Study & Opinion: Neue Phase-3-Daten sprechen gegen den Hoffnungsträger Ivermectin bei COVID-19

  • Dr. Nicola Siegmund-Schultze
  • Studien – kurz & knapp
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Kernbotschaften

"Der Therapieansatz 'Ivermectin gegen COVID-19' basiert auf Glauben und Hoffnung, nicht aber auf wissenschaftlicher Evidenz". So kommentierte der Intensiv- und Notfallmediziner Prof. Stefan Kluge vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) vor einiger Zeit die Anwendung des Anti-Parasitikums bei COVID-19 (1). Auch an deutschen Kliniken wurde das Medikament Off Label verabreicht. Eine prospektiv randomisierte, placebokontrollierte Phase-3-Studie mit mehr als 1.300 COVID-19-Patienten ergibt nun: Ivermectin senkt weder die Rate stationärer Therapien wegen COVID-19 noch die Mortalität; es beschleunigt auch nicht die Virus-Clearance (2).

Hintergrund

Ivermectin ist ein Anti-Parasitikum, das häufig in der Veterinärmedizin angewendet wird, bei Befall mit Helminthen beispielsweise. Indikationen beim Menschen können Skabies (Krätzmilbe) sein, ebenfalls Wurmbefall oder Mikrofilarämie. Laborstudien hatten ergeben, dass Ivermectin die Replikation von SARS-CoV-2 supprimieren kann, allerdings in einer wesentlich höheren Dosierung als derzeit beim Menschen zugelassen. Kleinere klinische Studien mit Ivermectin hatten uneinheitliche Resultate, eine erste randomisierte Studie mit 400 kolumbianischen COVID-19-Patienten (milde Erkrankung) ergab keine klinisch relevanten Effekte für den Verlauf von COVID-19 (3). Hersteller Merck teilte im Februar 2021 mit, einer internen Analyse zufolge gebe es zu diesem Zeitpunkt keine wissenschaftliche Basis für eine potenzielle therapeutische Wirkung von Ivermectin bei COVID-19 (4). Dennoch wurde der Wirkstoff international teilweise „gehypt“, auch als Arzneimittel, das bei Bedarf von Ungeimpften angewendet werden kann und wegen seiner Effektivität eine Impfung verzichtbar macht (5). Nun sind Daten einer großen randomisierten Studie aus Brasilien vollpubliziert worden (2).

Design

  • Studienform: prospektiv randomisierte doppelblinde und placebokontrollierte Phase-3-Studie
  • Teilnehmerinnen und Teilnehmer: 3515 Patienten mit symptomatischem COVID-19 (mindestens 7 Tage) und laborgesicherter SARS-CoV-2-Infektion
  • Randomisierung: 1.358 Patienten wurden randomisiert in eine Gruppe, die Ivermectin 400 μg/kg Körpergewicht ein Mal täglich für 3 Tage erhielt (n = 679) und eine zweite Gruppe, die Placebo bekam (n = 679); die übrigen Teilnehmer (n = 2.157) erhielten andere Behandlungen
  • Primärer Endpunkt: stationäre Aufnahme in den ersten 28 Tagen nach Randomisierung oder eine Notfallbehandlung wegen COVID-19

Hauptergebnisse

  • 100 Patienten der Ivermectingruppe (14,7 %) hatten ein Ereignis des primären Endpunkts und 111 (16,3 %) unter Placebo (Relatives Risiko [RR]: 0,90; n.s.).
  • Von den 211 Ereignissen des primären Endpunkts waren 171 (81,0 %) Klinikeinweisungen.
  • Eine modifizierte Intention-to-Treat-Analyse ergab ebenfalls keine klinisch relevanten Unterschiede (RR: 0,89) beim primären Endpunkt.
  • Auch die Sterblichkeit unterschied sich nicht zwischen Verum und Placebo.
  • Die Virus-Clearance zu Tag 7 nach Randomisierung war praktisch identisch zwischen den Gruppen.
  • In Bezug auf unerwünschte Effekte waren die Häufigkeiten in der Ivermectin- und der Placebogruppe ebenfalls nicht signifikant unterschiedlich.

Klinische Bedeutung
Die bislang größte prospektiv randomisierte, placebokontrollierte Studie zur potenziellen Effektivität von Ivermectin bei COVID-19 bestätigt: keine klinisch relevanten Effekte. Das Ergebnis stützt die Zurückhaltung der Weltgesundheitsorganisation, der Europäischen Arzneimittel-Agentur und des Robert Koch-Instituts zum Beispiel. Sie alle empfehlen eine Behandlung mit Ivermectin bei Patienten mit COVID-19 außerhalb von kontrollierten klinischen Studien nicht.

Die Studienautoren selbst sind skeptisch, ob die neuen Daten Anhänger der Paramedizin von der Unwirksamkeit des Medikaments bei COVID-19 überzeugen könnten. Die Gruppen fänden im Allgemeinen Kritikpunkte, die solche Ergebnisse infrage stellten.

Wie brisant das Thema für Deutschland ist, belegt die Tatsache, dass der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags Ende letzten Jahres eine Synopse zur wissenschaftlichen Evidenz gemacht hatte (6).

Finanzierung: Stiftungsfinanziert (ohne Unterstützung von Herstellern)