Psychiatrische Notfälle: Ratschläge für Hausärzte - Folge 2

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Oft herrsche bei psychiatrischen Notfällen Unsicherheit, wie praktisch vorzugehen sei, schreiben die Allgemeinmedizinerin Dr. Bernadett Hilbert, ihre Münchener Kollegin Dr. Marlies Karsch-Völk sowie Professor Dr. Michael Landgrebe von der kbo-Lech-Mangfall-Klinik Agatharied, einer Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. In einem aktuellen Zeitschriftenbeitrag erklären sie, wie Hausärzte und Hausärztinnen bei so genannten psychiatrischen Notfällen vorgehen sollten. In der heutigen Folge geht es um akut suizidale Patienten.

In Deutschland sterben den Autoren zufolge jährlich ca. 10.000 Menschen durch einen Suizid. Obwohl nicht offiziell dokumentiert, sei die Zahl der Suizidversuche vermutlich 7- bis 12-mal so hoch. Viele Patienten und Patientinnen hätten in den letzten Wochen vor der suizidalen Handlung Kontakt zu ihren Hausärzten oder Hausärztinnen. Und obwohl bis zu zehn Prozent der Hausarzt-Patienten Suizidgedanken hätten, würden diese dort nur selten geäußert. 

Zur Verhinderung von Suizidversuchen sei es wichtig, Suizid-Wünsche offen anzusprechen, betonen Hilbert und ihre Mitautoren. Dabei sollte jeder Arzt für sich persönlich passende Formulierungen zurechtlegen. Hierbei könnten folgende Fragen hilfreich sein:

  • „Wie sieht es bei Ihnen mit dem Lebensmut aus?“
  • „Haben Sie schon einmal versucht, sich das Leben zu nehmen?“
  • „Können Sie versprechen, dass Sie sich in der kommenden Woche nicht umbringen werden?“
  • „Haben Sie einen konkreten Plan, wie Sie sich umbringen würden?“ 

Die erste Frage wirke als Gesprächsangebot und erleichtere den Einstieg in das Thema, erklären die Allgemeinärztin und ihre Kollegen. Ein stattgehabter Suizidversuch sei der stärkste Prädiktor für einen Suizid. Weitere Risikofaktoren seien unter anderen männliches Geschlecht, Alter über 70 Jahre, eine fehlende familiäre Bindung oder Partnerschaft, Arbeitslosigkeit, Suizidalität in der Familienanamnese und eine psychische Erkrankung.

Die letzten beiden Fragen ermöglichten eine abgestufte Beurteilung von Suizidalität und damit eine bessere Einschätzung des nötigen weiteren Vorgehens. Bewährt habe sich folgende graduierte Einschätzung:

  • lebensmüde Gedanken, dabei klar und glaubhaft ohne Handlungsdruck oder -plan
  • Suizidgedanken, dabei klar und glaubhaft ohne Handlungsdruck oder -plan
  • Suizidgedanken mit Handlungsdruck und/oder Handlungsplan. 

Lebensmüde Gedanken (etwa „ich wäre froh, heute Nacht einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen“) hätten viele Menschen im Laufe ihres Lebens, heißt es in dem Beitrag weiter. Im Vergleich zu solchen passiven Todeswünschen seien Suizidgedanken konkreter und aktiver. 

Handlungsdruck bestehe dann, wenn sich den Patienten die Suizidgedanken aufdrängten und sie sich nicht mehr davon distanzieren könnten. Oft seien Patienten dann nicht mehr „absprachefähig“, sie könnten also nicht versprechen, sich bis zu einem gewissen Zeitpunkt nichts anzutun. In diesem Fall und bei einem konkreten Handlungsplan müssten Betroffene entweder freiwillig oder notfalls mit Zwang in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden. 

Die Einschätzung der Suizidalität sei für Hausärzte nicht trivial, betonen die Autoren. Hierbei spielten das Gesagte, die Kenntnis der individuellen Lebensumstände der Patienten sowie das „eigene Bauchgefühl“ und Erfahrung die entscheidende Rolle. Für die Hausarztpraxis sei es ratsam, in der Dokumentation wörtliche Zitate aus der Anamnese einzufügen. Sollte eine sichere Einschätzung der Suizidalität nicht gelingen, sei es ratsam, die Patienten zeitnah wieder in die Praxis einzubestellen, den Fall mit Kollegen zu diskutieren, die Patienten ambulant bei Psychiatern vorzustellen oder, bei Gefahr im Verzug,  Amtsgericht oder Polizei hinzuzuziehen.

Ein Medikament, das bei akuter Suizidalität gegeben werden kann, ist laut der S2k-Leitlinie „Notfallpsychiatrie“ das Benzodiazepin Lorazepam. Die Dosierung: oral initial 1–2,5 mg, i. v. /i. m. initial 0,5–1 mg; ggf. Wiederholung alle 60 min, nicht mehr als 7,5 mg /24 h. Nachteile dieses gut steuerbaren Benzodiazepins mit relativ kurzer Halbwertszeit (14 h, Diazepam: 72 h) seien die notwendige Kühlung der Injektionslösung und der potenziell pro-delirogene Effekt.

 

Die dritte Folge zu „psychiatrischen Notfällen“ erscheint am Mittwoch der kommenden Woche.