Rhabdomyolyse und akutes Nierenversagen bei einem 53-jährigen Mann
- Dr. med. Thomas Kron
- Patienten-Fall
Kernbotschaften
Bei der medikamentösen Therapie sollte grundsätzlich auf mögliche Wechselwirkungen der Wirkstoffe geachtet werden. Wie wichtig es ist, diese bekannte Empfehlung zu beachten, zeigt die Krankengeschichte eines Mannes mit HIV-Infektion, die Dr. Elisa Intert von der Schön Klinik Hamburg Eilbek und ihre Kollegen schildern.
Der Patient und seine Geschichte
Der 53-jährige Patient habe sich in der Klinik vorgestellt, weil er seinen Angaben zufolge seit vier Tagen an progredienten und schmerzhaften Lähmungen der Extremitäten litt. Seit 2008 sei eine HIV-Infektion bekannt; seit etwa einem Jahr erhalte er daher Darunavir, Cobicistat, Emtricitabin und Tenofoviralafenamid, berichten Intert und ihre Kollegen.
Im April 2020 habe der Mann einen Nicht-ST- Hebungs-Infarkt erlitten; zur Sekundärprävention nach perkutaner Angioplastie sei eine Therapie mit Atorvastatin eingeleitet worden.
Die Befunde
Die neurologische Untersuchung ergab: beidseitige Krafteinschränkung (4/5) der Füße sowie schwere Hüftbeugerschwäche links (1/5); Lasègue-Zeichen negativ, Sensibilität erhalten.
Folgende Labor-Parameter waren auffällig:
- Kreatinin 1,7mg/dl (0,7–1,3mg/dl)
- GFR 45 ml/min (62–100 ml/min)
- Harnstoff 73 mg/dl (17–43mg/dl)
- CK 17.796 U/l (<190 U/l)
- CK-MB 245 U/l (<25U/l)
- LDH 721 U/l (<248 U/l)
- GOT 709 U/l (<50 U/l)
- GPT 329 U/l (<50 U/l)
- Gamma-GT 219 U/l (< 60 U/l)
- Bilirubin 1,2 mg/dl (0,3–1,2 mg/dl)
- AP 370 U/l (46–116 U/l)
- Myoglobin im Urin 327.000 μg/l (< 10 μg/l)
Die Diagnose lautete: Rhabdomyolyse mit akutem Nierenversagen
Therapie und Verlauf
Intert und ihre Kollegen setzten Atorvastatin ab und leiteten eine forcierte Volumentherapie ein. Bei einer ERCP (endoskopische retrograde Cholangiopankreatikographie) wegen erhöhter Leber- und Cholestaseparameter wurden zwei Gallengangskonkremente geborgen. Im weiteren Verlauf seien die Beschwerden des Patienten in Korrelation mit den Laborwerten vollständig rückläufig, berichten die Hamburger Ärztin und ihre Kollegen.
Diskussion
Bei etwa einem Drittel der Patienten mit dauerhafter Statin-Therapie treten den Autoren zufolge Schwierigkeiten mit der regelmäßigen Einnahme auf. Ursachen seien in bis zu 30 Prozent unspezifische Myalgien, wobei diese tatsächlich nur in ca. zehn Prozent den Statinen zuzuschreiben seien. Lediglich in 0,1% der Fälle träten myositische Phänomene auf und selten lebensbedrohliche Rhabdomyolysen. Myopathien und Rhabdomyolysen sind zwar selten unter einer Statin-Monotherapie (Standarddosis), das Risiko nimmt allerdings mit steigender Dosis und interagierenden Medikamenten zu.
Der Mechanismus der Wechselwirkungen bei Statin-Therapie ist bekannt: Die Lipidsenker zählen zu den Substraten des Enzyms Cytochrom P450 3A4 (CYP3A4); bei gleichzeitiger Einnahme von Medikamenten, die das Enzym hemmen (CYP3A4-Inhibitoren) können die Wirkstoff-Konzentrationen der Statine steigen. Zu den wichtigsten CYP3A4-Inhibitoren gehören laut Intert und ihren Mitautoren:
- Antiarrhythmika: etwa Digoxin, Amiodaron
- Antihistaminika: Astemizol
- Antimykotika: Fluconazol
- Booster: Cobicistat
- Chinolone: Ciprofloxacin
- HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren: Atorvastatin, Rosuvastatin, Simvastatin, Pravastatin, Lovastatin
- Kalziumantagonisten: Amlodipin, Diltiazem, Verapamil
- Makrolide: Erythromycin, Clarithromycin
- Pflanzliche Arzneimittel: Grapefruitsaft, Baldrian
- Phosphodiesterase-5-Inhibitoren: Sildenafil
- Proteaseinhibitoren Darunavir, Ritonavir, Indinavir
Auf das Interaktionspotenzial der Statine mit unterschiedlichen Wirkstoffen weist auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft mit Hilfe eines Flyers hin.
Um gefährliche Wechselwirkungen zu vermeiden, sollten im Falle einer indizierten Statin-Therapie möglichst CYP3A4-unabhängige Präparate verwendet und Komorbiditäten beachtet werden, raten Intert und ihre Kollegen. Bei einer Statin-Unverträglichkeit sollten andere Lipidsenker erwogen werden, etwa PCSK9-Inhibitoren, Bempedoinsäure oder siRNA-Therapeutika.
Da die medikamentöse HIV-Therapie ein hohes Interaktionspotenzial habe, sollten vor der Verschreibung Interaktionen geprüft werden („HIV Drug Interactions“).
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