge auf, wie Sehprobleme in Pflege-Einrichtungen rechtzeitig erkannt und behandelt werden könnten:
- Beim Einzug sollten die künftigen Bewohner mindestens das Datum des letzten Besuchs beim Ophthalmologen parat haben, möglichst aber dessen Arztbrief mit Empfehlungen mitbringen, etwa zu den Intervallen für Kontrollen, und eventuell einen Therapieplan, besonders bei chronischen Erkrankungen wie Glaukom und AMD.
Gut geschultes Personal könnte Isolation verhindern
- Das Thema "Auge und Sehen" sollte ausführlicher als bisher im Lehrplan der Aus-und Weiterbildung von Pflegekräften berücksichtigt werden. Zum Beispiel ist es wichtig, dass sie Anzeichen für Augenerkrankungen richtig deuten, etwa wenn Senioren häufig stolpern, sich vom sozialen Leben zurückziehen, über Kopfschmerzen klagen und sich nicht mehr für Bücher, Zeitschriften oder Filme zu interessieren scheinen.
- Pflege-Einrichtungen sollten die Fahrt und die Begleitung der alten Menschen zum Augenarzt sicherstellen. Die Kostenträger könnten beispielsweise Unterstützung leisten, indem sie auf Basis von Modellversuchen ein Konzept für kostengünstige Gruppentransporte entwickeln.
- Die Stiftung Auge würde ein Zertifikat "Sehbehindertenfreundliche Pflege- und Senioreneinrichtung" begrüßen. Dafür sollten Kriterien erarbeitet werden, die einer Institution bescheinigen, dass man dort Augenprobleme im Blick hat.
Dieser Volltext ist leider reserviert für Angehöriger medizinischer Fachkreise
Sie haben die Maximalzahl an Artikeln für unregistrierte besucher erreicht
Kostenfreier Zugang Nur für Angehörige medizinischer Fachkreise