Neurowoche 2022: Modulation von Schlafmustern soll Hirnfunktion verbessern

  • Michael Simm
  • Konferenzberichte
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Kernbotschaften

Neuere Erkenntnisse zur Schlafregulation zeigen, dass die Zustände „wach“ und „schlafend“ in verschiedenen Hirnregionen gleichzeitig persistieren können. Aus dieser Erkenntnis sind neue Ansätze gegen Schwierigkeiten beim Ein- und Durchschlafen (Insomnie) erwachsen, aber auch gegen Depressionen und andere mentale Störungen.

Hintergrund

Obwohl die Leitlinien für Schlafpatienten á priori eine kognitive Verhaltenstherapie anraten, scheitert dies in der Praxis an mangelnder Verfügbarkeit. Über mögliche Alternativen, die sich aus aktuellen Forschungsansätzen ergeben, referierte auf der Neurowoche 2022 Prof. Christoph Nissen, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie an der Universitätsklinik Genf.

Ergebnisse

  • Modelle zur Schlafregulation stellen schlafend und wach in der Regel als bistabile Zustände dar, die sich gegenseitig ausschließen. Intrakranielle Ableitungen bei prächirurgischen Epilepsie-Patienten zeigen jedoch, dass einige Hirnareale wach-ähnliche Aktivitäten zeigen, während andere Regionen gleichzeitig schlaf-ähnliche Aktivitäten aufweisen. „Das sind Hinweise auf lokale Inseln der Wachheit im schlafenden Gehirn“, so Nissen. Tierversuche mit gleichzeitiger Erfassung der Aktivität zahlreicher einzelner Neuronen zeigten vor dem erfolgreichen Lösen einer antrainierten Aufgabe Wachaktivität, unmittelbar vor dem Scheitern an einer Aufgabe jedoch ein „Schlafmuster“ im Gehirn.
  • Die „Inseln der Wachheit“ könnten bei Patienten mit Insomnie vermehrt auftreten oder größer sein als bei Gesunden, so ein Ergebnis von Nissens eigener Forschung. Umgekehrt könnten „Inseln des Schlafes“ Aufmerksamkeitsdefizite im Wachzustand erklären.
  • Mit Kollegen an der Universität Bern hat Nissen bei bis zu 85 Jahre alten Insomnie-Patienten im Schlaflabor versucht, mittels akustischer Stimulation im Sekundentakt die langsamen Hirnwellen zu fördern und die neuronale Aktivität zu synchronisieren. Die zur Veröffentlichung eingereichte Arbeit hatte zwar in der Gesamtpopulation ein negatives Ergebnis, jedoch sah man bei Patienten, die gut auf die Stimulation angesprochen haben, einen Nutzen bezüglich der Kognition. Auch bei Schlafpatienten mit psychiatrischen Störungen hat Nissen, - basierend auf der Hypothese - dass die Patienten in einem „defizitären Fenster synaptischer Gesamtstärke“ sind, eine spezifische Geräuschstimulation zur Unterdrückung langsamer Hirnwellen erprobt. Mittels eines automatischen Algorithmus werden dabei randomisiert pulsierende Töne mit ansteigender Lautstärke eingespielt. So wurde eine durchschnittlich 40% Reduktion des Tiefschlafs erreicht, ohne die Patienten aufzuwecken, und ohne die Gesamtschlafzeit zu verkürzen.
  • Eine kognitive Verhaltenstherapie sollte laut den aktuellen europäischen Leitlinien bei Schlafstörungen die Therapie der ersten Wahl sein, erinnerte Nissen. Sie ist aber – insbesondere in Kliniken - nicht systematisch implementiert, stattdessen werden Schlafstörungen mit Hypnotika überbehandelt.
  • Für stationär behandelte Psychiatrie-Patienten soll das Programm „Become your own SLEEPexpert“ Abhilfe schaffen. Es soll dazu anregen, mit Unterstützung des Pflegeteams sich selbst um die Schlafgesundheit zu kümmern, und die Überbehandlung mit Hypnotika reduzieren helfen. Eine Studie mit 60 Patienten erbrachte gegenüber der Standardbehandlung eine hochsignifikante Abnahme bei der Schwere der Insomnie (ISI). Eine größere, randomisierte multizentrische Studie wurde vom Schweizer Nationalfonds bewilligt.

Interessenkonflikte: Keine.