Partnerschaftsgewalt: jede vierte Frau schon Opfer gewesen
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Von Ute Eppinger
Mehr als jede 4. Frau (27%) im Alter von 15 bis 49 Jahren hat körperliche und/oder sexuelle Gewalt in der Partnerschaft erlebt. Das zeigen Schätzungen aus der Globalen Datenbank der WHO zur Prävalenz von Gewalt gegen Frauen, die Dr. Lynnmarie Sardinha und ihre Kollegen. Die Daten sind jetzt im Fachmagazin "The Lancet“ publiziert worden.
Es gibt Hinweise darauf, dass Gewalt in Paarbeziehungen schon früh beginnt; sie ist bereits in den jüngsten Altersgruppen verbreitet: 24% der Frauen im Alter von 15 bis 19 Jahren haben mindestens einmal seit ihrem 15. Geburtstag Gewalt erlebt.
Gewalt durch Intimpartner gegen Frauen in festen Partnerschaften (definiert als Frauen, die verheiratet sind oder waren, in einer Lebensgemeinschaft leben oder einen langfristigen Sexualpartner haben) bezieht sich auf physisch, sexuell und psychologisch schädigende Verhaltensweisen im Rahmen einer Ehe, eines Zusammenlebens oder einer anderen Form der Partnerschaft.
Sie können kurz- und langfristig erhebliche Auswirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit des Opfers haben, was zu erheblichen sozialen und wirtschaftlichen Kosten für Regierungen, Gemeinden und Einzelpersonen führt.
Die UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung fordert in ihren Entwicklungszielen ein Ende der Gewalt gegen Frauen. Die Studie von Sardinha und ihren Kollegen liefert Basisschätzungen für Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen, um der Politik zu ermöglichen, dieses Ziel zu verfolgen und zu überwachen.
Im Jahr 2013 hatte die WHO die ersten Schätzungen zur Prävalenz von körperlicher und/oder sexueller Gewalt in Paarbeziehungen und von sexueller Gewalt durch Nicht-Partner veröffentlicht. Die WHO stützte sich dabei auf Erhebungsdaten bis 2010. Fast jede 3. Frau (30%) erlebte körperliche und/oder sexuelle Gewalt nur durch den Partner.
Die neue Studie basiert jetzt auf bevölkerungsbasierten Erhebungen, einer besseren Datenqualität und aktualisierten Methoden, um aktuelle Prävalenzschätzungen bis einschließlich 2018 vorzulegen. Sie zeigt, dass eine von 4 Frauen, die jemals in einer Partnerschaft lebten, Gewalt allein durch den Partner erfährt.
Nach Einschätzung der Studienautoren sind Regierungen nicht in der Lage, die Ziele für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen zu erreichen. „In den letzten 20 Jahren wurden zwar Fortschritte erzielt, aber sie reichen bei weitem nicht aus, um das SDG-Ziel der Beseitigung von Gewalt gegen Frauen bis 2030 zu erreichen“, sagt die Hauptautorin der Studie, Dr. Claudia García-Moreno von der Weltgesundheitsorganisation. SGD steht für „Sustainable Development Goals“. Sie fügt hinzu: „Gewalt in Paarbeziehungen beeinträchtigt das Leben von Millionen von Frauen, Kindern, Familien und Gesellschaften weltweit. Obwohl diese Studie vor der COVID-19-Pandemie durchgeführt wurde, sind die Zahlen alarmierend. Und die Forschung hat gezeigt, dass die Pandemie Probleme, die zu Gewalt in der Partnerschaft führen, wie Isolation, Depressionen und Angstzustände sowie Alkoholkonsum, verschärft und den Zugang zu Hilfsdiensten erschwert hat.“
García-Moreno betont: „Es ist von entscheidender Bedeutung und dringend notwendig, Gewalt in der Partnerschaft zu verhindern. Regierungen, Gesellschaften und Gemeinschaften müssen aufhorchen, mehr investieren und dringend handeln, um die Gewalt gegen Frauen zu verringern.“
Daten aus 161 Ländern und Gebieten
Die neuen Daten aus der Globalen Datenbank der WHO zur Prävalenz von Gewalt gegen Frauen umfassen über 300 in Frage kommende Erhebungen und Studien, die zwischen 2000 und 2018 durchgeführt wurden. Die Daten decken 161 Länder und Gebiete ab, in denen zwei Millionen Frauen im Alter von 15 Jahren und älter leben, was 90% der Weltbevölkerung von Frauen und Mädchen entspricht.
Weltweit haben 27% der Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt in der Partnerschaft erlebt. Die Schätzungen gehen davon aus, dass im Jahr 2018 bis zu 492 Millionen Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren in den letzten 12 Monaten Gewalt in Paarbeziehungen erfahren haben, was 13% oder einer von 7 Frauen entspricht.
Da die Daten auf selbstberichteten Erfahrungen der Frauen beruhen und das Thema sensibel und stigmatisiert ist, dürfte die tatsächliche Prävalenz der Gewalt wohl noch höher sein.
Gewalt auch im Jugendalter
Die Studie macht auch auf das hohe Maß an Gewalt in Paarbeziehungen aufmerksam, das Mädchen und junge Frauen im Jugendalter erleben. In der jüngsten Alterskohorte von Frauen (15 bis 19 Jahre) haben schätzungsweise 24% Gewalt in der Partnerschaft erlebt.
Die Prävalenz von aktueller Gewalt in Paarbeziehungen war am höchsten unter jemals verpartnerten jugendlichen Mädchen und jungen Frauen im Alter von 15 bis 19 und 20 bis 24 Jahre. Wobei 16% oder eine von 6 Frauen im Jahr 2018 (innerhalb der letzten 12 Monate vor der Erhebung) Gewalt in Paarbeziehungen erlebt haben.
„Die hohe Zahl junger Frauen, die Gewalt in Paarbeziehungen erleben, ist alarmierend, denn die Jugend und das frühe Erwachsenenalter sind wichtige Lebensabschnitte, in denen die Grundlagen für gesunde Beziehungen gelegt werden. Die Gewalt, die diese jungen Frauen erleben, hat langanhaltende Auswirkungen auf ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden“, erklärt Studienautorin Sardinha von der WHO.
„Gewalt in Paarbeziehungen ist vermeidbar, und es muss mehr getan werden, um wirksame gemeinschafts- und schulbasierte Interventionen zu entwickeln und in sie zu investieren, die die Gleichstellung der Geschlechter fördern und das Risiko junger Frauen, Gewalt durch einen Partner zu erfahren, verringern“, so Sardinha weiter.
Regionale Unterschiede
Regionale Unterschiede zeigen, dass die Lebenszeitprävalenz von Gewalt in Paarbeziehungen bei Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren in Ozeanien (49%) und in Zentralafrika südlich der Sahara (44%) am höchsten war. Die Regionen mit den niedrigsten Lebenszeitprävalenzschätzungen für Gewalt in Paarbeziehungen waren Zentralasien (18%) und Mitteleuropa (16%).
Diese regionalen Muster waren bei der Prävalenz der Gewalt in den letzten 12 Monaten in Bezug auf Intimpartner ähnlich, wobei sie in Zentralafrika südlich der Sahara (32%), Ozeanien (29%), Ostafrika südlich der Sahara (24%) und Südasien (19%) am höchsten war.
Insgesamt wiesen die Länder mit hohem Einkommen niedrigere geschätzte Prävalenzraten sowohl für die Lebenszeit als auch für die vergangenen Jahre der Gewalt in Paarbeziehungen auf. Dabei waren die regionalen Unterschiede zwischen den Regionen mit hohem Einkommen und den Regionen mit niedrigem und unterem mittlerem Einkommen bei der Gewalt in Paarbeziehungen in den vergangenen Jahren besonders ausgeprägt.
„Diese Ergebnisse bestätigen, dass Gewalt gegen Frauen durch männliche Intimpartner nach wie vor eine globale Herausforderung für die öffentliche Gesundheit darstellt. Die Regierungen sind nicht auf dem Weg, die Ziele zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen bis 2030 zu erreichen“, sagt García-Moreno. „Wir fordern dringende Investitionen in wirksame sektorübergreifende Maßnahmen und eine verstärkte Reaktion des öffentlichen Gesundheitswesens bei der Bewältigung dieses Problems nach der COVID-19-Initiative.“
Welche Daten noch fehlen
Die Autoren räumen einige Einschränkungen ein. So lägen für einige geografische Regionen und Untergruppen, z.B. für Menschen mit Behinderungen, indigene/ethnische Minderheiten oder Migrantinnen, Transfrauen und Frauen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften derzeit nur begrenzte Daten vor. Auch die Definition des Begriffs „Partnerschaft“ sei nicht einheitlich definiert, was bedeute, dass einige Studien möglicherweise nicht alle Arten von Partnerschaften erfasst hätten.
„Diese Ergebnisse machen deutlich, wie wichtig es ist, die Entwicklung von Gewalt in Paarbeziehungen und anderen damit verbundenen Formen der Gewalt gegen Mädchen und Frauen im Laufe des Lebens genauer zu analysieren ...“, kommentiert Jessica Leight vom International Food Policy Research Institute in Washington DC.
„Diese umfassenden neuen Daten sollten die Dringlichkeit der Entwicklung, Bewertung und Skalierung von Strategien, die auf die Prävention und Verringerung von Gewalt in Paarbeziehungen für Frauen auf der ganzen Welt – insbesondere für die am stärksten gefährdeten – abzielen, noch deutlicher machen“, schließt Leight.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Medscape.de.
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