Orphan Drugs: AMNOG-Privilegien wackeln
- Presseagentur Gesundheit (pag)
- Im Diskurs
Der am 18. Januar vorgestellte AMNOG Report der DAK widmet sich schwerpunktmäßig den Orphan Drugs. Kurz zuvor hat bereits das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) die Debatte über Privilegien dieser Arzneimittel im AMNOG-Prozess angestoßen. Dazu warten die Kölner Wissenschaftler mit einer neuen Analyse zu fiktivem und realem Zusatznutzen auf.
Bei Orphan Drugs gilt der Zusatznutzen beim AMNOG als automatisch belegt, häufig ist die Rede von einem „fiktiven Zusatznutzen“, denn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) entscheidet lediglich über dessen Ausmaß. Kommen die Medikamente allerdings über einen Jahresumsatz von über 50 Millionen Euro, müssen auch sie eine reguläre Bewertung durchlaufen. Für diese Präparate hat das IQWiG jetzt die Ergebnisse der regulären Bewertung mit denen der zuvor stattgefundenen eingeschränkten Bewertung verglichen. Das Ergebnis: Die Feststellung eines fiktiven Zusatznutzens bei Marktzugang von Orphan Drugs wurde in mehr als der Hälfte der Fälle nicht bestätigt.
Folgen für die Patientenversorgung
„Dies hat Folgen für die Qualität der Patientenversorgung“, betont Dr. Thomas Kaiser, Leiter des IQWiG-Ressorts Arzneimittelbewertung, auf einem Pressegespräch im Januar. „Neue Arzneimittel werden in diesen Fällen ohne Datengrundlage bevorzugt eingesetzt.“ Der fiktive Zusatznutzen verhindere, dass zwischen Orphan Drugs mit und ohne echten Fortschritt unterschieden werden kann. Zur Datenbasis: Das IQWiG hat für seine Analyse 41 Bewertungen identifiziert, für die seit 2011 sowohl eine spezielle Orphan-Bewertung als auch eine nachfolgende reguläre Nutzenbewertung erfolgte. Die Bewertungen verteilen sich auf 20 verschiedene Wirkstoffe, da einige der Arzneimittel für mehrere Anwendungsgebiete zugelassen wurden. Bei 22 der 41 Bewertungen (54 Prozent) konnte in der regulären Bewertung kein Zusatznutzen festgestellt werden.
Windeler kritisiert „Fehlsteuerung“
Weiterführende Auswertungen des IQWiG zeigen außerdem, dass die Einstufung des Zusatznutzens in der Regel erst nach Jahren korrigiert wird: Bei den 22 Fragestellungen ohne Nachweis eines Zusatznutzens lag der Zeitraum zwischen der eingeschränkten und der regulären Nutzenbewertung im Mittel bei gut drei Jahren (mindestens ein Jahr und bis zu neun Jahre). Teilweise wird die Einstufung des Zusatznutzens jedoch auch gar nicht korrigiert: nämlich wenn eine Umsatzschwelle von 50 Millionen Euro nicht überschritten und eine reguläre Nutzenbewertung daher nicht durchgeführt wird.
IQWiG-Leiter Prof. Jürgen Windeler erkennt eine „Fehlsteuerung bei Orphan Drugs“. Er verlangt, die Privilegien für diese Arzneimittel abzuschaffen, sie sollen bei Markteintritt eine reguläre Bewertung durchlaufen.
Hecken: Orphan-Privileg nur für echte Solisten
Auch G-BA-Chef Prof. Josef Hecken hat bereits vor Jahren strengere Regeln gefordert. Eine Antwort des Gesetzgebers auf Evidenzprobleme war in der vergangenen Legislatur die Anwendungsbegleitende Datenerhebung (AbD). Erster Anwendungsfall ist mit Zolgensma ein Orphan Drug. Das IQWiG stört an dieser Regelung, dass RCTs ausdrücklich ausgenommen sind. Hecken stellt wiederum anlässlich der Veröffentlichung des AMNOG Reports klar, dass im Unterschied zu den folgenlos gebliebenen Befristungen von G-BA-Beschlüssen die AbD sanktionsbewehrt sei und die Möglichkeit von Preisabschlägen bestehe. „Das ist wichtig, um aus der Blackbox herauszukommen.“ Dennoch ist die AbD für ihn kein Allheilmittel, sondern eher ultima ratio, denn bei jedem Orphan angewendet würde das die Kapazitäten sprengen.
Dem G-BA-Chef zufolge entfallen 0,06 Prozent des Verordnungsvolumens auf Orphans. 11,6 Prozent des Bruttoumsatzes der GKV im Arzneimittelmarkt werde dafür verwendet. „Das zeigt, dass wir nicht nur mehr Evidenz, sondern auch andere Preisbildungsmechanismen brauchen.“ Hecken schlägt beispielsweise vor, das Orphan Privileg auf echte Solisten zu beschränken und die jährliche Umsatzschwelle auf 25 Millionen zu halbieren.
Orphan-Regularien kommen auf den Prüfstand
Vor Hecken hat bereits DAK-Chef Andreas Storm bei dem virtuellen Pressetermin betont, dass sich die Kosten für Medikamente gegen seltene Erkrankungen seit dem AMNOG-Beginn im Jahr 2011 verfünffacht haben. Damals betrugen sie noch 97.000 Euro pro Jahr und Patient, 2020 waren es durchschnittliche Kosten von 540.000 Euro pro Jahr und Patient. Orphans seien ein „Segen für die Betroffenen“, so Storm, die Entwicklung der Therapiekosten schätzt er dagegen als bedenklich ein. Auch Prof. Wolf-Dieter Ludwig mahnt auf der Veranstaltung eine „gerechte und bezahlbare Preisgestaltung an. Orphan Drugs seien zu einem neuen Profitmodell für pharmazeutische Unternehmen geworden, sagt der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.
Die Ampel hat für System AMNOG im Koalitionsvertrag Weiterentwicklungen – unter anderem „Möglichkeiten der Krankenkassen zur Begrenzung der Arzneimittelpreise“ – angekündigt. Spannend wird auch der Blick auf EU-Ebene: Dort kommt die Orphan-Drug-Verordnung nach zwei Jahrzehnten auf den Prüfstand.
Link zum DAK-AMNOG-Report 2022: https://www.dak.de/dak/download/report-2524570.pdf
Link zum IQWiG-Arbeitspapier „Evidenz zu Orphan Drugs“: https://www.iqwig.de/download/ga21-01_evidenz-zu-orphan-drugs_arbeitspapier_v1-0.pdf
Dieser Volltext ist leider reserviert für Angehöriger medizinischer Fachkreise
Sie haben die Maximalzahl an Artikeln für unregistrierte besucher erreicht
Kostenfreier Zugang Nur für Angehörige medizinischer Fachkreise