Neue US-Leitlinie zur Herzinsuffizienz: Rückenstärkung für Gliflozine
- Dr. med. Thomas Kron
- Konferenzberichte by Medscape
Von Nadine Eckert
Das American College of Cardiology (ACC) und die American Heart Association (AHA) haben ihre Leitlinie zur Herzinsuffizienz aktualisiert. Die Leitlinie berücksichtigt jetzt auch die neueste Evidenz zu SGLT2-Inhibitoren und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Prävention bei Menschen mit erhöhtem Risiko für eine Herzinsuffizienz. Die neue Leitlinie erschien gleichzeitig in "Circulation", im "Journal of the American College of Cardiology" und im "Journal of Cardiac Failure" und wurde auf dem diesjährigen Kongress des American College of Cardiology (ACC.22) vorgestellt.
„Die kardiologischen Fachgesellschaften in den USA teilen die Herzinsuffizienz in Stadien ein, die die Entwicklung und das Fortschreiten der Erkrankung widerspiegeln“, erklärt der Kardiologe Prof. Dr. Andreas Zeiher vom Cardiopulmonary Institute (CPI) der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt.
Für die neue Leitlinie seien diese Stadien überarbeitet worden, so der Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie. „Das Ziel ist, Risikofaktoren für eine Herzinsuffizienz frühzeitig zu erfassen und eine Behandlung einzuleiten zu können, noch bevor es zu strukturellen Veränderungen oder Anzeichen einer verschlechterten Herzfunktion kommt.“
Stadium A: Gefährdete Patienten ohne Symptome
Das neue Stadium A umfasst Patienten mit einem erhöhten Risiko für eine Herzinsuffizienz. Sie haben weder Symptome noch eine strukturelle Herzerkrankung, auch keine kardialen Biomarker, die auf eine Schädigung des Herzmuskels hindeuten. Aber diese Patienten weisen eine Hypertonie, eine atherosklerotische Erkrankung, Diabetes oder ein metabolisches Syndrom und Adipositas auf.
Auch Patienten, die kardiotoxischen Substanzen ausgesetzt waren, etwa bei einer Chemotherapie, oder die eine Familienanamnese für Kardiomyopathie haben, werden diesem Stadium zugeordnet.
„Von diesen Patienten weiß man, dass sie häufiger eine Herzinsuffizienz entwickeln und dass man auf sie besser aufpassen muss. Dieses neue Stadium ist sinnvoll, um das Bewusstsein dafür zu stärken“, sagt Zeiher.
Für Patienten im Stadium A empfiehlt die aktualisierte US-Leitlinie bei Hypertonie eine Blutdruckkontrolle entsprechend den Leitlinien. Der Blutdruck in Ruhe sollte unter 120/80 mmHg liegen. Haben sie einen Typ-2-Diabetes, eine andere kardiovaskuläre Erkrankung oder ein hohes kardiovaskuläres Risiko wird eine Behandlung mit SGLT2-Inhibitoren empfohlen, um Hospitalisierungen aufgrund von Herzinsuffizienz zu verhindern. Hinzu kommen die üblichen Empfehlungen für einen gesunden Lebensstil.
Stadium B: Noch immer keine Symptome, aber Veränderungen am Herzen
Im Stadium B, auch als Prä-Herzinsuffizienz bezeichnet, haben die Patienten weiterhin keine Symptome oder Zeichen einer Herzinsuffizienz, aber es liegt bereits eine der folgenden pathologischen Veränderungen vor:
- eine strukturelle Herzerkrankung (reduzierte Ejektionsfraktion, ventrikuläre Hypertrophie, Kammervergrößerung, Anomalien bei der Kontraktion des Herzmuskels oder Klappenerkrankung),
- Evidenz für erhöhte Füllungsdrücke,
- Risikofaktoren aus Stadium A und zusätzlich erhöhtes B-natriuretisches Peptid (BNP) oder dauerhaft erhöhtes kardiales Troponin.
Die Empfehlungen für Stadium B umfassen diejenigen aus Stadium A. Zusätzlich könnten bei Prä-Herzinsuffizienz weitere Medikamente in Betracht gezogen werden, um einer symptomatischen Herzinsuffizienz vorzubeugen, heißt es in der US-Leitlinie. Bei einer linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) ≤40% stehen hierfür ACE-Inhibitoren und Betablocker zur Verfügung. Bei Unverträglichkeiten oder Kontraindikationen können auch Angiotensin-Rezeptor-Blocker (ARB) gegeben werden. Hatte der Stadium-B-Patient bereits einen Herzinfarkt oder ein akutes Koronarsyndrom, empfiehlt die US-Leitlinie außerdem eine Behandlung mit Statinen.
Bei Patienten im Stadium B, deren Myokardinfarkt mindestens 40 Tage zurückliegt, die eine LVEF < 30% haben, trotz leitliniengerechter Therapie Symptome zeigen und bei denen ein Überleben >1 Jahr zu erwarten ist, empfiehlt die neue US-Leitlinie das Einsetzen eines implantierbaren Kardioverter-Defibrillators (ICD), um dem plötzlichen Herztod vorzubeugen.
An dieser Stelle weicht die US-Leitlinie mit ihrer Empfehlung vom Grad 1 für alle Patienten mit einer LVEF <30% von den Empfehlungen der European Society of Cardiology (ESC) ab: „Die ESC unterscheidet zwischen Patienten mit ischämischer Kardiomyopathie, denen sie einen ICD mit Grad 1 empfiehlt, und Patienten mit dilatativer Kardiomyopathie ohne Durchblutungsstörung. Für sie hat die ICD-Empfehlung nur den Grad 2a“, erklärt Zeiher. Diese Unterscheidung basiert auf einer großen Studie aus Dänemark, die bei dilatativer Kardiomyopathie einen potenziell geringeren Nutzen aufzeigt. „Aber hier sind sicherlich weitere Daten erforderlich“, so Zeiher.
Stadium C und D: Symptomatische Herzinsuffizienz
Dem Stadium C werden Patienten mit symptomatischer Herzinsuffizienz zugeordnet. Sie haben eine strukturelle Herzerkrankung mit den charakteristischen Symptomen einer Herzinsuffizienz wie Kurzatmigkeit, ständigem Husten, geschwollenen Beinen, Müdigkeit und Übelkeit. Als Stadium D ist die fortgeschrittene Herzinsuffizienz definiert, wenn die Symptome den Alltag der Patienten einschränken, schwer zu kontrollieren sind und trotz leitliniengerechter Therapie immer wieder zu Hospitalisierungen führen.
Für Patienten mit symptomatischer Herzinsuffizienz im Stadium C empfiehlt die US-Leitlinie eine Behandlung im multidisziplinären Team. Die soll eine leitliniengerechte medikamentöse Therapie sicherstellen, mögliche Barrieren für eine ausreichende Selbstfürsorge adressieren, das Risiko für Herzinsuffizienz-bedingte Rehospitalisierungen senken und das Überleben verbessern.
Erfolgreiche Therapie erfordert Selbstfürsorge
Um eine ausreichende Selbstfürsorge sicherzustellen, empfiehlt die Leitlinie, die Patienten dahingehend spezifisch aufzuklären, zu beraten und zu unterstützen. Sie müssen verstehen, wie wichtig es ist, die Medikamente wie verschrieben einzunehmen und einen gesunden Lebensstil zu pflegen. Außerdem müssen sie in die Lage versetzt werden, sich selbst zu überwachen und Zeichen einer Verschlechterung der Herzinsuffizienz zu erkennen. Angesichts der immer noch herrschenden Coronapandemie raten die Autoren der Leitlinie ausdrücklich, dass insbesondere Patienten im Stadium C einer Herzinsuffizienz vollständig gegen respiratorische Erkrankungen wie COVID-19 geimpft sein sollten.
Medikation ist von der Pumpleistung abhängig
Die medikamentöse Therapie der symptomatischen Herzinsuffizienz ist von der verbliebenen linksventrikulären Ejektionsfraktion abhängig. Hier unterscheiden die US-amerikanischen Fachgesellschaften zwischen:
- Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF): LVEF ≤40%,
- Herzinsuffizienz mit verbesserter Ejektionsfraktion (HFimpEF): ehemals LVEF ≤40%, jetzt LVEF >40%,
- Herzinsuffizienz mit leicht reduzierter Ejektionsfraktion (HFmrEF): LVEF 41 bis 49% und Evidenz für erhöhte linksventrikuläre Füllungsdrücke,
- Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF): LVEF ≥50% und Evidenz für erhöhte linksventrikuläre Füllungsdrücke.
„Einschließlich der neu hinzugekommenen SGLT2-Inhibitoren umfasst die leitliniengerechte medikamentöse Therapie der symptomatischen Herzinsuffizienz jetzt 4 Medikamentenklassen“, sagt Dr. Biykem Bozkurt, Vizevorsitzende des Leitlinienkommittees.
„Die Studien DAPA-HF und EMPEROR-HF haben unabhängig vom Diabetesstatus gezeigt, dass Patienten mit HFrEF von einer Therapie mit SGLT2-Inhibitoren profitieren, und zwar mit einer Reduktion der herzinsuffizienzbedingten Hospitalisierungen um 30%. In dieser vulnerablen Population bringt uns das dem Ziel, die Sterberaten zu reduzieren, ein großes Stück näher“, so Bozkurt.
Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF)
Für Patienten mit HFrEF empfiehlt die aktualisierte Leitlinie die Behandlung mit RAS-Inhibitoren (Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren [ARNI], ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptor-Blockern [ARB]), Betablockern, Mineralokortikoidrezeptorantagonisten (MRA) oder SGLT2-Inhibitoren – und zusätzlich bei Flüssigkeitsretention ein Diuretikum.
Bei Symptomen der NYHA-Klassen II und III soll der Leitlinie zufolge mit einem ARNI begonnen werden. Ist eine ARNI-Therapie nicht möglich, kann auch ein ACE-Hemmer zum Einsatz kommen. Sind ARNI und ACE-Hemmer unverträglich oder kontraindiziert, empfiehlt die Leitlinie einen ARB. Empfehlenswert seien auch Betablocker und MRA. Letztere allerdings nur bei einer eGFR (estimated Glomerular Filtration Rate) >30 ml/min/1,73m2 und einem Kaliumwert <5,0 mEq/l und unter sorgfältigem Monitoring der Kaliumwerte, der Nierenfunktion und der Diuretikadosierung. Außerdem wird für Menschen mit symptomatischer HFrEF unabhängig vom Diabetes-Status ein SGLT2-Inhibitor empfohlen.
„Die US-Leitlinie und die zuletzt im August 2021 aktualisierte europäische Leitlinie sind sich hier sehr ähnlich“, so Zeiher. Der einzige Unterschied sei, dass in den USA der ARNI immer etwas bevorzugt werde, während die European Society of Cardiology sage, dass man genauso gut einen ACE-Hemmer, Betablocker oder ARB nehmen könne. „Die europäische Leitlinie berücksichtigt die ökonomisch unterschiedlich ausgestatteten Gesundheitssysteme in Europa, denn der ARNI ist um ein Vielfaches teurer als die anderen Präparate“, erklärt Zeiher.
Herzinsuffizienz mit verbesserter Ejektionsfraktion (HFimEF)
Patienten, die eine HFrEF mit LVEF < 40% hatten, sich aber therapiebedingt oder aus anderen Gründen verbessert haben und jetzt eine LVEF>40% aufweisen (HFimEF), sollten weiterhin ihre HFrEF-Behandlung erhalten, heißt es in der US-Leitlinie. Die zusätzliche Kategorie für Patienten mit Verbesserung der LVEF lobt Zeiher ausdrücklich: „Bislang herrschte bei diesen – nicht wenigen – Patienten immer eine gewisse Unsicherheit, in welche Kategorie man sie einordnen sollte. Inzwischen wissen wir, dass man bei ihnen unbedingt die HFrEF-Therapie fortführen muss.“
Herzinsuffizienz mit leicht reduzierter Ejektionsfraktion (HFmrEF)
Patienten mit HFmrEF sollten der Leitlinie zufolge zuerst mit einem SGLT2-Inhibtor behandelt werden – bei Bedarf um ein Diuretikum ergänzt. ARNI, ACE-Hemmer, ARB, MRA und Betablocker erhalten eine schwächere Empfehlung, da die Evidenz in dieser Population weniger aussagekräftig sei.
Da sich die LVEF im Lauf der Zeit ändern kann, sollte sie bei HFmrEF-Patienten immer wieder kontrolliert werden, empfehlen die Autoren der Leitlinie.
Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF)
Bei HFpEF und Bluthochdruck sollten die Blutdruckwerte leitliniengerecht eingestellt werden. SGLT2-Inhibitoren können bei Patienten mit HFpEF Hospitalisierungen aufgrund von Herzinsuffizienz sowie die kardiovaskuläre Mortalität senken. Bei Patienten am unteren Ende des LVEF-Spektrums können auch ARNI, ARB und MRA in Betracht gezogen werden. Auch das Management von Vorhofflimmern kann der Leitlinie zufolge helfen.
Allerdings weist Zeiher darauf hin, dass der kombinierte Endpunkt aus Herzinsuffizienz-bedingten Hospitalisierungen und kardiovaskulärer Mortalität, der in EMPEROR-Preserved positiv ausgefallen war, vorwiegend von den Hospitalisierungen getrieben gewesen sei. „Die Mortalität war nicht verringert. Dass SGLT2-Inhibitoren in der US-Leitlinie für HFpEF nur eine 2a-Empfehlung erhalten hätten, liege aber daran, dass es bisher nur die eine Studie zu Empagliflozin gibt.“
ESC-Leitlinie wird voraussichtlich bei SGLT2-Inhibitoren nachziehen
Bei der letzten Aktualisierung der europäischen Leitlinie standen die Ergebnisse aus EMPEROR-Preserved noch nicht zur Verfügung. Es sei aber davon auszugehen, dass die ESC hier nachziehen werde, so Zeiher. „Beim diesjährigen ESC-Kongress werden voraussichtlich die Ergebnisse zu Dapagliflozin bei HFpEF vorgestellt, so dass die SGLT2-Inhibitoren dann in der ESC-Leitlinie basierend auf 2 Studien eine 1a-Empfehlung erhalten können.“
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Medscape.de.
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