Multiple Sklerose: Epstein-Barr-Virus vielleicht ein Auslöser, aber sicher nicht der einzige

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaften 

Eine im Wissenschaftsmagazin „Science“ publizierte Studie bestärkt die Hypothese, dass die Multiple Sklerose (MS) durch eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) ausgelöst werden könnte. Den Autoren zufolge könnte eine zukünftige Impfung gegen EBV eine Option sein könnte, um die MS-Inzidenz potenziell zu senken. Doch viele Fragen seien noch unbeantwortet, heißt es in einer Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Eine Infektion mit dem EB-Virus sei nur ein Faktor von mehreren Faktoren, die an der Pathogenese der Erkrankung beteiligt seien, so auch MS-Spezialisten auf Anfrage des „Science Media Center“.

„Die Ergebnisse der in Science veröffentlichten Studie sind bemerkenswert. Zwar handelt es sich ‚nur‘ um Beobachtungsdaten, aber die hohe Teilnehmerzahl, der Ausschluss von Störgrößen und Kovariablen sowie das eindrückliche Ergebnis bestärken die Hypothese, dass die Infektion mit EBV kausal eine MS verursachen kann, eine Hypothese, die in der Wissenschafts-Community schon lange diskutiert wird“, so der Bochumer MS-Experte Professor Dr. Ralf Gold in der DGN-Mitteilung zitiert. „Die Daten untermauern“ laut Gold „nun die Erkenntnis, dass EBV höchstwahrscheinlich ein Auslöser der MS ist, wenn auch vielleicht nicht der einzige“.

Kaum EBV-negative Veteranen

Die US-Autoren der Studie haben über 10 Mio. Angehörige des US-Militärdienst zwischen 1993 und 2013 untersucht. Alle Militärangehörigen wurden vor Aufnahme auf HIV gescreent; diese Proben wurden, sofern vorhanden, verwendet, um eine frühere  EBV-Infektion nachzuweisen. Wie in der Allgemeinbevölkerung war die EBV-Durchseuchung hoch, nur 5,3% der Proben waren EBV-negativ. Die Forscher werteten dann aus, wie viele Personen der Kohorte im Verlauf an Multipler Sklerose erkrankten und wie ihr EBV-Status war. 955 Menschen erkrankten im Verlauf ihres Militärdiensts an MS, von 801 lagen Serumproben vor. Nur einer der 801 Fälle war EBV-negativ – alle anderen Fälle traten in der Gruppe auf, die mit EBV infiziert war. Für jeden MS-Betroffenen wurden zwei Personen zur Kontrolle in die Studie eingeschlossen, die im Hinblick auf Alter, Geschlecht, Ethnizität etc. den MS-Patienten ähnlich, aber nicht an MS erkrankt waren. Interessant war: Die an MS Erkrankten hatten mit 97% eine extrem hohe Serokonversionsrate, die gesunden Personen der Kontrollgruppe hatten hingegen eine Serokonversionsrate von nur 57% (p< 0,001).

„Diese Daten legen einen kausalen Zusammenhang zwischen EBV-Infektion und MS nahe und zeigen, dass EBV höchstwahrscheinlich nicht nur ein Risikofaktor, sondern ein Auslöser ist. Der bisher gewichtigste Risiko für MS, das humane Leukozyten-Antigen (HLA)-DRB1*15:01, ist mit einem dreifach erhöhten Erkrankungsrisiko assoziiert – und wir sehen bei EBV nun ein 32-faches Risiko, was enorm ist und auf einen kausalen Zusammenhang hindeutet “, erklärt Gold. „Ob aber EBV der einzige Auslöser ist, können wir nicht sagen, letztlich kam es auch in der Gruppe der EBV-negativen zu einem Fall“. 

Noch ein weiter Weg bis zur Impfung

„Vor dem Hintergrund dieser Daten gewinnt die Impfung gegen das EBV an Relevanz, gerade für gefährdetere Populationsgruppen. Frauen sind beispielsweise doppelt so häufig von MS betroffen wie Männer. Die Impfung gegen EBV könnte auch deshalb interessant und effizient sein, da sie womöglich nicht nur der MS, sondern auch verschiedenen Krebserkrankungen vorbeugt“, ergänzt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. Noch gibt es keinen zugelassenen EBV-Impfstoff, aber verschiedene Firmen arbeitet daran, u.a. auch das Unternehmen Moderna. Der Weg zu einer Impfung gegen MS sei aber noch weit. Und wenn ein Impfstoff zur Verfügung stehe, bleibe die Frage, wie hoch seine Akzeptanz in der Bevölkerung sein werde. 

Eine methodisch gute und zudem große Studie

Wie Prof. Dr. Roland Martin (Gruppenleiter Neuroimmunologie und Multiple Sklerose, Universitätsspital Zürich) auf Anfrage des SMC erklärt hat, schätze er „die Methodik der Studie für gut und solide ein. Dass EBV ein Risikofaktor der MS ist, ist seit geraumer Zeit bekannt“. Neu sei, dass die Studie noch einmal größer sei als die vorausgegangenen. Außerdem spreche der nach der Infektion und dem Auftreten von EBV-Antikörpern gefundene Anstieg von MS-Biomarkern für zerebrale Schäden dafür, dass der Krankheitsprozess tatsächlich erst mit dem Beginn der Infektion eingesetzt habe.

EBV Hauptursache der MS: eine zu weitgehende Folgerung

Die mögliche Schlussfolgerung, die EBV-Infektion als Hauptursache für MS anzusehen, ginge ihm allerdings zu weit, so Martin. „Die Daten der vergangenen 20 Jahre zur Ursache der MS besagen, dass es einen komplexen genetischen Hintergrund gibt, der zur MS prädisponiert.“ Ausserdem seien „auch eine Reihe weiterer Umweltrisikofaktoren neben einer EBV-Infektion im Zusammenhang mit MS zu nennen: niedriges Vitamin D, Rauchen, Fettleibigkeit im späten Kindes- beziehungsweise frühen Erwachsenenalter, Schichtarbeit beziehungsweise ein gestörter Tag-Nacht-Rhythmus in diesem Alter sowie bestimmte Darmbakterien“. 

Ob das EBV der wichtigste Umweltfaktor sei oder einer unter mehreren, könne die Studie seines Erachtens nicht abschließend klären, so Martin. Darüber hinaus sollte man hinzufügen, dass auch für andere Viren und nach Impfungen der Zusammenhang mit dem Beginn einer MS beziehungsweise das Auslösen eines Schubs gezeigt worden sei. 

„Eine Impfung gegen EBV im frühen Kindesalter oder auch später, das heißt solange man EBV negativ ist“, wäre laut dem Immunologen „sehr sinnvoll, solange sie die Infektion wirksam verhindert. EBV ist eine latente/persistierende Virusinfektion. Das heißt, wenn man einmal infiziert ist, trägt man das Virus zeitlebens…Nur wenn man die Infektion des Wirts komplett durch die Impfung vermeiden könnte, wäre diese aus meiner Sicht sinnvoll. Wenn man einmal infiziert ist, ist es sehr schwer vorzustellen beziehungsweise unmöglich, das Virus über Medikamente oder eine Impfung nach Infektion zu beeinflussen“. 

„Die meisten EBV-positiven Menschen haben keine MS“

„Die Stärke des Papers liegt in der sehr großen Zahl von über zehn Millionen beobachteten Menschen und in der Länge der Studie von etwa 20 Jahren“, betont gegen+ber dem SMC auch Prof. Dr. Henri-Jacques Delecluse (Leiter der Arbeitsgruppe Pathogenese infektionsbedingter Tumoren, Deutsches Krebsforschungszentrum). Damit sei sie die bis jetzt überzeugendste Studie auf dem Gebiet und zeige „eindeutig, dass sich MS ohne EBV-Infektion beinahe nicht entwickeln würde“. Die Erkenntnis, dass EBV das MS-Risiko deutlich erhöhe, sei zwar nicht neu, aber keine Studie habe es bis jetzt so eindeutig mit epidemiologischen Methoden beweisen können. Interessant sei auch der zeitliche Zusammenhang zwischen MS-typischen (aber nicht spezifischen) Blutveränderungen (Erhöhung der Neurofilament-Leichtkette im Blut) und einer EBV-Infektion. Hier konnten die US-Autoren dem Heidelberger Wissenschaftler zufolge „überzeugend zeigen, dass nur die EBV-Infektion diese Veränderungen verursacht, und zwar bereits mehrere Jahre bevor die klinischen Zeichen von MS sichtbar werden“. Dies lasse annehmen, dass die EBV-Infektion relativ schnell Läsionen im Gehirn verursache, die sich jedoch jahrelang fortsetzen müssten, bevor sie MS verursachten. 

Die Studie bestätige, dass das Virus auf die MS-Entwicklung einen erheblichen Einfluss habe. Allerdings seien andere Faktoren zum Beispiel genetischer Natur, wie MHC-Gene, die die Immunantwort regulierten, auch wichtig, erklärt auch Delecluse.  Es sei auch „sehr wahrscheinlich, dass andere, bis jetzt nicht eindeutig identifizierte nicht-genetische Faktoren eine wichtige Rolle spielen, wie das Alter bei der ersten Infektion mit EBV oder bis jetzt bekannte infektiöse Agenzien. Letztlich ist MS eine seltene Krankheit und die meisten EBV-positiven Menschen haben keine MS“.