Neurowoche 2022 – Neu entdeckter Läsionstyp bei MS-Patienten womöglich prognostisch relevant

  • Michael Simm
  • Studien – kurz & knapp
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Kernbotschaften

Neue Erkenntnisse zu den Pathomechanismen der Multiplen Sklerose (MS) legen nahe, dass eine maßgeschneiderte Therapie sich möglicherweise stärker an der Progression der Krankheit und deren Markern orientieren sollte, und weniger an den unterschiedlichen Verlaufsformen. Dies war das Thema einer Sitzung unter dem Titel „Paradigmenwechsel in der Multiplen Sklerose“ während der Neurowoche 2022 in Berlin.

Hintergrund

Im Nervensystem von MS-Patienten laufen zahlreiche Prozesse gleichzeitig ab. Ein besseres Verständnis der Pathomechanismen könnte dazu beitragen, die maßgeblichen Elemente für die Krankheitsprogression zu identifizieren und Patienten mit schlechter Prognose zu erkennen, berichtete Prof. Tanja Kuhlmann vom Institut für Neuropathologie am Universitätsklinikum Münster.

Ergebnisse

  • Der Übergang von der schubförmigen zur sekundär progredienten MS wurde in der Vergangenheit gleichgesetzt mit dem Wandel von einer entzündlichen zu einer neurodegenerativen Phase. Dies sei viel zu einfach, so Kuhlmann, denn es laufen neben den Schädigungsmechanismen gleichzeitig die Remyelinisierung ab und ein Verlust von Kompensationsmechanismen der Hirnplastizität und der neuronalen Reserve. „Es ist die Balance dieser Mechanismen, die über den Krankheitsverlauf entscheidet.“
  • Im Laufe der Erkrankung nimmt der Anteil aktiver Läsionen ab, gemischte und inaktive Läsionen nehmen zu. Im Schnitt unterscheiden sich diese Verhältnisse zwischen den verschiedenen Formen der MS, dennoch gibt es bezüglich der Geschwindigkeit der Entwicklung eine starke Überlappung mit großen individuellen Unterschieden.
  • Die histologische Charakterisierung der Gewebeproben von gut dokumentierten Patienten aus der niederländischen Hirndatenbank zeigt eine starke Korrelation zwischen der Geschwindigkeit des Verlaufs und dem Erreichen klinischer Endpunkte wie Gehproblemen, Rollstuhlpflicht und Tod. Obwohl die Patienten in beiden Gruppen in einem ähnlichen Alter diagnostiziert wurden (ca. 30 Jahre), verstarben die Patienten mit langsamen Verläufen erst 50 Jahre nach der Diagnose, jene mit schnellen Verläufen jedoch binnen 15 Jahren.
  • Bei 12 der 18 Patienten mit schnellem Verlauf (aber nur bei 1 von 29 mit langsamem Verlauf) fand Kuhlmann einen neuen Läsionstyp, die „broad rim lesions“ (BRL). Er zeigt um die entmarkten Bereiche einen breiten Randsaum mit Makrophagen und Mikroglia. Gelänge es, die BRL in der Bildgebung sichtbar zu machen, so hätte man möglicherweise einen Marker, um Patienten zu selektieren, bei denen ein früheres / aggressiveres Eingreifen sinnvoll wäre. Ein Verständnis der molekularen Mechanismen könnte überdies neue Ziele für die Pharmakotherapie aufzeigen, hofft Kuhlmann.

Interessenkonflikte: Keine.