Pflegende Angehörige - eine Risikogruppe mit reichlich Unterstützungsbedarf
- Dr. med. Thomas Kron
- Im Diskurs
Die meisten Menschen in Deutschland wollen in ihrer Wohnung und ihrem sozialen Umfeld alt werden; viele auch dann, wenn sie demenz-krank werden. Eine Folge davon: Die meisten Menschen mit Demenz werden von einem Angehörigen zu Hause gepflegt. In Deutschland treffe dies auf mehr als 70 Prozent der 1,6 Millionen Demenz-Kranken zu, schreiben Dr. Ina Zwingmann (Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen, Greifswald) und ihre Mitautoren. Zwingmann: „Pflegende Angehörige sind ein wesentlicher Pfeiler der Demenzversorgung.“ Meist seien es die Ehepartner und Kinder, insbesondere die Frauen und Töchter, die demenz-kranke Angehörige pflegten. „Unter den Leistungen, die von Menschen mit Demenz in Anspruch genommen werden, spielt die informelle Pflege, sprich unterstützende und pflegerische Leistungen, die von Familie und Freunden erbracht werden, eine herausragende Rolle“, betonen auch der Hamburger Versorgungsforscher Dr. Christian Brettschneider und seine Kollegen.
Die „stillen Heldinnen des Alltags"
Die enormen Leistungen der pflegenden Angehörigen werden zu Recht gelobt, insbesondere auch von politisch Verantwortlichen, die das Lob auf die „stillen Heldinnen des Alltags" vermutlich auch deswegen so gerne aussprechen, weil, wie es kürzlich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hieß, die Pflegeversicherung am Ende wäre, müssten alle Demenz-Kranke in einem Pflegeheim versorgt werden.
Hanna B. ist so eine stille Heldin des Alltags. Sie pflegt ihren 90-jährigen demenz-kranken und gebrechlichen Vater und kümmert sich auch um ihre 91-jährige Mutter, die körperlich noch relativ rüstig, kognitiv jedoch ebenfalls zunehmend eingeschränkt ist. Zwei von der Familie angestellte Altenpflegerinnen unterstützen Hanna B. zwar; sie pflegen den alten Herrn, kaufen ein und kochen täglich. Auch das Putzen der Wohnung wird von einer weiteren Angestellten übernommen. Doch es bleibt für Hanna B. immer noch genug Arbeit übrig. So muss sie zum Beispiel die Hilfe der Angestellten organisieren, bei Ausfällen rasch für Ersatz sorgen und bei Problemen erreichbar sein. Darüber hinaus regelt sie die finanziellen Angelegenheiten ihrer Eltern. Nicht allein der Vater, auch die Mutter benötigt mittlerweile Hilfe bei der Medikamenten-Einnahme. Und dann gibt es noch die vielen Kleinigkeiten, die so „nebenbei“ erledigt werden müssen. Mal ist es der defekte Kühlschrank, der durch einen neuen ersetzt werden muss, mal eine defekte TV-Fernbedienung. Fast schon Routine ist das Suchen eines Hörgerätes. Und als wäre das alles noch nicht genug, fällt hin und wieder eine der beiden Altenpflegerinnen krankheitsbedingt aus - ausgerechnet dann etwa, wenn der demenz-kranke Vater eine akute Diarrhö hat, so dass er mehrmals am Tag gewaschen und noch mehr als sonst zum Trinken angehalten werden muss. Worauf der alte Herrn hin und wieder unwirsch oder gar aggressiv reagiert, was die Pflege nicht gerade erleichtert.
Mögliche Folgen: Depressionen, Angst- und Schlafstörungen
Die Belastungen durch die Pflege machen sich bei Hanna B. bemerkbar: Schlafstörungen, Reizbarkeit, häufiger schmerzhafte muskuläre Verspannungen, Depressivität, Migräne-Attacken werden häufiger. Solche gesundheitlichen Folgen sind bei pflegenden Angehörigen nicht ungewöhnlich oder selten. Mehrere Untersuchungen bestätigen, dass pflegende Angehörige von Demenz-Kranken erhöhte physische, psychische, emotionale und soziale Belastungen erleben, die langfristig der Gesundheit schaden und dann auch dazu führen können, dass die Demenz-Kranken vorzeitig in ein Pflegeheim aufgenommen werden müssen. Zu den typischen gesundheitlichen Folgen bei pflegenden Angehörigen zählen unter anderen depressive Erkrankungen, Angst- und Schlafstörungen sowie Medikamentenmissbrauch.
Aufgrund der enormen Belastung durch die Pflege ihrer Angehörigen ist die Lebensqualität der oft selbst schon älteren pflegenden Partner, Söhne oder Töchter meist stark eingeschränkt, wie auch eine aktuelle Studie zeigt. Laut den Autoren berichten ältere pflegende Angehörige (pA) im Vergleich zur älteren nicht-pflegenden Allgemeinbevölkerung eine signifikant schlechtere Lebensqualität. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass ältere pA Unterstützung benötigen. Dies gilt umso mehr, als aufgrund der demographischen Entwicklung davon auszugehen ist, dass es zukünftig immer mehr pflegebedürftige Menschen mit Demenz gibt. Zudem werden die pflegenden Angehörigen selbst älter sein, für die Pflege Hochbetagter werden weniger junge Menschen zur Verfügung stehen. Dieser Trend wird in Zukunft wahrscheinlich noch verschärft werden, „durch Veränderungen in den partnerschaftlichen Lebensformen, durch die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen und vor allem durch die größere Mobilität und damit zunehmenden Wohnentfernungen zwischen alten Eltern und ihren erwachsenen Kindern“, schreibt die Leipziger Sozialmedizinerin Professor Steffi G. Riedel-Heller.
Häusliche Pflege: oft fragil und gefährdet
Wie stark die Belastungen für pflegende Angehörige sind, wird nicht selten übersehen, so dass auch nicht erkannt wird, wo sie Bedarf an Unterstützung haben. Für eine adäquate Versorgung sollten die offenen Versorgungsbedarfe der pflegenden Angehörigen von Haus- und Fachärzten systematisch identifiziert werden, rät Zwingmann. Denn: „Die Kenntnis offener Bedarfe ist ein erster Schritt zur Unterstützung Angehöriger“. Offene Versorgungsbedarfe bestünden in den Bereichen Wissensvermittlung über Demenz (inkl. Unterstützungsangebote und Dienstleistungen), sozialrechtliche und finanzielle Angelegenheiten, soziale Integration sowie körperliche und psychische Gesundheit.
Unterstützung der pflegenden Angehörigen ist zum einen erforderlich, um sie selbst vor Gesundheitsschäden zu schützen, zum anderen, um die häusliche Pflege zu sichern. Denn, so Riedel-Heller: „Die Stabilität der häuslichen Pflege ist von der Situation der Pflegenden abhängig.“ Und: „Häusliche Pflegearrangements sind oft fragil und werden vor allem durch eine hohe Belastung der Pflegenden gefährdet.“
„Die Pflege eines Angehörigen kann sehr herausfordernd sein. Sie verändert das Leben der Pflegenden mitunter gravierend und wirkt sich auf nahezu alle Lebensbereiche aus“, weiß auch der Psychologe Dr. Klaus Pfeiffer vom Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart. „Für diese Menschen ist deshalb eine professionelle und methodisch fundierte Beratung sinnvoll und notwendig.“ Gemeinsam mit Professorin Gabriele Wilz von der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat Klaus Pfeiffer ein gestuftes Beratungskonzept für pflegende Angehörige entwickelt. „Unser Hilfskonzept kombiniert zwei unterschiedliche Maßnahmen – eine Pflegeberatung und eine psychotherapeutische Intervention“, erläutert Gabriele Wilz. Die Wirksamkeit ihres Konzeptes gegenüber einer Kontrollgruppe untersuchen die Forscher aktuell in der ReDiCare-Studie, die vom Bundesforschungsministerium gefördert wird. Das Problem scheint demnach erkannt worden zu sein. Das ist gut so, denn lobende Worte und Symbolpolitik alleine genügen auf Dauer sicher nicht.
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