Neues Sterbehilfe-Gesetz: Was nun?
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Im Bundestag hat keiner der beiden Entwürfe für ein Sterbehilfe-Gesetz eine Mehrheit bekommen. "Der Bundestag hat vor dem Sterben versagt", sagt dazu laut einem Beitrag in der "Zeit" Gian Domenico Borasio, Professor für Palliativmedizin und Chefarzt der Abteilung Palliative Care am Universitätsspital Lausanne. Er glaube dem Bericht zufolge, dass das Scheitern beider Gesetze ganz im Interesse von Kirchen und anderen konservativen Kräfte sei. "Denn obgleich Ärzte heute theoretisch legal bei einem Suizid assistieren könnten, tut das fast niemand, weil die Rechtsunsicherheit zu groß ist. Das wird nun aller Voraussicht nach so bleiben," fürchte Borasio. Und: "Viele Ärzte werden jetzt sagen, dass ihnen die Hände gebunden sind. Also werden viele Menschen ihr Leiden bis zum Ende ertragen müssen."
"Die Debatte muss weitergeführt werden"
Auch die Experten der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) sind nicht zufrieden. Dass die Suizidassistenz nun weiterhin ohne gesetzliche Regelung bleibe, sei nicht hinzunehmen, heißt es in einer Mitteilung der Fachgesellschaft. Die Debatte müsse weitergeführt werden und baldmöglichst in einen Gesetzesentwurf münden, der wirklich leiste, was das Bundesverfassungsgericht vorgegeben habe: Suizidassistenz aus freiem Willen zu ermöglichen und dabei diejenigen, deren freier Wille eingeschränkt ist, vor diesem unumkehrbaren Schritt zu schützen. "Der Gesetzesentwurf von Castellucci et al. tut dies. Eine baldige Verabschiedung eines Gesetzes auf dieser Grundlage wäre begrüßenswert."
Im Fokus: die Belange psychisch kranker Menschen
Die psychiatrische Fachgesellschaft hat, wie es weiter in der Mitteilung heißt, insbesondere die Belange von Menschen mit psychischen Erkrankungen im Blick. Von den mehr als 9.200 Menschen, die sich 2021 das Leben genommen hätten, sei bei der großen Mehrheit davon auszugehen, dass dies im Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung geschehen sei. Psychische Erkrankungen könnten schwerwiegend genug sein, dass Menschen ihren Willen vorübergehend nicht frei bilden und danach handeln könnten. Diese Menschen bräuchen zunächst ein Hilfsangebot. Ohne gesetzliche Regelung bleib weiter völlig offen, wer welche Angebote bekomme und wer auf welchem Wege Suizidbeihilfe erhalte.
„Die Frage, ob ein Suizidwunsch auf einem freien Willen beruht oder ob eine psychische Erkrankung die Fähigkeit zumindest vorübergehend eingeschränkt hat, ist komplex“, erläutert Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg, Präsident der DGPPN. „Deshalb ist es unbedingt nötig, Fachleute mit Expertise für psychische Gesundheit und für den Umgang mit Menschen, die unter Suizidabsichten leiden, in das Verfahren einzubinden.“
Außer dem Einbezug psychiatrischer Expertise fordert die DGPPN ein Gesetz, das sicherstellt, dass den vielen Menschen, deren Suizidwunsch nicht auf einem freien Willen beruht, angemessene Hilfe im Gesundheitswesen vermittelt wird. Suizidalität ist ein häufiges Symptom psychischer Erkrankungen, allen voran bei Depressionen. Psychiater Meyer-Lindenberg: „Glücklicherweise haben wir heute effektive Behandlungsansätze, um Menschen mit psychischen Störungen zu helfen. Allerdings braucht es Zeit bis eine Behandlung Wirkung entfalten kann. Ein Gesetz muss dem Rechnung tragen, indem eine mehrmonatige Wartefrist vorgesehen wird, wenn keine terminale Erkrankung vorliegt.“
Der Gesetzesentwurf von Castellucci und seinen Mitstreitern berücksichtige die von der DGPPN als wichtig erachteten Aspekte bereits in hohem Maße. Eine baldige Verabschiedung eines Gesetzes auf dieser Grundlage wäre zu begrüßen, so die Fachgesellschaft.
Unstrittig: die Stärkung der Suizidprävention
Ein gutes und richtiges Signal ist aus Sicht der DGPPN, dass der Bundestag die Suizidprävention stärken möchte. Der aktuelle Gesetzesantrag enthält viele wichtige Aspekte; zentral ist für die DGPPN insbesondere die Forderung, dass eine bedarfsgerechte psychiatrische, psychotherapeutische und psychosoziale Versorgung sichergestellt werden muss. Allerdings könne ein wohnortnahes, niedrigschwelliges und passgenaues Behandlungsangebot – ambulant und stationär – nicht durch ein Suizidpräventionsgesetz alleine sichergestellt werden. Hierfür müssten unter Beteiligung aller relevanten Akteure kluge Lösungen gefunden werden.
Wichtig für die Betroffenen: Rechtssicherheit
Für einen neuen Entwurf zur gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe plädiert die Vorsitzende des Ethikrates Professor Alena Buyx (TU München). Rechtssicherheit sei für die Betroffenen wichtig, sagt Alena Buyx. Aber es brauche auch mehr Suizidprävention, betont die Medizinethikerin.
Es gebe zwar durchaus auch gute Argumente dafür zu sagen, dass man die Sterbehilfe auch ungeregelt lassen könnte, sagt Buyx in einem Tagesschau-Interview. Es gebe Kolleginnen und Kollegen, die dafür plädiert hätten, dass keines der Gesetze komme und man die Sterbehilfe offen lasse und sie beispielsweise durch die Ärzteschaft gestalte.
Buyx weiter: "Wir wissen aber, dass sich die Betroffenen sehr häufig Rechtssicherheit und eine klare Vorgabe wünschen. Und das sind nicht nur die Patientinnen und Patienten, sondern auch die Einrichtungen sowie Ärztinnen und Ärzte, die dann gegebenenfalls nach einem solchen Schritt gefragt werden. Deswegen votiere ich persönlich dafür, dass man nochmals einen Kompromiss sucht."
Laut Buyx gibt es zwei Sorgen: "Einmal die Sorge, dass diejenigen, die von ihrem Recht auf selbstbestimmtes Leben und dem Recht, sich dabei Hilfe zu holen, Gebrauch machen wollen und diese Möglichkeit nicht erhalten. Auf der anderen Seite, gibt es die Sorge, dass vielleicht Missbrauch passiert, und Menschen gedrängt werden, wenn es keine gesetzlichen Regelungen, auch keine Schutzkonzepte gibt. Beides ist schlecht. Entsprechend sollte es jetzt neue Vorschläge geben, die beides verhindern."
Es werde zum einen darum gehen, dass man gute Beratungskonzepte habe. "Wie aufwendig soll die Beratung sein? Wer soll diese Beratung vornehmen? Soll es da Wartefristen geben oder nicht? Soll es mehrere Termine geben oder nicht?" Und das zweite werde auch sein, ob das Ganze ins Strafgesetzbuch kommen solle oder nicht?
Sie persönlich plädiere dafür, "dass man noch mal mit den Expertinnen und Experten in diesem Bereich spricht", sagt Buyx. Es habe von Sachverständigen durchaus Kritik an den Entwürfen gegeben. Das bedeute, man könne die Entwürfe noch weiterentwickeln und vielleicht fänden sich dann auch Wege, "dass - vorsichtig formuliert - beide Gruppen, die ja sehr ernsthaft diskutiert haben, noch ein Stückchen zueinander finden und eventuell auch einen Konsensentwurf finden".
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