Sputnik, Italien und „Liebesgrüße“ von Wladimir Wladimirowitsch
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Von Andrea Capocci (Agenzia Zoe)
„From Russia with Love“ („Liebesgrüße aus Moskau“) ist nicht nur der Titel eines James-Bond-Streifens, sondern auch die Bezeichnung eines Hilfsprojekts von Russland für Italien während der 1. COVID-19-Welle. Nun werden mehr Parallelen zu dem Film offensichtlich, als so manchem Politiker in Italien gefallen dürfte. Eine Spurensuche.
Die Zusammenarbeit zwischen Italien und Russland im Kampf gegen COVID-19 begann in den schlimmsten Tagen der 1. Welle. Am Samstag, dem 21. März 2020, landeten 9 (manche sagen 13) russische 4-motorige Flugzeuge mit medizinischen Hilfsgütern, mit Gesundheitsfachkräften und mit Sicherheitspersonal, das in verschiedenen Funktionen den russischen Streitkräften angehört, auf dem Militärflughafen Pratica di Mare bei Rom.
Am selben Tag wurden in Italien 6557 neue SARS-CoV-2-Infektionen erfasst. Auch wenn dies heute wenig erscheinen mag, war es die höchste Zahl der 1. Welle. Damals waren die Test-Kapazitäten viel limitierter als heute: 26.000 Abstriche wurden täglich untersucht, während heute täglich etwa eine halbe Million Tests pro Tag möglich sind.
Viel Dankbarkeit für die russische Unterstützung
An jenem Samstag wurden 793 Todesopfer gezählt. Die tatsächliche Zahl war wahrscheinlich viel höher. Als die russischen Helfer eintrafen, war Italien vollständig abgeriegelt und kämpfte mit der schlimmsten Gesundheitskrise seit Ende des 2. Weltkriegs.
Die russische Mission, von den italienischen Medien in „From Russia with Love“ umbenannt, wurde daher von den Behörden in Anbetracht der Krise mit Dankbarkeit aufgenommen. Die Einsätze fanden in den Provinzen Bergamo und Brescia statt, die zu den am stärksten von der Pandemie betroffenen Gebieten gehörten; sie dauerten fast zwei Monate.
Nach dem Einmarsch in die Ukraine rückte nun diese Mission wegen einiger unklarer Aspekte wieder in den Fokus der Medien. Es stellte sich die Frage, warum bei der Mission mehr militärisches als medizinisches Personal eingesetzt wurde. Unter 104 Teilnehmern waren 28 Ärzte (von denen nur zwei Zivilisten waren) und nur vier Krankenschwestern.
Einige, wie der General Sergej Kikot, der die Mission leitete, waren Experten für chemische und bakteriologische Waffen und eher mit Kriegsschauplätzen als mit Epidemien vertraut. Darüber hinaus war die nach Italien transportierte medizinische Ausrüstung in der Notsituation wenig hilfreich: Während Italien täglich mehrere 10 Millionen Masken benötigte, brachten die Frachtschiffe aus Moskau nur einige hunderttausend. Selbst die 150 von den Russen zur Verfügung gestellten Beatmungsgeräte erwiesen sich als nicht funktionsfähig und sogar gefährlich.
Aufklärung oder humanitäre Hilfe?
Die Ausrüstung und die personelle Zusammensetzung lassen heute viele Beobachter vermuten, dass die Mission auch Ziele verfolgte, die mit russischer Spionage gegen ein NATO-Land zusammenhängen.
Hindeuten auf einen Spionage-Einsatz könnte zudem die ursprüngliche Absicht der Russen, auch öffentliche Einrichtungen zu reinigen und desinfizieren und nicht nur Krankenhäuser oder Gesundheitseinrichtungen, wie sie später mit dem italienischen Zivilschutz vereinbarten. Russische Ärzte hatten die Gelegenheit, sich aus erster Hand über die Behandlungsprotokolle zu informieren. Italien war damals nach China das Land mit der größten Erfahrung in der Behandlung von COVID-19-Patienten. In Peking hingegen wäre es wahrscheinlich viel schwieriger gewesen, an die vertraulichen Patientendaten heranzukommen.
Andererseits wurde die russische Mission von Medien und Institutionen aufmerksam verfolgt und geprüft. Italienische und ausländische Medien brachten die Ankunft der Russen von Anfang an mit einer Operation in Verbindung, die nicht nur medizinische, sondern auch diplomatische Ziele verfolgte.
Unter den NATO-Ländern ist Italien wahrscheinlich dasjenige mit den stärksten politischen Beziehungen zu Putin: Nationale Parteien wie Fratelli d'Italia, Lega, Movimento 5 stelle und Forza Italia haben vor dem Konflikt wiederholt ihre Wertschätzung für den russischen Präsidenten zum Ausdruck gebracht.
Um etwaige Auswirkungen der Aktionen Russlands auf die nationale Sicherheit zu erkennen, führte das parlamentarische Komitee für die Sicherheit der Republik (Copasir) im Jahr 2021 auch Überprüfungen durch die Nachrichtendienste durch. „Laut dem Jahresbericht 2021 von Copasir wurde die russische Mission ausschließlich im Gesundheitssektor durchgeführt - mit der Aufgabe, Krankenhäuser und Pflegeheime zu sanieren, und der Konvoi wurde stets von italienischen Militärfahrzeugen begleitet“, heißt es darin.
Entstand Sputnik durch Spionage?
Um die Spionage-Hypothese zu untermauern, führte der „Corriere della Sera“ in seiner Recherche auch die Tatsache an, dass bei der Entwicklung des russischen Impfstoffs Sputnik V eine Virussequenz aus dem italienischen Ausbruch verwendet wurde, da sie von einem russischen Bürger stammte, der gerade von einer Reise nach Rom zurückgekehrt war. Tatsächlich war der russische Bürger am 15. März 2020 nach Italien gereist, d. h. eine Woche vor der Ankunft der russischen „Delegation“. Darüber hinaus wurden am 21. März auch in Russland täglich Hunderte von COVID-19-Fällen registriert. Daher wäre es nicht notwendig gewesen, nach Italien zu reisen, um die biologischen Proben zu sammeln, die für die Entwicklung des russischen Impfstoffs Sputnik V benötigt wurden.
Die Entwicklung von Sputnik ließ jedoch Zweifel an der tatsächlichen Bedeutung der gesundheitlichen Zusammenarbeit zwischen Russland und Italien während der Pandemie aufkommen. Obwohl der vom Moskauer Gamaleya-Institut entwickelte Impfstoff nie von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) empfohlen wurde, haben viele lokale Verwaltungsbeamte, etwa die Präsidenten der Lombardei, Venetiens, Kampaniens und Latiums, vorgeschlagen, unabhängig von Brüssel Impfstoffdosen zu kaufen: eine Entscheidung, die von Ungarn, dem Land des antieuropäischen Ministerpräsidenten Orban, getroffen wurde, aber auch von anderen Ländern befürwortet wurde. Alternativ hatte man diskutiert, den russischen Impfstoff in Italien herzustellen.
Im Februar/März 2021, einer Zeit, in der von der EU erworbene Impfstoffe mit erheblicher Verspätung in Italien eingetroffen waren, wurden viele Erklärungen zu Sputnik abgegeben. Wäre die europäische Allianz für Impfstoffe damals zerbrochen, hätten die EU-Regierungen miteinander um Impfdosen konkurriert, ohne sich an die Empfehlungen der EMA zu halten; dies hätte die Preise erhöht und die Sicherheit für die Bürger verringert.
Intensive Zusammenarbeit bei der Impfstoffforschung
Auf Betreiben des Gesundheitsministers Alessio D'Amato ging die Region Latium weiter als andere Regionen Italiens und förderte eine wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Moskauer Gamaleya-Institut und dem Nationalen Institut für Infektionskrankheiten „Lazzaro Spallanzani“ in Rom.
Dank dieser Partnerschaft wurden mehrere Studien durchgeführt, in denen Spallanzani die Wirksamkeit des russischen Impfstoffs als Erstimpfung und als Auffrischungsimpfung bestätigt haben soll. Die letzte, im Januar 2022 nur in MedArxiv veröffentlichte und nicht von Experten begutachtete Studie, habe gezeigt, dass „der wirksamste Ansatz für Impfstoff-Auffrischungen die, wie bereits in anderen Studien gezeigt, heterologe Impfung ist, die zuerst vom Sputnik-V-Impfstoff übernommen wurde“, der sich als besser erwiesen habe als der mRNA-Impfstoff von Pfizer, hieß es in der Veröffentlichung.
Die wissenschaftliche „Community“ hatte jedoch große Bedenken gegenüber den russischen Impfstoffstudien. Die russischen Forscher wollten ihre Daten nicht mit Kollegen teilen, und auch die Herkunft der Mittel für ihre Studien war nicht transparent.
Eine Untersuchung der Tageszeitung „La Stampa“ ergab schließlich, dass russische Beamte einem leitenden Angestellten des Forschungsinstituts 250.000 Dollar angeboten hatten, damit er in Spallanzani Experimente dazu durchführt. Mit dem Beginn der Invasion in der Ukraine und der Verschärfung der Sanktionen gegen Russland musste auch Spallanzani die Zusammenarbeit mit Gamaleya einstellen.
Einige Medien, z.B. der „Corriere della Sera“, vermuten nun eine Verbindung zwischen der russischen Mission in Bergamo und der Zusammenarbeit zwischen Rom und Moskau in Bezug auf den Impfstoff, doch gibt es dafür keine konkreten Beweise. Man kann jedoch davon ausgehen, dass Russland in beiden Fällen die Pandemie und die Forschung zu SARS-CoV-2 nutzte, um „sanften Druck“ auszuüben, d. h. um die Position Italiens gegenüber Russland zu beeinflussen.
Ob zu dieser Strategie auch Manipulationen wissenschaftlicher Erkenntnisse gehörten, ob es Absprachen zwischen lokalen und nationalen Politikern mit einem Land gab, das damals bereits mit Sanktionen belegt war, und ob es schließlich Korruption unter den Verantwortlichen des italienischen Gesundheitswesens gab, muss durch die noch laufenden Untersuchungen geklärt werden.
Der Artikel wurde von Michael van den Heuvel für Medscape. de aus Univadis.it übersetzt und adaptiert.
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