Motorische und vokale Tics: Wie behandeln?

  • Dr.med.Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Tics sind meist kurze Bewegungen oder Lautäußerungen, die oft in rascher Abfolge und ohne ersichtlichen Bezug zur aktuellen Situation wiederholt werden. In vielen Fällen geht die Erkrankung mit weiteren Verhaltensauffälligkeiten wie Ängsten oder einer Depression einher. Eine der wohl bekanntesten Tic-Störungen ist das Tourette-Syndrom. Betroffen sind oft Kinder, Schätzungen zufolge bis zu vier Prozent aller Kinder. Wie Patienten mit Tics behandelt werden können, haben Tina Rawish (Institut für Systemische Motorikforschung, Center of Brain, Behavior and Metabolism, Universität Lübeck) und Gesine Sallandt sowie Institutsleiter Alexander Münchau dargestellt. 

Bei Erwachsenen häufig Vorgefühle 

Tics werden, wie die Autoren erklären, in motorische (etwa Blinzeln, Zwinkern, Naserümpfe) und vokale Tics (zum Beispiel Tiergeräusche, Husten, Fiepen oder Piepsen) unterteilt. Betroffene könnten  unterschiedliche Tics haben. Meist träten zunächst einfache motorische Tics auf, vorrangig im Gesicht, an Nacken und an der Schulter. Tics an den Extremitäten seien seltener. Bei einigen Betroffenen könne es zu Echophänomenen (Echopraxie und Echolalie) kommen, also zur  Nachahmung beobachteter Bewegungen oder gehörter Geräusche. Bei etwa 20 Prozent der Patienten träten Koprophänomene auf, also Koprolalie (Aussprechen von Schimpfwörtern) oder Kopropraxie (obszöne Gesten). Klassische Koprophänomene bestünden bei Menschen mit Tics selten aus ganzen Sätzen, sondern überwiegend aus einzelnen Wörtern oder auch nur Anteilen von Schimpfwörtern.

Laut dem Team um Professor Alexander Münchau berichten Betroffene zusätzlich zu den Tics häufig über ein Tic-assoziiertes Vorgefühl, das zum Beispiel als Hitzegefühl, Kribbeln oder Druck  beschreiben werde. Das Vorgefühl könne im ganzen Körper vorkommen, trete aber gehäuft in der Körperregion auf, in der der Tic folge. Ein Vorgefühl sei bei Jugendlichen und Erwachsenen weiter verbreitet als bei Kindern .

Behandlung von Tics 

Ob eine spezifische Anti-Tic-Behandlung notwendig sei, richte sich danach, wie schwer die Tics, aber auch wie ausgeprägt komorbide Störungen seien: Wichtig sei zudem der Leidensdruck der Betroffenen. Häufig könnten bereits psychoedukative Maßnahmen in Bezug auf Tics und Hinweise zum Umgang mit diesen den Patienten helfen und auch ihre Angehörigen entlasten. 

Bislang gebe es nur symptomatische Therapien. Dabei sollte ibei der Therapie in jedem Fall Komorbiditäten berücksichtigt werden. Stehe die Begleiterkrankung im Vordergrund, sollte diese bevorzugt behandelt werden. Im Falle einer Besserung der komorbiden Störung sei häufig auch eine Linderung der Tics zu beobachten,

Verhaltenstherapien 

Eine wichtige Rolle bei der Behandlung von Tic-Störungen spielten Verhaltenstherapien. Methoden der ersten Wahl seien insbesondere „Habit Reversal Training/Comprehensive Behavioral Intervention for Tics“ und Exposition mit Reaktionsverhinderung. Sie seien sowohl für die Therapie von Kindern und Jugendlichen als auch von Erwachsenen geeignet. Die größte Evidenz für die Wirksamkeit verhaltenstherapeutischer Interventionen in der Behandlung von Tics gebe es für das Habit Reversal Training (HRT). Das Comprehensive Behavioral Intervention for Tics (CBIT) sei im Wesentlichen eine Erweiterung des HRT. 

Das HRT (Gewohnheitsumkehrtraining) beruhe auf der bewussten Wahrnehmung des Vorgefühls, das einem Tic vorangehe. Das werde beim Wahrnehmungstraining zunächst in mehreren Schritten trainiert. Anschließend werde für den jeweiligen Tic eine Gegenbewegung ausgewählt und eingeübt, die idealerweise mit der gleichzeitigen Ausführung des eigentlichen Tics nicht zu vereinbaren sei. Das werde schließlich im Alltag ausführlich trainiert. Dadurch solle es den Betroffenen ermöglicht werden, anstelle der Tics mit einem alternativen (weniger auffälligen und weniger störenden) Verhalten auf das Vorgefühl zu reagieren. 

Exposition mit Reaktionsverhinderung 

Ebenso wie beim HRT habe auch bei der Exposition mit Reaktionsverhinderung (ERP) die bewusste Wahrnehmung des Vorgefühls eine große Bedeutung zu. Im Gegensatz zum HRT werde hierbei aber nicht jeder Tic im Einzelnen behandelt, stattdessen sollten alle Tics auf einmal unterbleiben. Zunächst werde trainiert, den Tics für eine immer längere Zeitspanne zu widerstehen. Danach werde der Fokus auf die Wahrnehmung der Vorgefühle gelenkt.

Medikamentöse Therapie-Optionen

Über die psychotherapeutischen und psychoedukativen Verfahren hinaus sei auch die medikamentöse Therapie der Tic-Störungen gut etabliert, berichten die Autoren. Zu den medikamentösen Therapie-Optionen gehörten in erster Linie Dopaminrezeptor-Antagonisten. Die Therapie sollte grundsätzlich mit niedrigen Dosis begonnen und gegebenenfalls langsam gesteigert werden. An Präparaten stehe bei Erwachsenen insbesondere Aripiprazol (Off-Label) im Vordergrund; begonnen werde mit 1 × 2,5 mg/Tag morgens; im Verlauf könne dann alle sieben Tage um 2,5 mg gesteigert werden (Maximaldosis 20–30 mg/Tag). Alternativ komme insbesondere Risperidon (Off-Label) infrage. Hier werde anfangs eine Dosis von 1 × 0,5 mg/ Tag am Abend empfohlen sowie eine wöchentliche Steigerung um 0,25 mg. Die übliche Höchstdosis betrage 4 mg pro Tag. Ris- peridon habe typischerweise mehr Nebenwirkungen als Aripiprazol und werde deshalb seltener eingesetzt. 

Alternative Antipsychotika zur Behandlung von Tics bei Erwachsenen seien Pimozid und Sulpirid, letzteres vor allem bei komorbiden Zwängen. Bei Kindern seien außer Tiaprid auch Guanfacin und Clonidin möglich. Bei Erwachsenen seien diese Substanzen nicht oder nur sehr gering wirksam. Darüber hinaus profitierten manche Patienten von Cannabinoiden. Die Kostenübernahme der Medikamente durch die Krankenkasse müsse gesondert beantragt werden und erfolge erst nach Therapieversuchen mit so genannten First-Line-Medikamenten. Cannabinoide, die auch gegen Zwänge wirksam sein könnten, sollten ebenfalls vorsichtig eindosiert werden. Wenn sich Tics auf bestimmte Muskelgruppen beschränkten, könne eine Botulinumtoxin die Symptome lindern. Eine weitere, allerdings noch experimentelle, Methode bei Patienten mit Tourette-Syndrom oder chronischer Tic-Störung sei die tiefe Hirnstimulation. Der Einsatz erfolge vorwiegend innerhalb klinischer Studien.