Sakralnervenstimulation: vielleicht eine Option für Frauen mit Sexualfunktionsstörungen
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Kernbotschaften
Die Sakralnervenstimulation (SNS) ist ein Therapie-Verfahren, mit dem möglicherweise Frauen geholfen werden kann, die an Sexualfunktionsstörungen leiden. Der Nutzen der Methode bei dieser Indikation sollte allerdings noch in qualitativ hochwertigen Studien mit dem primären Endpunkt Sexualfunktion überprüft werden, betont ein Autorenteam um den Viszeralchirurgen Dr. Erik Allemeyer von den Niels-Stensen-Kliniken (Franziskus-Hospital
Harderberg, Georgsmarienhütte) in einem aktuellen Zeitschriftenbeitrag.
Die sexuelle Gesundheit wird von der WHO als das physische, emotionale, mentale und soziale Wohlbefinden mit Bezug zur Sexualität definiert. Umfangreiche Untersuchungen belegen die große Bedeutung der Sexualfunktion für die Lebensqualität. Daraus ergibt sich, dass bei Störungen der Sexualfunktion eine Therapie erforderlich sein kann.
Zur Häufigkeit von Sexualfunktionsstörungen bei Frauen gibt es den Autoren zufolge aufgrund heterogener Definitionen sehr unterschiedliche Daten. Das Prävalenz-Spektrum reiche von 26 bis 91 Prozent; die geschätzte Prävalenz für Orgasmusstörungen im Speziellen liege bei 16 bis 25 Prozent. Es könne daher von einem klinisch bedeutsamen Problem gesprochen werden.
Seit kurzer Zeit werde erkennbar, dass die Sakralnervenstimulation, bisher bei anderen Erkrankungen angewendet, auch eine Option für Frauen mit Sexualfunktionsstörungen werden könnte. Die SNS wurde laut Allemeyer und seinen Mitautoren1988 erstmals als therapeutische Alternative für Patienten mit neurogener Blase beschrieben und ist seit 1994 in Europa zugelassen. Als minimal-invasive Therapie der Harndranginkontinenz, des idiopathischen Beckenschmerzes sowie der nicht-obstruktiven Harnretention bestehe mittlerweile ein großes therapeutisches Spektrum für die SNS in der Urologie/ Urogynäkologie. Seit der Erstbeschreibung einer erfolgreichen Stimulations-Behandlung der Stuhlinkontinenz (1995) werde das Verfahren auch in der Koloproktologie angewendet.
Vor einer Implantation wird erst getestet
Bei der SNS werden sakrale Nervenwurzeln (S 3 bzw. S 4) über eine perkutan implantierte Elektrode permanent stimuliert. Die Wirkung wird zunächst in einer bis zu mehreren Wochen dauernden Phase mit einer Testelektrode und einem externen Impulsgeber überprüft. Erst bei deutlicher Symptomlinderung unter der Teststimulation könne die Indikation zur Vollimplantation gestellt werden, betonen die Autoren.
Schon in den Anfangsjahren der Stimulations-Therapie bei Harn- und Stuhlkontinenz sowie idiopathischen Beckenschmerzen seien auch positive Effekte auf die Sexualfunktion beobachtet worden, berichten Allemeyer und seine Kollegen weiter. In einer Übersichtsarbeit haben sie nun den aktuellen Stand der Forschung zu möglichen Wirkungen der SNS auf die Sexualfunktion von Frauen zusammengefasst und diskutiert.
Systematische Studien-Auswertung
Ausgewertet haben sie dafür 16 Studien mit insgesamt 662 Frauen, in denen die Auswirkung der SNS auf die Sexualfunktion bei Anwendung in anderen Indikationen überprüft wurden. Die überwiegende Zahl an Daten existiere zu urologischen Indikationen für die SNS (überaktive Blase, chronische Retention und idiopathischer Beckenschmerz). Bei der Stuhlinkontinenz sei die Indikation zur SNS hingegen selten gestellt worden (9,1 Prozent der Indikationen zur SNS, 61 Patientinnen). Das am häufigsten eingesetzte Instrument zur Bewertung des Effektes sei der validierte Female Sexual Function Index (FISI) gewesen. Dieser frag die Domänen „desire“ (sexuelle Appetenz), „arousal“ (Erregung), „lubrication“, „orgasm“ und „satisfaction“ (Befriedigung) ab.
Die Analyse ergab laut Allemeyer und seinen Mitautoren Hinweise auf signifikant verbesserte Sexualfunktionen, wobei jedoch unklar sei, ob es primäre oder sekundäre Effekte der SNS seien. In allen Originalarbeiten und Reviews sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass es keine Belege für eine primäre Wirkung der SNS auf die Sexualfunktion gebe.
Die Wirkungsweise der SNS und die unmittelbare anatomische und physiologische Beziehung der Funktionen zur Harnblasenentleerung, Harnblasenkontinenz, des Beckenschmerzes, der Stuhlkontinenz und der Sexualfunktion legen nach Angaben der Autoren einen möglichen primären Effekt der SNS auf die Sexualfunktion sehr nahe. Bis dato existierten jedoch keine Untersuchungen zur Sexualfunktion als primärem Ergebnisparameter der SNS. Dies sollte in qualitativ hochwertigen Studien mit dem primären Endpunkt Sexualfunktion überprüft werden.
Derzeit noch eine experimentelle Therapie
Aus den bisher vorliegenden Studien-Daten ergeben sich laut Allemeyer und seinen Kollegen zwei praktische Schlussfolgerungen:
- Ein möglicher primärer Effekt der SNS auf die Sexualfunktion sollte in qualitativ hochwertigen prospektiven Studien unter Einschluss detaillierter Analysen der unterschiedlichen Aspekte sexueller Funktionsstörungen bei beiden Geschlechtern überprüft werden.
- Ein Angebot zur testweisen SNS bei Störungen der Sexualfunktion sollte ausschließlich in erfahrenen Zentren mit einem multidisziplinären Behandlungsteam aus Sexualtherapeuten und Fachärzten unterbreitet werden, und zwar nach Ausschöpfung verfügbarer Therapie-Optionen und zunächst nur innerhalb systematischer Studien.
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