Polyneuropathie: Luftverschmutzung ein neu entdeckter Risikofaktor

  • Nicola Siegmund-Schultze
  • Studien – kurz & knapp
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Kernbotschaften

Beim Risiko für die Entwicklung distaler sensomotorischer Polyneuropathien (DSPN) wirken exogene und endogene Faktoren zusammen. Das belegt die große deutsche KORAF4/FF4-Kohortenstudie. Unter den gemessenen Umweltfaktoren ist die Assoziation zwischen Luftverschmutzung und DSPN am ausgeprägtesten - und darunter vor allem ein hoher Anteil ultrafeiner Partikel in der Luft. Menschen mit Adipositas sind generell anfälliger für exogene DSPN-Risiken. Kommen deutliches Übergewicht und mehrere Umweltfaktoren zusammen, verdoppelt sich das DSPN-Risiko im Vergleich zu nicht exponierten Personen ohne Adipositas und erreicht damit ähnliche Effektstärken wie Diabetes.

Hintergrund

Polyneuropathien sind in Abhängigkeit vom Alter mit einer Prävalenz von circa 5–8 % in der erwachsenen Bevölkerung die häufigsten Erkrankungen des peripheren Nervensystems (1). Das distale symmetrische sensomotorische Syndrom mit Pelzigkeits-, Taubheits- oder Kribbelgefühlen in den Extremitäten ist einer der typischen Symptomenkomplexe. Typ-2-Diabetes gehört zu den häufigsten Ursachen für DSPN. Daten aus präklinischen, klinischen und epidemiologischen Studien weisen jedoch daraufhin, dass auch Entzündungen und oxidativer Stress DSPN fördern können, ebenso endotheliale Dysfunktionen oder Mikroangiopathien (2). Da Umweltfaktoren und Adipositas wiederum oxidativen Stress und/oder Entzündungsreaktionen auslösen können, hat eine deutsche Arbeitsgruppe untersucht, ob die DSPN-Häufigkeit mit Umweltlangzeitbelastungen assoziiert ist und Menschen mit Adipositas stärker gefährdet sind als Menschen ohne Adipositas (3). 

Design

Studienform: populationsbasierte KORAF4/FF4-Kohortenstudie in der Region Augsburg mit Beginn zwischen 2006 und 2008

Studienteilnehmer: 423 Personen im Alter zwischen 62 und 81 Jahren ohne DSPN zu Studienbeginn

Beobachtungsdauer: 6,5 Jahre

Erfassung von Umweltfaktoren: jahresdurchschnittliche Luftreinheit/-verschmutzung, 

Straßenlärm (Empfehlungen für Europa: < 53 dB tagsüber und < 45 dB nachts)

Vegetation in Wohnnähe und 

jahresdurchschnittliche Außentemperaturen

Enpunkt: Inzidenz der DSPN im Verlauf von 6,5 Jahren Nachbeobachtung

Hauptergebnisse

  • 88 von 423 Teilnehmerinnen und Teilnehmern entwickelten im Beobachtungszeitraum eine DSPN.
  • Für Luftverschmutzung und speziell bei erhöhten Konzentrationen ultrafeiner Partikel ergab sich die stärkste Assoziation mit einer DSPN. Auch ungünstige oder erhöhte Werte der drei anderen Umweltfaktoren erhöhten das DSPN-Risiko, aber weniger ausgeprägt. 
  • Wirkten alle 4 exogenen Faktoren ungünstig zusammen, lag der Risikofaktor für eine DSPN bei 1,4, also einem Plus von 40 %.
  • Menschen mit Adipositas waren generell empfindlicher gegenüber exogenen DSPN-Triggerfaktoren. Bei ihnen verdoppelte sich das Risiko im Vergleich zu nicht adipösen Personen mit günstigeren Umgebungsbedingungen. 

Klinische Bedeutung

Diabetes und chronischer Alkoholkonsum sind in westlichen Ländern unter den vielen potenziellen Ursachen für eine distale sensomotorische Polyneuropathienach nach wie vor die häufigsten. Die KORAF4/FF4-Studie belegt nun aber auf Basis einer größeren deutschen Kohorte, dass es zusätzlich auch Umweltrisiken für DSPN gibt. Allen voran ist dies Luftverschmutzung, aber auch nächtliche Lärmbelästigung, wenig Grün in Wohnortnähe und niedrige Außentemperaturen im Sommer, letzterer Effekt sei kausal ungeklärt, so die Autoren. Ein endogenes - und für das Individuum beeinflussbares – Risiko ist Adipositas, möglicherweise wegen einer chronischen Erhöhung von Entzündungsparametern. 

Für die klinische Praxis sei wichtig, Hinweisen auf eine DSPN nachzugehen - auch ohne die „klassischen“ Risikofaktoren wie Diabetes, erhöhter Alkoholkonsum oder Vitaminmangel.

Finanzierung: Bundes- und Landesmittel