Study & Opinion: Tb-Screening auch für privat untergebrachte Ukraine-Flüchtlinge ratsam
- Dr. Nicola Siegmund-Schultze
- Studien – kurz & knapp
Kernbotschaften
Niedergelassene Ärzte sollten grundsätzlich Geflüchteten aus der Ukraine ein Screening auf Tuberkulose (Tb) anbieten. In Gemeinschaftseinrichtungen ist ein Tb-Screening ohnehin verpflichtend und für dezentral oder privat untergebrachte Migranten wird es dringend empfohlen. Für Tb-gefährdete Kinder und Jugendliche wird primär zum Interferon-Gamma Release Assay (IGRA) geraten oder zum Tuberkulinhauttest (THT). Thoraxröntgen ist die Methode der Wahl für Erwachsene, außer für Schwangere (1). Ungefähr jede dritte Tuberkulose, die aus der Ukraine mit den Menschen nach Deutschland kommt, ist eine arzneimittelresistente Form. HIV- und Hepatitisvirus-Koinfektionen sind häufig.
Hintergrund
Durch die Flüchtlingsbewegung aus der Ukraine sollten Ärzte damit rechnen, dass Tuberkulose in Deutschland häufiger wird. „In der WHO-Region Europa ist die Ukraine das Land mit der höchsten Inzidenz an Tuberkulose-Erkrankten“, erklärt Prof. Torsten Bauer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin(DGP) und des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose (2). In den vergangenen Jahren lag die Tb-Inzidenz in Deutschland bei circa 5/100.000 Einwohner (Robert Koch-Institut: 4.127 Tuberkulosefälle in 2020; [3]). In der Ukraine ist die Inzidenz circa 14-fach höher (73/100.000 Einwohner; [4]). Bis zum 11. Mai 2022 hatte das deutsche Ausländerzentralregister AZR bereits 727.200 Personen aus der Ukraine registriert. 60-70 % sind Frauen, 30-40 % Kinder. Außerdem zählt die Ukraine zu den Ländern mit den höchsten Anteilen an multiresistenter Tuberkulose (MDR, Resistenzen gegenüber mindestens Isoniazid und Rifampicin). Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin hat den aktuellen Kenntnisstand und Empfehlungen zusammengefasst (1).
Design
Handlungsempfehlung des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose e. V. (DZK) in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Leitlinie Tuberkulose im Kindes- und Jugendalter und der Gesellschaft für pädiatrische Pneumologie (GPP)
Hauptergebnisse
- Die Fallzahlen der Tuberkulose in Deutschland – bis 2020 waren es circa 4.100 jährlich – könnten pro Jahr um 500 bis 1.000 pro Jahr ansteigen, wenn 1 Million Menschen aus der Ukraine nach Deutschland kämen.
- Bei Erwachsenen ist Thoraxröntgen die Methode der Wahl für das Tb-Screening, für Schwangere werden Alternativen empfohlen.
- Bei begründetem Verdacht mit positivem Ergebnis eines immunologischen Tests kann auch bei schwangeren Frauen eine Indikation für eine Röntgen-Thorax-Untersuchung zum Ausschluss einer pulmonalen Tuberkulose gegeben sein.
- Bei Kindern und Jugendlichen hat die Röntgenaufnahme im Vergleich zu Erwachsenen eine geringere Sensitivität und Spezifität für das Vorliegen einer Tuberkulose. Zudem soll in dieser Altersgruppe eine Exposition mit ionisierender Strahlung besonders restriktiv gehandhabt werden.
- Bei Tb-gefährdeten Kindern und Jugendlichen wird empfohlen, primär einen Interferon-Gamma Release Assay (IGRA) oder einen Tuberkulinhauttest (THT) durchzuführen. Bei positivem Testergebnis sollen eine weitere Abklärung und Therapie gemäß bestehender nationaler Empfehlung erfolgen.
- Beim Tuberkulinhauttest ist vor allem im Kindesalter zu beachten, dass das Testergebnis durch die in der Ukraine übliche Bacille-Calmette-Guérin-Impfung beeinflusst werden kann.
- Der Anteil von Patientinnen und Patienten mit einer multiresistenten Tuberkulose ist mit 29 % unter den Neudiagnosen sehr hoch und deren Behandlungserfolg liegt in der Ukraine bei lediglich circa 51 %.
- Bei MDR-Tb reicht eine übliche 6-monatige Medikamenteneinnahme nicht aus, die Patienten müssen eine Therapie für mindestens 18 Monate erhalten.
- Circa 22 % der Tb-Kranken aus der Ukraine haben außerdem eine HIV-Infektion, auch Hepatitis C ist häufig.
Klinische Bedeutung
„Die Tuberkulose ist in der Regel eine sehr gut behandelbare Erkrankung“, so Bauer. „Glücklicherweise ist die Tuberkulose auch grundsätzlich weniger infektiös als beispielsweise COVID-19.“
Die Therapie sei jedoch vor allem bei einer Tb durch multiresistente Erreger aufwendig. Bei Geflüchteten aus der Ukraine kompliziere der hohe Anteil mit Koinfektionen durch HIV oder Hepatitisviren die Behandlung zusätzlich. An das hohe Koinfektionsrisiko sollten Ärzte in Deutschland denken. In diesem Fällen müsse die Behandlung in Spezialzentren erfolgen.
Finanzierung: keine Angaben
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