Neuer Antikörper für Alzheimer-Kranke: ein Durchbruch oder nur der nächste Flop?

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaften

Vor wenigen Tagen haben die Pharmaunternehmen Biogen und Eisai positive Ergebnisse einer placebo-kontrollierten Phase-3-Studie für Alzheimer-Patienten bekannt gegeben: Eine Behandlung mit dem monoklonalen Antikörper Lecanemab verringerte der Mitteilung zufolge den kognitiven Abbau bei Menschen mit Morbus Alzheimer im Frühstadium um 27 Prozent. Der primäre Wirksamkeitsendpunkt der Studie mit dem Namen Clarity-AD sei erreicht worden. Die vollständigen Daten der bislang noch unpublizierten Studie sollen Ende November dieses Jahres auf dem CTAD-Kongress („Clinical Trials on Alzheimer’s Congress“) präsentiert werden.

Demenz-Spezialisten sind zurückhaltend

Für eine seriöse Bewertung sei es noch zu früh, sagen Demenz-Spezialisten der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und raten, die Publikation mit den vollständigen Studien-Daten. Hinzu komme, dass die Verbesserung der CDR-SB-Werte („Clinical Dementia Rating-Sum of Boxes“) trotz statistischer Signifikanz den Unterschied von 0,5 Punkten, ab dem ein Effekt als klinisch relevant eingestuft werde, mit 0,45 nicht ganz erreicht worden sei.

In die Studie wurden 1795 Alzheimer-Patienten in frühen Stadien der Erkrankung eingeschlossen und in zwei gleich große Gruppen randomisiert. Sie  erhielten entweder zweimal wöchentlich zehn mg/kg Lecanemab oder Placebo. Der primäre Endpunkt war das Ausmaß der klinischen Verbesserung gegenüber den Werten in der Placebo-Gruppe – gemessen mit dem CDR-SB-Score („Clinical Dementia Rating-Sum of Boxes“). Der Score quantifiziert verschiedene Schweregrade von Demenz-Symptomen und wird nach Befragung der Betroffenen und deren Angehörigen bzw. Pflegenden berechnet; enthalten sind die Bereiche Erinnerung, Orientierung, Urteilsvermögen, Problemlösung, „Community affairs“, „Haus und Hobbys“ und Körperpflege.

Nach Angaben der Unternehmen war der CDR-SB-Score in der Lecanemab-Gruppe nach 18 Monaten um 0,45 Punkte besser als in der Placebo-Gruppe; das Ergebnis war statistisch hoch signifikant (p = 0,00005). Die Behandlung mit Lecanemab verlangsamte demnach im Vergleich zum Placebo den fortschreitenden Verlust kognitiver und funktioneller Funktionen um 27 Prozent, ging aber auch mit einer erhöhten Nebenwirkungsrate einher: Die gesamte Inzidenz unerwünschter Wirkungen lag mit Lecanemab bei 21,3 Prozent und mit Placebo bei 9,3 Prozent. Dies waren vor allem Auffälligkeiten in der zerebralen radiologischen Diagnostik (beispielsweise Hirnödeme) bei 12,5% in der Verum- und bei 1,7% in der Placebo-Gruppe (symptomatisch 2,8% bzw. 0%), aber auch Einblutungen ins Hirngewebe: 17% in der Lecanemab-Gruppe und 8,7% in der Placebo Gruppe (symptomatisch 0,7% und 0,2%).

„Die Studie zeigt nach dieser Meldung, dass der Antikörper die Amyloid-Beta-Ablagerung im Gehirn vermindert und dass dies mit einer Progressions-Verlangsamung bei Betroffenen in frühen Stadien der Erkrankung assoziiert ist“, fasst Professor Dr. Richard Dodel, Alzheimer-Experte der DGN, zusammen. „Die Ergebnisse waren statistisch signifikant, jedoch ist zurzeit noch unklar, ob klinisch bzw. im Lebensalltag tatsächlich ein Nutzen für die Betroffenen zu spüren war. Statistisch signifikant bedeutet nicht automatisch klinisch relevant. Unter Alzheimer-Experten gilt üblicherweise ein Score-Unterschied von 0,5 Punkten als klinisch bedeutsam für die Betroffenen. Dieser wurde mit 0,45 Punkten in der Studie nicht ganz erreicht.“ 

So sieht dies wohl auch Dr. Jonathan Jackson, Neurowissenschaftler am Massachusetts General Hospital in Boston, der im Fachmagazin „Science“ fragt: „Bedeutet das Ergebnis beim CDR-SB-Score, dass die Großmutter ein paar bessere Tage, ein paar bessere Monate, ein paar bessere Jahre haben wird?“

Obwohl der Unterschied bescheiden sei, gebe er Anlass zur Hoffnung, kommentiert die US-Neurologin Dr. Joy Snider in dem US- Wissenschaftsmagazin. Snider leitet an der Universität von Washington das Knight Alzheimer's Disease Research Center Clinical Trials Unit, das neun Patienten in die Lecanemab-Studie aufgenommen hat.

Unstrittig ist allerdings, dass noch viele Fragen unbeantwortet sind. Eine dieser Fragen ist die, warum andere Antikörper-Studien negativ verlaufen sind, die Lecanemab-Studie hingegen positiv.  Eine mögliche Erklärung ist laut dem „Science“-Beitrag die Länge der Studie: Unter der Annahme, dass ein Alzheimer-Medikament wirkt, „ist die Wirkung umso größer, je länger die Studie läuft", so Professor Bart De Strooper, Direktor des UK Dementia Research Institute am University College London. In der Tat sollen Biogen und Eisai festgestellt haben, dass Lecanemab nach 12 Monaten keine nennenswerten Auswirkungen auf die Kognition zeigte, wohl aber nach 18 Monaten. Ein weiterer relevanter Faktor ist womöglich auch, dass etwa 25 % der Studienteilnehmer entweder Afro- oder Hispanoamerikaner waren. Relevant könnte dies sein, weil diese Bevölkerungsgruppen ein höheres Risiko haben sollen, an Alzheimer zu erkranken, als nicht-hispanische Weiße. Insgesamt betrachtet sind dies aber alles nur Spekulationen. Zu Recht mahnt daher - ebenso wie Dodel - auch der DGN-Generalsekretär Professor Dr. Peter Berlit zum jetzigen Zeitpunkt zur Vorsicht bei der Interpretation der Ergebnisse. „Es handelt sich um die Teilpublikation einer abgeschlossenen Phase-3-Studie, die, soweit erkennbar, gut designt war, eine relativ große Teilnehmerzahl hatte und abgeschlossen wurde. Auch wenn das alles in die richtige Richtung weist, möchten wir als Fachgesellschaft die Ergebnisse noch nicht bewerten oder kommentieren.“