Symptome durch Störungen der Kopfgelenke - was ist davon zu halten?
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Kernbotschaften
Störungen der Kopfgelenke, insbesondere die Läsion der Ligg. alaria sowie die Blockierung des Atlas – werden immer wieder mit Symptomen wie Tinnitus, Schwindel undia Konzentrationsstörungen in Verbindung gebracht. Privatdozentin Dr. Julia Wölfle-Roos (Abteilung Orthopädie/Schmerztherapie, Fachklinik Ichenhausen) ist daher der Frage nachgegangen, wie gut belegt der Zusammenhang zwischen Störungen des atlantookzipitalen (c0/c1) und des atlantoaxialen (c1/c2) Gelenkes sowie unterschiedlichen klinischen Symptomen ist. Um diese Frage zu beantworten, hat die Orthopädin verfügbare Publikationen zur Diagnostik, Symptomatik und auch Therapie der Atlasblockade und Lig.-alaria-Läsion ausgewertet.
Ligamenta alaria
Wie Julia Wölfle-Roos berichtet, werden Lig.-alaria-Läsionen oft als Erklärung für Symptome nach einem zervikalen Distorsionstrauma, vor allem einem so genannten Schleudertrauma angeführt. Doch dass eine Schleudertrauma ausreiche, eine eine Verletzung dieser Bänder zu verursachen, sei durch biomechanische Studien nicht belegt. Die Prädilektionsstelle der Verletzungen bei Schleudertraum sei vielmehr die untere Halswirbelsäule, insbesondere das Facettengelenk c6/7, wie unter anderen bereits 1998 Experimente von Professor Manohar M. Panjabi (Yale School of Medicine) und seinen Kollegen gezeigt haben.
Nur in einer biomechanischen Studie sei es gelungen, eine Lig.-alaria-Läsion experimentell zu verursachen. Laut der Orthopädin wurde bei dem Experiment der Kopf rotatorisch um eine kraniokaudale Achse mit einem Drehimpuls von über 2 G und Rotation des Kopfs um 60 Grad beschleunigt. Hierbei hätten die Wissenschftler in 10 der 19 Präparate eine Lig.-alaria-Ruptur gefunden, in vier davon mit knöchernem Ausriss an den okzipitalen Kondylen. Bei diesem Versuchsaufbau habe es sich jedoch um die Simulation eines Hochrasanztraumas gehandelt, sei jedoch nicht davon auszugehen, dass eine Lig.-alaria-Läsion bei einem Schleudertrauma regelhaft auftrete.
Zudem sollten nach weiteren Angaben der Orthopädin biomechanische Studien an Leichenpräparaten zurückhaltend bewertet werden, da die biomechanischen Eigenschaften des präparierten Gewebes nicht mit denen vitaler bindegewebiger und muskulärer Strukturen gleichzusetzen seien. Dementsprechend kämen auch die Autoren der S1-Leitlinie zum Be- schleunigungstrauma der Halswirbelsäule zu dem Schluss, dass früher „eine Verletzung der Ligg. alaria . . . früher überbewertet“ worden sei.
Auch MRT-Befunde helfen laut Wölfle-Roos kaum weiter: So hätten MR-tomographische Auffälligkeiten der Bänder nur wenig klinische Relevanz, da eine Läsion nur unzuverlässig nachgewiesen werden könne und zudem kein Zusammenhang zu klinischen Symptomen wie Zervikalgien, Leistungsminderung, Konzentrationsstörungen, Schwindel, Sehstörung, Tinnitus, Parästhesien/Brachialgien, Fallneigung, Übelkeit und Schlafstörungen gezeigt worden sei.
Eine belastbare Analyse, ob diese Symptome tatsächlich mit Auffälligkeiten der Bänder im MRT assoziiert seien, fehle. Die unbelegte Korrelation zwischen MRT- Befunden und Beschwerden lege nahe, dass der mit einer vermeintlichen Läsion assoziierte Symptomkomplex keine strukturelle, sondern eher eine funktionelle Störung sei. Daraus folge, dass ein operativer Eingriff nicht indiziert sei.
Die Atlasblockade
Die mit einer Läsion der Bänder assoziierten Symptome ähneln, wie die Orthopädin weiter erklärt, den Symptomen stark, die im Zusammenhang mit der sogenannten Atlasblockade – der funktionellen Blockierung der Kopfgelenke – beschrieben worden seien. Die Atlasblockade zähle zu den sogenannten Funktionsstörungen, die nicht durch radiologische Untersuchungen sichtbar gemacht werden könnten, „sondern nur durch manualtherapeutische Untersuchung darstellbar sind“. Bei der Diagnosestellung sei insbesondere eine segmentale Hypomobilität der Kopfgelenke von Bedeutung. Bei segmentaler Hypomobilität und gleichzeitigem Vorliegen einer sogenannten „freien Richtung“, in der der Schmerz gelindert werde, könne die Indikation zur Lösung der Blockierung (etwa mittels Traktionsmanipulation) gestellt werden. Dabei sollte allerdings über die sehr seltene Komplikation einer Dissektion der Vertebralarterie aufgeklärt werden, betont Wölfle-Roos.
Durch die Vertreter der manuellen Medizin wurde nach weiteren Angaben der Autorin anhand die Hypothese aufgestellt, dass durch die engen Verbindungen zwischen den Afferenzen der Kopfgelenke und den Hirnnervenkernen im Hirnstamm eine Vielzahl von Symptomen erklärt werden könne. Zentraler Bestandteil dieser Hypothese sei der Nachweis der direkten Konvergenz der Afferenzen aus den Gelenkkapseln der Kopfgelenke sowie der tiefen kurzen Nackenmuskulatur auf die Hirnnervenkerne III, IV, V, VI, VIII, IX, X und XII.
Die Vielzahl der Symptome bei Atlasblockade könne durch Konvergenz der Afferenzen C1–C3 auf verschiedene Hirnnervenkerne in neuroanatomischen Untersuchungen zwar erklärt werden, der Zusammenhang sei jedoch bisher nicht bewiesen, schreibt Wölfle-Roos.
Erste Studien zeigten jedoch einen anhaltenden Nutzen der manualtherapeutischen Lösung der Blockierung. Abzuraten sei dagegen von in den sozialen Medien propagierten kommerziellen und „weniger seriösen Methoden“ zur Lösung der Atlasblockade.
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