Nobelpreis für eine Forschung mit großem Potenzial für die gesamte Medizin

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaften

Für Wissenschaftler ist die Messenger-RNA (mRNA) schon seit einigen Jahren ein besonders spannendes Forschungs-Objekt. Den meisten Menschen ist sie vermutlich erst seit der COVID-19-Pandemie und der Entwicklung wirksamer mRNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV2 ein Begriff. Wie bedeutsam die mRNA-Forschung für die Medizin ist, macht nun die Verleihung des Medizin-Nobelpreis an Katalin Karikó und Drew Weissman deutlich.

Impfstoffe gegen eine der größten Gesundheits-Bedrohungen 

„Die Entdeckungen der beiden Nobelpreisträger waren entscheidend für die Entwicklung wirksamer mRNA-Impfstoffe gegen COVID-19“, begründet das Nobel-Komitee die Entscheidung. „Mit ihren bahnbrechenden Erkenntnissen, die unser Verständnis der Wechselwirkungen zwischen mRNA und unserem Immunsystem grundlegend verändert haben, trugen die Forscher dazu bei, dass während einer der größten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit in der heutigen Zeit so schnell wie nie zuvor Impfstoffe entwickelt werden konnten.“ Die gebürtige Ungarin Katalin Karikó forscht an der Szeged Universität in Ungarn und an der Universität von Pennsylvania in Philadelphia (USA). Der US-Amerikaner Drew Weissman arbeitet ebenfalls an der Universität von Pennsylvania. 

Ein Mittel zur Prävention und Therapie einer Vielzahl von Krankheiten 

Die große Relevanz der mRNA-Forschung für die Medizin beruht allerdings nicht allein auf dem grundlegenden Beitrag zur Entwicklung wirksamer mRNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV2. Die Messenger-RNA habe sich als neues therapeutisches Mittel zur Prävention und Therapie einer Vielzahl von Krankheiten erwiesen, so Satyendra Prakash (University of Allahabad, Allahabad, India Centre of Biotechnology, Faculty of Science) in einem aktuellen Zeitschriftenbeitrag. Der jüngste Erfolg der von Moderna und Pfizer-BioNTech entwickelten Lipid-Nanopartikel-mRNA-Impfstoffe gegen das Coronavirus in Rekordzeit unterstreiche das enorme Potenzial der mRNA-Technologie. So biete die mRNA-Plattform ein großes Potenzial für die Entwicklung von Therapeutika für fast alle Infektionskrankheiten.

Erste Erfolge in der Onkologie

Ein großes Potenzial bietet die mRNA-Technologie vielen Wissenschaftlern zufolge auch in der Onkologie. Das Mainzer Unternehmen BioNTech ist dabei nicht das einzige Unternehmen weltweit, das diese Technologie auch für die Entwicklung von Therapien gegen unterschiedliche Krebserkrankungen nutzt. Erste Erfolge gibt es etwa bei beim Melanom und auch beim Pankreaskarzinom. Die mRNA-basierten Therapeutika seien in den letzten Jahren zum „Hotspot der biopharmazeutischen Industrie“ geworden, schreiben daher auch chinesische Wissenschaftler im „Journal of Hematology & Oncology“. Allerdings befinde sich die klinische Entwicklung von mRNA-Therapien gegen solide Tumore noch in einem frühen Stadium, heißt es in dem aktuellen Beitrag der chinesischen Wissenschaftler.  

Ein Ansatz auch in Neurologie und Herz-Gefäß-Medizin

Ein weiteres Anwendungsgebiet für mRNA-Therapien sind neurologische Erkrankungen. Ein Beispiel ist die Huntington-Krankheit, wie Stefan Bräuer und Björn Falkenburger von der 
Klinik und Poliklinik für Neurologie am Universitätsklinikum der TU Dresden berichten.

Konkret gehen sie in ihrem Beitrag auf die Therapie mit AMT-130 vom Unternehmen UniQure ein. Dabei handelt es sich nach Angaben der Neurologen um eine DNA-Sequenz, die für eine miRNA kodiert. Diese werded mittels Adeno-assoziiertem-Virus (AAV) der Serogruppe 5 in die Zielzellen eingebracht. Die miRNA aktiviere dann den „RNA-induced Silencing Complex“ und reduziere hierdurch die Huntingtin-Synthese. AMT-130 werde durch intrastriatale Injektion appliziert und wirkt potentiell auch gegen das Exon-1-Protein. Präklinisch sei gezeigt worden, dass AMT-130 in verschiedenen in vitro und in vivo Modellen sowohl Huntingtin-mRNA als auch das Protein reduziere. Dabei habe sich ein andauernder Effekt gezeigt; auch sieben Monate nach Injektion sei eine deutliche Reduktion von Huntingtin nachweisbar gewesen. In nicht-menschlichen Primaten habe sich außer der Sicherheit und Verträglichkeit der Behandlung auch eine grundsätzlich wünschenswerte Ausbreitung von Vektor-DNA und miRNA über das Injektionsareal hinaus gezeigt. 

Derzeit laufe eine Phase 1b/2a Studie, welche die Verträglichkeit und das Therapiekonzept bei 26 Huntington-Patienten prüfe. Bei drei von 14 Patienten mit der hohen Dosis seien Nebenwirkungen aufgetreten. Alle drei Patienten hätten sich nach der notwendigen Klinikbehandlung vollständig erholt. Auch die ersten Ergebnisse der Patienten mit der niedrigen Dosierung sprechen nach Angaben der Neurologen bisher für die Sicherheit dieser Behandlung. Insgesamt seien zehn Patienten in dieser Kohorte behandelt worden, davon mit sechs AMT-130, die anderen mit einem Placebo. Die behandelten Patienten hätten nach 12 Monaten im Liquor eine Reduktion des mutierten Huntingtins um knapp 54 Prozent im Vergleich zum Ausgangswert aufgewiesen. In der Placebogruppe habe es einen Rückgang um knapp 17 Prozent gegeben.

Über erste klinische Erfolge einer Phase-2-Studie mit einem RNAi-Therapeutikum hat außerdem vor wenigen Wochen das US-Unternehmen Alnylam Pharmaceuticals berichtet. Geprüft wurde der blutdrucksenkende Wirkstoff Zilebesiran. Nach Angaben des Unternehmens wurde der primäre Endpunkt erreicht: Mit Zilebesiran wurde unabhängig von der Dosis (300 mg oder 600 mg) der systolische Blutdruck der Studienteilnehmer in der ambulanten 24-Stunden-Messung nach drei Monaten signifikant um mehr als 15 Prozent im Vergleich zu Placebo gesenkt.

Zilebesiran hemmt durch sogenannte RNA-Interferenz (RNAi) gezielt die Synthese von Angiotensinogen in Leberzellen. Bei der RNAi werden kurze RNA-Abschnitte (small interfering RNA, siRNA) in Zellen eingebracht, um dadurch Boten-RNA (mRNA) aus bestimmten DNA-Abschnitten, die pathogenen Proteine kodieren, gezielt in Bruchstücke zu spalten und so stumm zu schalten. Auf diese Weise soll die Bildung von als pathogen geltenden Proteinen verhindert werden.