Salzkonsum: Was ist gesund, was ungesund?

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Von Marina Urbanietz und Dr. Nina Mörsch

Speisesalz wird immer wieder kontrovers diskutiert. Über Jahre hinweg wurden Studien veröffentlicht, die eine niedrigere Rate an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfällen mit reduziertem Salzkonsum in Zusammenhang bringen. Doch es häufen sich auch Hinweise auf eine weniger schädliche Wirkung des Salzes bis hin zu einem sogar günstigen Effekt auf die Lebenserwartung (je geringer der Konsum, desto kürzer die Lebenserwartung und umgekehrt – mit Ausnahme eines exzessiven Konsums über 10 Gramm; BMJ, 2013). Auch die zunächst viel gelobte und später oft kritisierte PURE-Studie warnte vor zu geringem Salzkonsum, der – genauso wie eine salzreiche Kost – mit einem erhöhten Risiko auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Tod assoziiert war (The Lancet, 2017, 2018)

Anstieg des Risikos linear oder nach einer J-Kurve?

Im Fokus der Diskussionen stand somit lange Zeit die Frage, ob der Anstieg des Risikos linear erfolgt oder basierend auf einer J-Kurve, wonach das Risiko in einem unteren Bereich wieder ansteigen würde. Die PURE-Studie schien zunächst die J-Kurve dokumentiert zu haben. Doch auch hier – wie in den meisten epidemiologischen Studien – erfolgte die Sammlung des 24-Stunden-Urins nur einmal. Diese Methode ist zwar weniger aufwendig, aber auch fehleranfällig.

Aktuelle Studie mit robustem Design

Genau an diesem Punkt setzt eine aktuelle NEJM-Studie aus den USA an (NEJM, 2022): Ein Forscherteam der Harvard Universität in Boston hat die Natrium- und Kaliumkonzentration in mehreren 24-Stunden-Urin-Proben (mindestens zwei) in Bezug auf das kardiovaskuläre Risiko (koronare Revaskularisation, nicht-tödliche/tödliche Herzinfarkte oder Schlaganfall) gesetzt. Dazu nutze es die Daten von sechs Kohortenstudien, in denen die Natrium- und Kaliumkonzentration in mehreren 24-Stunden-Urinproben bestimmt und die Probanden längere Zeit nachverfolgt worden waren. Insgesamt wurden 10.709 Probanden (mittleres Alter 51 Jahre) in die Studie eingeschlossen. Im Nachbeobachtungszeitraum von im Mittel 8,8 Jahren traten 571 kardiovaskuläre Ereignisse auf. Die mittlere Natriumausscheidung im 24-Stunden-Urin lag bei 3.270 mg (10. bis 90. Perzentile 2099 bis 4899 mg).

Eindeutige Ergebnisse

Der Zusammenhang zwischen hoher Natriumausscheidung bzw. geringer Kaliumausscheidung oder einem höheren Natrium-Kalium-Verhältnis und einem höheren kardiovaskulären Risiko war in dieser Studie eindeutig erkennbar und in allen Vergleichen unabhängig von anderen möglichen Einflussfaktoren signifikant (p ≤ 0,005).

Probanden im Quartil mit der höchsten Natriumausscheidung hatten im Vergleich zu Probanden im Quartil mit der geringsten Aufnahme ein 60% höheres kardiovaskuläres Risiko, bei der geringsten Kaliumausscheidung war das Risiko um 69% erhöht und bei dem höchsten Natrium-Kalium-Verhältnis um 62%. Jede Steigerung der täglichen Natriumaufnahme um 1000 mg ging mit einem 18-prozentigen Anstieg des kardiovaskulären Risikos einher, jede Zunahme der Kaliumausscheidung um 1000 mg mit einem 18-prozentigen Rückgang. Der dosisabhängige Zusammenhang zeigte sich in allen Subgruppen – unabhängig von Alter, Geschlecht, Gewicht oder Zeitdauer der Nachbeobachtungszeit. Somit fanden die Forscherinnen und Forscher keinen Hinweis auf eine J-Kurve und konnten den linearen Anstieg des Risikos erneut bestätigen. Mehr über diese Studie lesen Sie auch in dem Beitrag „Mehr kardiovaskuläre Ereignisse bei hoher Na-Ausscheidung im 24-h-Urin.

Erhöhte Kaliumzufuhr gegen negative Folgen der Natriumaufnahme 

Der in der oben beschriebenen Studie gezeigte Zusammenhang zwischen Natrium- und Kaliumchlorid wurde in einer randomisierten Studie aus China genauer untersucht. Die Ergebnisse wurden zunächst im August vergangenen Jahres auf der Jahrestagung der European Society of Cardiology vorgestellt und anschließend im New England Journal of Medicine veröffentlicht (NEJM, 2021).  Die sogenannte „Salt Substitute and Stroke Study“ (SSaSS) hat den Einfluss eines Kochsalzersatzes bestehend aus 75 % Natriumchlorid und 25 % Kaliumchlorid auf Schlaganfälle untersucht.

Insgesamt wurden 20.995 Personen in die Studie aufgenommen. Das Durchschnittsalter der Teilnehmerinnen und Teilnehmer betrug 65,4 Jahre, 72,6% hatten einen Schlaganfall in der Vorgeschichte und 88,4% einen Bluthochdruck. Die durchschnittliche Dauer der Nachbeobachtung betrug 4,74 Jahre.

Die Schlaganfallrate war mit dem Salzersatz niedriger als mit normalem Salz (29,14 Ereignisse vs. 33,65 Ereignisse pro 1000 Personenjahre; Rate Ratio 0,86; 95% Konfidenzintervall [CI], 0,77 bis 0,96; P=0,006), ebenso wie die Rate der schweren kardiovaskulären Ereignisse (49. 09 Ereignisse vs. 56,29 Ereignisse pro 1000 Personenjahre; Rate Ratio 0,87; 95% CI, 0,80 bis 0,94; P<0,001) und Tod (39,28 Ereignisse vs. 44,61 Ereignisse pro 1000 Personenjahre; Rate Ratio 0,88; 95% CI, 0,82 bis 0,95; P<0,001).

Allgemeine Todesrate um 12% gesenkt

Der Kochsalzersatz hatte demnach 

  • das Schlaganfallrisiko um 14%
  • die Zahl der schweren kardiovaskulären Ereignisse um 13%
  • die allgemeine Todesrate um 12% gesenkt

Dabei war die Rate der schwerwiegenden Hyperkaliämien bei dem Salzersatz nicht signifikant höher als bei normalem Salz (3,35 Ereignisse gegenüber 3,30 Ereignissen pro 1000 Personenjahre; Rate Ratio 1,04; 95% KI, 0,80 bis 1,37; P=0,76).

Diese Studie stieß auf großes mediales Echo, weil sie erstmals zeigen konnte, dass eine 25%ige Reduktion des Natriumchlorid-Gehalts und ein Ersatz durch Kaliumchlorid zu einem verbesserten klinischen Outcome führt.

Erhöhter Salzkonsum: Kognitive Störungen möglich

Obwohl bisher nur in Tierexperimenten gezeigt, scheint der Zusammenhang zwischen erhöhtem Salzkonsum und kognitiven Störungen auch bei Menschen wahrscheinlich.

In diesem Zusammenhang sind zwei Untersuchungen aus den USA erwähnenswert: Eine 2018 in Nature Neuroscience publizierte Studie konnte zeigen, dass es bei Mäusen mit einem sehr hohen Salzkonsum (4 oder 8% NaCl) innerhalb von 8 Wochen zu einer Verringerung des Blutflusses um 20 bis 30 % kommt. Die Salzmenge entsprach dem 8- bis 16-fachen der normalen Salzzufuhr in der Ernährung von Mäusen und ungefähr dem normalen Salzkonsum bei Menschen in den Industriestaaten.

Die oben genannten Durchblutungsstörungen gingen mit dem Auftreten von demenzähnlichen Symptomen einher: Die Mäuse konnten nur schwer Objekte erkennen oder ihr Nest bauen und hatten Orientierungsprobleme in einem Labyrinth. Nach dem Wechsel zur normalen Kost und der Zufuhr von L-Arginin konnte der normale Blutfluss wiederhergestellt werden und die Mäuse erholten sich rasch. Das Forscherteam hatte daher die Vermutung, dass die kognitiven Störungen durch die erhöhte Salzzufuhr nur vorübergehend waren.

Eine 2019, ebenfalls in Nature veröffentlichte und an Mäusen durchgeführte Studie zeigte jedoch, dass der erhöhte Salzkonsum bleibende Schäden im Gehirn hinterließ. In den Nervenzellen war es zu einer Hyperphosphorylierung der Tau-Proteine gekommen, was zu einer Störung des Zytoskeletts führte. Mehr Details zu dieser Studie finden Sie in dem Beitrag „Demenzforschung: Salzreiche Kost könnte Tau-Proteine schädigen“.

Abschließend lässt sich sagen, dass zu viel Salz auch beim Menschen die Entwicklung einer Demenz fördern könnte. Bisher wurde dieser Effekt jedoch über eine vermittelnde Hypertonie erklärt. Eine direkte Verbindung zwischen einer hohen Salzaufnahme und einer Alzheimer-Demenz oder anderen Tauopathien konnte in epidemiologischen Studien nicht beobachtet werden.

Eine Einordnung und Empfehlungen für die Praxis 

Was die wissenschaftlichen Daten für die Praxis bedeuten, erläutert Anja TanasÖkotrophologin und Autorin eines Sachbuchs „Alles über Salz“ (Beltz, 2019). Sie kommentiert die aktuellen Studienergebnisse und erläutert ihre Bedeutung, vor allem auch ihre Umsetzung im Alltag:

Ich betrachte die Erkenntnisse aus der aktuellen Kohortenstudie des Teams rund um Yuan Ma (NEJM, 2022) mit großem Interesse, denn der Bedarf an validen Zahlen ist hoch – vor allem wenn man bedenkt, dass weltweit große Reformulierungsprozesse in der Lebensmittelindustrie angelaufen sind, die nur dann von der Politik weiter vorangerieben werden, wenn es solide wissenschaftliche Grundlagen dafür gibt. 

WHO-Empfehlung: 5 g am Tag, DGE: 6 g

Es gibt Kontroversen über den Einfluss des Kochsalzkonsums auf kardiovaskuläre Erkrankungen, aber bei der Mehrheit der Fachgesellschaften und Experten herrscht Konsens, dass zu viel Salz im Essen für einen großen Teil der Bevölkerung ein Risikofaktor für koronare Herzkrankheiten darstellen kann. Die aktuelle Studie kommt zu dem gleichen Ergebnis. Nachweislich reagiert der Körper mit einem starken Anstieg des Blutdrucks, wenn die Natriumaufnahme steigt. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO hat die Salzreduktion schon seit längerem zu einem ihrer wichtigsten Ziele erklärt. Mit täglich maximal 5 Gramm Salz pro Person liegt sie sogar noch 1 Gramm unter der Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Die Deutschen verzehren durchschnittlich deutlich mehr Salz. 

Einschränkung des Salzkonsums für viele sehr schwer

Die Einschränkung des Salzkonsums ist für die meisten Menschen ein schwerer Einschnitt in die Konsumgewohnheiten. Geht es um den Verzehr von Salz, sollte also der einzelne Patient mit seinen persönlichen Begebenheiten im Blickfeld stehen. Die Salzsensitivität kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Nicht bei jedem sorgt ein verminderter Salzkonsum für einen sinkenden Blutdruck, nicht bei jedem wird der Blutdruck durch Salz im Essen negativ beeinflusst.

Daher sehe ich eine große Verantwortung bei den behandelnden Spezialisten. Für Patientinnen und Patienten mit Bluthochdruck und/oder koronaren Herzkrankheiten, bei denen eine Salzsensitivität festgestellt wurde, ist es positiv, wenn durch die Reduktion des Salzkonsums z.B. die Einnahme blutdrucksenkender Medikamente verringert werden kann.

Kaliumreiche Kost

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Kaliumaufnahme. Aus dem ersten Teil des Beitrags wird ersichtlich, dass eine erhöhte Kaliumzufuhr den negativen Folgen der Natriumaufnahme entgegenwirken kann. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) unterstreicht, dass eine kaliumreiche Ernährung dabei helfen kann, einen erhöhten Blutdruck zu senken und das Schlaganfallrisiko zu minimieren.

Ziel: Weniger Salz im Essen

Als Reaktion auf dieses globale Problem der nicht übertragbaren Krankheiten wollen bis zum Jahr 2025 alle Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation u.a. die Salzaufnahme in der Bevölkerung um 30 Prozent senken – darunter auch Deutschland. 3

Ein wohl zu ehrgeiziges, aber unbedingt lohnendes Ziel. In vielen Ländern gibt es bereits Aktivitäten zur Salzreduktion im Essen – mal sind es selbstverpflichtende Maßnahmen der Lebensmittelindustrie, mal sind es gesetzliche Vorgaben. Denn: Bis zu 80 Prozent unserer täglichen Salzzufuhr stammen aus verarbeiteten Lebensmitteln. Und eine besondere „Salzfalle“ ist ausgerechnet Brot! Angaben wie „natriumarm“ oder der Nutri-Score auf den Verpackungen sind ein erster, hilfreicher Schritt für die Verbraucher, um vergleichsweise salzärmere Produkte im Supermarkt zu identifizieren.

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de.