RKI-Chef ist der falsche Schuldige

  • Presseagentur Gesundheit (pag)
  • Im Diskurs
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Das Robert Koch-Institut (RKI) und sein Präsident stehen im Kreuzfeuer der Kritik: Der Grund ist die von der Behörde angeordnete Halbierung des Genesenenstatus von sechs auf drei Monate. Die FDP sägt am Stuhl von RKI-Chef Prof. Lothar Wieler. Auch die Wissenschaftlichen Dienste (WD) des Deutschen Bundestags kritisieren diese plötzliche Statusänderung, sehen das Versäumnis aber bei der Bundesregierung.

 

Stein des Anstoßes ist die Änderung der Ausnahmenverordnung, die am 15. Januar in Kraft getreten ist. Paragraf 2 Nr. 5 sieht vor, dass der Genesenennachweis „den vom Robert Koch-Institut im Internet unter der Adresse www.rki.de/covid-19-genesenennachweis unter Berücksichtigung des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft veröffentlichten Vorgaben“ entsprechen muss.

In der vierten Kalenderwoche hat das RKI dann prompt die Gültigkeit des Nachweises von sechs auf drei Monate verkürzt – per Veröffentlichung auf der Website. Wieler und Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) stellen später am 28. Januar in der Bundespressekonferenz klar, es handele sich nicht um einen Alleingang des RKI, da es auf der Fachebene schon lange einen Austausch über die Änderung gegeben habe. Die Kommunikation an die Länder unterließ der Minister.

Problematisch erscheint den WD, dass die Norm keine Kriterien dazu vorgibt, wann eine Immunisierung vorliegt, durch wen diese festgestellt wird, wie lange sie gilt und welche Ausnahmen möglich sind. Weiter heißt es in der Ausarbeitung: „Aufgrund der hohen Grundrechtsrelevanz erscheint das vollständige Überlassen der Regelung dieser Frage an die Exekutive kritisch.“

Die Bundesregierung übertrage eigene Aufgaben an das RKI, allerdings sei sie zu einer Subdelegation – abgesehen von einer Delegation an die Landesregierungen – nicht ermächtigt. Alles in allem sei zweifelhaft, ob die geänderte Fassung von Paragraf 2 Nr. 5 „verfassungsrechtlichen Maßstäben genügt“.

 

„Selbst schuld!“

Die Wissenschaftlichen Dienste rüffeln somit die Bundesregierung und nicht das RKI. Da könnte man den Politikern, die diese Verordnung zu verantworten haben – sprich: der Ampel – entgegenrufen: „Selbst schuld!“ Trotzdem geht die FDP den Behördenchef an. Ihr designierter Generalsekretär Bijan Djir-Sarai meint gegenüber dem „Spiegel“ am 4. Februar, dass sich Wieler des Vertrauens der Liberalen „nicht mehr sicher sein kann“.

Wenn es der RKI-Leiter tatsächlich versäumt haben sollte, seinen Dienstherrn Lauterbach über die Kürzung rechtzeitig vor Inkrafttreten zu informieren, wäre das in der Tat eine Fehlleistung. In den letzten zwei Jahren hat die Öffentlichkeit Wieler jedoch als loyalen Beamten kennengelernt. Handelt so jemand, ohne seinen Chef vorher zu informieren? Daran kann man mindestens leise Zweifel äußern.

 

Candystorm zum Geburtstag

Nach der FDP-Attacke erfährt der Institutsleiter in den sozialen Medien einen wahren Candystorm – das Gegenteil des Shitstorms. Die Grünen und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stellen sich demonstrativ hinter ihn. Auch Lauterbach spricht Wieler am 8. Februar in der Bundespressekonferenz zur aktuellen Corona-Lage sein volles Vertrauen aus. Der RKI-Präsident selbst zeigt sich an diesem Termin unbeeindruckt ob der Diskussion um seine Person und weicht charmant aus. Das RKI befinde sich nun mal seit zwei Jahren in einem „Spotlight“. Er begehe an diesem Tag seinen 61. Geburtstag vor Journalisten. „Was kann es denn Angenehmeres geben? Wir sind uns doch so sehr ans Herz gewachsen. Insofern ist das alles in Ordnung.“

Kritik verpackt der Behördenleiter lieber geschickt. Das bekam Dr. Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), zu spüren, als er Ende November den RKI-Präsidenten rügte. Damals ging es um die von Wieler gutgeheißene Maßnahme, dass auch andere Berufsgruppen wie Apotheker gegen Corona impfen sollen. Als Replik auf die Kritik des KBV-Chefs sagt er am 26. November: „Die Empörung, die ich über viele Äußerungen von Herrn Gassen empfinde, habe ich hier noch nie geäußert, werde ich auch zukünftig nicht äußern.“

 

Link zur Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags, Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung des Genesenennachweises durch Rechtsverordnung, 28. Januar 2022, PDF, 12 Seiten

www.bundestag.de/resource/blob/879942/99eedf2b3492882053bd16491ec42a7c/WD-3-006-22-pdf-data.pdf