Müssen angestellte Ärzte geleistete Überstunden beweisen?

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Von Fachanwältin Alexa Frey

Müssen angestellte Arbeitnehmer angefallene Überstunden selbst aufzeichnen, um sie beweisen zu können? Mit dieser Frage beschäftigte sich zuletzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) und kam zu einem Urteil, das auch für Personal im Gesundheitswesen große Relevanz haben dürfte.

Im konkreten Fall verlangte ein Auslieferungsfahrer die Zahlung von Überstundenvergütung – mehr als 5.000 Euro. Der Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit hatte er mittels einer technischen Zeitaufzeichnung erfasst. Seine Pausenzeiten wurden hingegen nicht aufgezeichnet. Laut seinen Angaben beliefen sie sich auf insgesamt 348 Stunden. Der Fahrer gab an, dass die Überstunden angefallen seien, weil es ihm nicht möglich gewesen sei, Pausen zu nehmen. Mit Pausenzeiten hätten die Auslieferungsaufträge jedoch nicht abgearbeitet werden können. Der Arbeitgeber bestreitet diese Darstellung.

Arbeitsgericht spricht Überstundenzahlung zunächst zu

Im erstinstanzlichen Urteil des Arbeitsgerichts Emden waren dem Arbeitnehmer die volle Stundenanzahl und die geforderte Überstundenvergütung zugesprochen worden.

Begründet wurde diese damit, dass nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) v. 14.03.2019 (Az. C-55/18) die Arbeitgeberseite verpflichtet werde, ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen. Hierdurch werde auch die Darlegungslast im Überstundenvergütungsprozess modifiziert.

Ein Nachweis der positiven Kenntnis des Arbeitgebers von den geleisteten Überstunden sei dann nicht erforderlich, wenn sich der Arbeitgeber „die Kenntnis durch Einführung, Überwachung und Kontrolle der Arbeitszeiterfassung hätte verschaffen können“.

Es sei daher ausreichend, dass der Fahrer nur die Anzahl der geleisteten Überstunden vorgetragen habe. Die Inanspruchnahme von Pausenzeiten durch den Fahrer, hätte der Arbeitgeber nicht hinreichend konkret darlegen können.

Berufungsinstanz „kippt“ das Urteil

Der Arbeitgeber ging gegen das Urteil in Berufung und war damit erfolgreich. Das Landesarbeitsgericht wies die Klage auf Überstundenvergütung ab. Auch das BAG hielt hieran nun fest und wies die eingelegte Revision zurück.

EuGH-Urteil ändert nichts an der Beweispflicht des Arbeitnehmers

An der Erfordernis der Darlegung der arbeitgeberseitigen Veranlassung und Zurechnung von Überstunden durch den Arbeitnehmer ändere auch die Entscheidung des EuGH zur Zeiterfassung nichts. Dieses Urteil, war als sog. Stechuhr-Urteil bekannt geworden.

Grund für die Arbeitszeitgestaltung und deren Aufzeichnungspflicht sei es, den Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gewährleisten. Diese Grundsätze finden aber auf ihre Vergütung keine Anwendung. Das Stechuhr-Urteil und die darin festgesetzte Verpflichtung des Arbeitgebers zur Messung der täglichen Arbeitszeit haben aber keinen Einfluss auf die bisherige Beweisverteilung im Überstundenvergütungsprozess..

Der Fahrer ist daher verpflichtet den Nachweis der Überstunden zu führen, was jedoch nicht gelang. Es sei nicht hinreichend konkret dargelegt worden, dass es erforderlich gewesen sei, ohne Pausenzeiten durchzuarbeiten, um die Auslieferungsfahrten zu erledigen. Die bloße pauschale Behauptung ohne nähere Beschreibung des Umfangs der Arbeiten genügte hierfür nicht.

Folgen für angestellte Medizinerinnen und Mediziner

Arbeiten angestellte Ärztinnen und Ärzte mehr, als es arbeitsvertraglich vereinbart wurde, müssen sie den Anfall, den Umfang und den Zeitraum der getätigten Überstunden konkret nachweisen können. Allein die Dokumentation von dem Beginn und dem Ende der Arbeitszeit sind dabei nicht ausreichend.

Wichtig ist es, die Pausenzeiten zu erfassen und vor allem zu dokumentieren, wenn vorgesehene Pausen – z.B. aufgrund von Notfällen – nicht oder nicht vollständig genommen werden können. Auch der Grund für die Überstunden – wie Krankheit im Team, Anordnung durch den Arbeitgeber – sollte durch die angestellten Medizinerinnen und Mediziner entsprechend notiert werden.

Zwar kann auch auf die mittels elektronsicher Zeiterfassung ermittelten Arbeitsstunden zurückgegriffen werden, um Überstunden nachzuweisen, allerdings sind diese Angaben allein eben gerade nicht ausreichend, um die Überstundenvergütung geltend machen zu können.

Daher lohnt es sich fortlaufend die Arbeitszeiten mit Pausen und Überstunden tagesaktuell zu erfassen und die Gründe für Überstunden und Pausenausfall zu notieren, um – im Streitfall – detaillierte Angaben zu den geleisteten Überstunden machen zu können.

Wie können Sie das konkret umsetzen? Hilfsmittel für eine solche Zeiterfassung können Apps bieten, hier sollte allerdings darauf geachtet werden, dass die einmal gemachten Angaben nachträglich nicht geändert werden können, so dass diese App auch ein gewisser Beweiswert zukommt, die sogenannte Revisionssicherheit. Auch eine analoge Erfassung durch den handschriftlichen fortlaufenden Eintrag in einem Kalender könnten hier als Nachweis ausreichen.

 

Alexa Frey ist selbständige Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht und Fachanwältin für IT-Recht. Sie berät Leistungserbringer im Gesundheitswesen in Fragen des Arzthaftungsrechts, IT-Rechts, Datenschutzes, Vertrags- und Gesellschaftsrechts, Vergütungsrechts und Medizinstrafrechts.
Kontakt: frey@wws-ulm.de

 

Dieser Beitrag ist im Original erschienen auf Coliquio.de.