Studie zeigt detailliert neuropsychiatrische Langzeitfolgen bei SARS-CoV-2-Infizierten auf
- Michael Simm
- Studien – kurz & knapp
Kernbotschaften
Gegenüber anderen infektiösen Atemwegserkrankungen ist das Risiko vieler neuropsychiatrischer Folgen nach einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 erhöht, und kognitive Defizite, Demenzen, psychotischen Störungen und Epilepsie sind länger nachweisbar. Gemüts- und Angststörungen waren unter SARS-CoV-2 ebenfalls häufiger. Deren Inzidenz ging allerdings binnen 2 Monaten auf die Ausgangswerte zurück.
Hintergrund
COVID-19 ist eine von mehreren viralen Erkrankungen, für die langfristig eine Häufung von neuropsychiatrischen Beschwerden beobachtet wurde. Da die ersten Infektionen erst wenige Jahre zurückliegen, sind gegenwärtig noch viele Fragen offen – beispielsweise die Dauer der Beschwerden, ob Kinder und Erwachsene gleichermaßen betroffen sind, und ob es Unterschiede in den Risikoprofilen der unterschiedlichen Varianten des Erregers SARS-CoV-2 gibt.
Design
Retrospektive Analyse der Daten von ursprünglich 89 Millionen Patienten, die durch das TriNetX-Gesundheitsnetzwerk in anonymisierter Form bereitgestellt wurden und die überwiegend aus den USA stammen, aber auch aus Australien, Großbritannien, Spanien, Bulgarien, Indien, Malaysia und Taiwan. Daraus wurden ca. 1,5 Millionen Menschen verschiedener Altersklassen, die zwischen Januar 2020 und April 2022 eine COVID-19-Diagnose erhalten hatten, mittels Propensity-Score-Matching ebenso vielen anderen Personen zugeordnet, die an anderen Atemwegsinfektionen erkrankt waren. Geschätzt wurde das Risiko (Hazard Ratio) von 14 neurologischen und psychiatrischen Diagnosen über die Zeit bzw. die Zeitpunkte, an denen das jeweilige Risiko in beiden Gruppen sich anglich.
Ergebnisse
- Die Risikotrajektorien nach einer SARS-CoV-2-Infektion unterschieden sich in der gesamten Kohorte erheblich. Eine Gemeinsamkeit war jedoch, dass fast alle Diagnosen 6 Monate nach SARS-CoV-2 häufiger gestellt wurden als nach anderen Atemwegsinfektionen.
- Das Risiko für häufige psychiatrische Störungen näherte sich nach 1 – 2 Monaten wieder den Ausgangswerten. Bei Stimmungsstörungen waren dies 43 Tage, bei Angststörungen 58 Tage. Bei der Gesamtinzidenz wurde ein Gleichstand mit der Kontrollgruppe nach 457 bzw. 417 Tagen erreicht.
- Immer noch erhöht waren nach SARS-CoV-2-Infektionen zum Ende des 2-jährigen Untersuchungszeitraums kognitive Defizite („Brain fog“), Demenz, psychotische Störungen sowie Epilepsie/Krampfanfälle.
- Kinder hatten zwar ein halbes Jahr nach COVID-19 kein erhöhtes Risiko von Stimmungs- oder Angststörungen, jedoch traten kognitive Defizite, Schlaflosigkeit, intrakranielle Blutungen, ischämische Schlaganfälle, Erkrankungen der Nerven und Nervenwurzeln, psychotische Störungen und Epilepsie allesamt häufiger auf (HR 1,20 – 2,16).
- In beiden Kohorten verstarb ein erheblicher Anteil älterer Erwachsener, die eine neurologische oder psychiatrische Diagnose erhalten hatten – besonders jene mit Demenzen oder mit einer Epilepsie.
- Das Risikoprofil der ersten SARS-CoV-2-Variante (Alpha) ähnelte dem des Wildtyps. Mit dem Aufkommen der Delta-Variante nahm das Risiko für ischämische Schlaganfälle, Epilepsie, kognitive Defizite, Schlaflosigkeit und Angststörungen zu; zudem erhöhte sich die Mortalität. Mit der Verbreitung der Omikron-Variante ging die Mortalität wieder zurück, die Risiken für neurologische und psychiatrische Störungen änderten sich aber kaum.
Klinische Bedeutung
Die aktuelle Auswertung der neuropsychiatrischen Folgen von SARS-CoV-2-Infektionen beeindruckt mit einer großen Zahl von Studienteilnehmern, auch wenn diese zumeist aus den USA stammten. Die Risikoabschätzung im Vergleich zu anderen infektiösen Atemwegserkrankungen quantifiziert das Ausmaß der Bedrohung, und die Einbeziehung aller häufigen Virusvarianten erlaubt eine bessere Einschätzung der Variabilität des Erregers. Eine Unterscheidung zwischen direkten neuropsychiatrischen Folgen der Infektionen und möglichen indirekten Auswirkungen der Interventionen gegen die Pandemie ist aber nicht eindeutig möglich.
Finanzierung: National Institute for Health and Care Research Oxford Health Biomedical Research Centre, The Wolfson Foundation, MQ Mental Health Research.
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