Study & Opinion: Ukraine-Flüchtlinge sollten unbedingt vor COVID-19, Masern und Polio geschützt werden

  • Dr. Nicola Siegmund-Schultze
  • Studien – kurz & knapp
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Kernbotschaften

„Die Impflücken bei Flüchtlingen aus der Ukraine könnten unterschätzt werden, gerade auch bei Kindern.“ Das fürchten internationale Gesundheitsbehörden und Ärzteverbände und raten, bei der ärztlichen Versorgung von Ukrainern in Nachbarländern vor allem Impfungen gegen COVID-19, Masern und Polio anzubieten. Ausbrüche dieser Infektionskrankheiten seien wegen vergleichsweise geringer Durchimpfungsraten vor allem in Massenunterkünften jederzeit möglich (1-3). Zur Vor-Ort-Unterstützung der ärztlichen Versorgung können sich Ärztinnen und Ärzte aus Deutschland ab sofort auf einer Internetseite der Bundesärztekammer registrieren lassen (4).

Hintergrund
In der Ukraine gab es vor Kriegsausbruch immer wieder größere Ausbrüche teilweise schwer verlaufender Infektionskrankheiten, zum Beispiel von Masern und Röteln. Auch die HIV-Prävalenz ist mit circa 1 % unter den 15-49jährigen Menschen in der Ukraine hoch, circa 10 mal so hoch wie beispielsweise in Deutschland. Die Ukraine hat die zweithöchste Inzidenz an HIV-Infektionen in der WHO-Region Europa (3). Die Inzidenz der Tuberkulose (TB) wird auf 73,3/100.000 Einwohner geschätzt, circa 32.000 Menschen sind WHO-Angaben zufolge im Jahr 2020 in der Ukraine an TB erkrankt. Dabei sind 27,2 % der neu auftretenden Erkrankungen durch Erreger mit Medikamentenresistenzen verursacht (2). Zum Vergleich: In Deutschland erkranken jährlich circa 5/100.000 Einwohnern an TB.

Design

  • Evaluation des Bedarfs an ärztlicher Versorgung von Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind

Hauptergebnisse

  • Das Risiko durch potenziell schwer verlaufende Infektionskrankheiten wird für Menschen aus der Ukraine von der WHO, aber auch dem European Centre for Disease Prevention (ECDC) als „ernst“ bewertet (3).
  • So sind im Bevölkerungsdurchschnitt 80 % der Menschen gegen Polio geimpft, aber die Durchimpfungsraten schwanken von Region zu Region zwischen 60 und 99 %.
  • Im Westen der Ukraine sind die Durchimpfungsraten gegen Polio erheblich geringer als in den Nachbarländern. Vor allem auch für Kinder gilt der Impfschutz als nicht ausreichend (3).
  • Gegen Masern haben circa 82 % der Menschen 2 Impfdosen erhalten, auch hier mit regionalen Schwankungen, so dass größere Ausbrüche nicht wirksam verhindert werden könnten.
  • Die Impfraten gegen COVID-19 (mindestens eine Dosis) liegen mit 35 % weit unter dem Durchschnitt in Europa (71,7 % mindestens 1 Dosis).
  • Die ECDC empfehlen, bei der ärztlichen Versorgung von Flüchtlingen aus der Ukraine neben der Akuthilfe systematisch den Impfstatus zu erfragen und im Zweifel zeitnah gegen Polio, Masern, Röteln und COVID-19 zu impfen (3).
  • Außerdem sollte eine Diagnostik auf Tuberkulose erfolgen und wenn möglich eine HIV-Diagnostik erwogen werden.

Klinische Bedeutung
Für Menschen aus der Ukraine erhöhen sich die derzeit bereits bestehenden, erheblichen Risiken durch Infektionserkrankheiten durch den Krieg weiter, so das ECDC. Sie würden vulnerabler für Infekte, auch durch medikamentenresistente Erreger. Die versorgenden Stellen sollten die Surveillance für diese Erkrankungen intensivieren.

Zur Vor-Ort-Unterstützung der medizinischen Infrastruktur in der Ukraine und der medizinischen Versorgung geflüchteter Menschen in den Nachbarstaaten im Rahmen von internationalen Organisationen können sich Ärztinnen und Ärzte aus Deutschland auf der Internetseite der Bundesärztekammer registrieren lassen (baek.de/aerztehelfen). Nach Absprache mit dem Auswärtigen Amt und dem Zentrum für internationale Friedenseinsätze werden registrierte Mediziner informiert, sobald solche Einsätze in der Ukraine oder in einer benachbarten Region möglich sind (4).

Finanzierung: keine Angaben.