Misshandlung in Partnerschaften: Wie erkennen, was tun?

  • Dr. Angela Speth
  • Medizinische Nachrichten
Der Zugang zum gesamten Inhalt dieser Seite ist nur Angehörigen medizinischer Fachkreise vorbehalten. Der Zugang zum gesamten Inhalt dieser Seite ist nur Angehörigen medizinischer Fachkreise vorbehalten.

Häusliche Gewalt zwischen Parntern eskaliert gewöhnlich nach Art einer Spirale, die sich schneller und schneller dreht. Die Folgen sind körperliches und seelisches Leid, sowohl bei den Opfern als auch bei anwesenden Kindern. Zu den ersten und mitunter einzigen Ansprechpartnern gehören Allgemein- und Notärzte. Es ist daher wichtig, dass sie die typischen Verletzungen erkennen und den Teufelskreis unterbrechen, zumal die Misshandelten oft nur in dieser Akutsituation für Interventionen zugänglich sind. In einem Zeitschriftenbeitrag beschreiben Rechtsmediziner einer Gewaltschutzambulanz die Phasen und Facetten der Gewalt, samt Risikofaktoren und Warnhinweisen.[1]

Bei Gewalt in Paarbeziehungen handelt es sich um ein komplexes Phänomen aus körperlichen, psychischen und sexualisierten Formen. Die Übergriffe gegen den vielleicht einst geliebten Partner oder die geliebte Partnerin seien keineswegs auf sozial schwache Schichten beschränkt, vielmehr in der gesamten Gesellschaft verbreitet, betonen Dr. Juliane Glas von der Gewaltschutzambulanz der Charité Berlin und ihre Kollegen.

Für das Jahr 2018 verzeichnet das Bundeskriminalamt 140.755 Opfer häuslicher Gewalt. Trotz signifikanter Zunahme der Anzeigen in den letzten Jahrzehnten wird eine hohe Dunkelziffer vermutet, besonders für männliche Opfer. Dennoch sind mehr als 80% der Misshandelten Frauen, rund die Hälfte lebt im selben Haushalt mit den Tatverdächtigen.

Kreislauf der Gewalt in vier Phasen

Bei Gewalt eines Menschen gegen einen anderen handelt es sich selten um einen isolierten Vorfall. sondern um einen Prozess. Der Anfang mag noch unspektakulär sein, doch allmählich entwickelt sich ein Klima der Beklemmung. Die Erfahrung lehrt: Hat jemand einmal zugeschlagen, tut er es wieder. Die Abstände zwischen den Delikten verkürzen sich immer mehr, die Brutalität wächst. Aus jahrzehntelanger praktischer und wissenschaftlicher Arbeit mit misshandelten Frauen wurde ein Kreislauf-Modell mit kontinuierlich wechselnden Phasen entwickelt:

1. Phase: Spannungsaufbau

Den Auftakt bilden verbale oder tätliche Entgleisungen. Die Opfer versuchen, den aufbrausenden Partner zu beschwichtigen, richten ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihn und stellen eigene Bedürfnisse zurück, was tatsächlich eine gewisse Zeit besänftigend wirkt.

2. Phase: Misshandlung

Das Unheil nimmt Fahrt auf, wenn den Tätern eine Frustration widerfährt, eine Kränkung im Beruf oder ein Streit. Ihre Wut entladen sie in einem Gewaltausbruch gegen den meist unbeteiligten Partner. Geschehen die ersten Schläge noch bewusst, folgen die weiteren häufig im „Blackout“ und hinterlassen Erinnerungslücken. Indem die Täter handeln und damit die eigene Ohnmacht an das Gegenüber delegieren, gewinnen sie ihre Stärke zurück.

Die Opfer versuchen zu fliehen, sich zu wehren oder die Schmerzen zu ertragen, oft in Todesangst, so dass manche unter Schock stehen. Der herbei gerufenen Polizei erscheinen sie dann vielleicht aggressiv, apathisch oder widersprüchlich in ihren Schilderungen.

3. Phase: Reue und Zuwendung

Haben sie sich abreagiert, bekunden die Täter häufig Reue, schämen sich, bemühen sich, ihr Vergehen durch liebevolle Gesten rückgängig zu machen. Sie versprechen felsenfest, sich zu ändern, so dass viele Opfer ihre ursprüngliche Trennungsabsicht fallen lassen oder Aussagen bei Strafverfahren widerrufen.

4. Phase:cWegschieben der Schuld

Die Täter versuchen nun, sich vor der Verantwortung an ihrem als unkontrollierbar empfundenen „Ausrutscher“ zu drücken. Sie bestreiten und verharmlosen das Delikt oder machen als Verursacher etwa Alkoholkonsum oder Berufsprobleme aus, widersinnigerweise auch die Opfer. Damit treffen sie bei jenen einen wunden Punkt, denn viele grübeln über Selbstvorwürfen, warum sie den Affront nicht verhindern konnten. So entlastet, gehen die Täter wieder zu Attacken über, die sich steigern und einen neuen Zyklus einleiten.

Kindheitsmuster - transgenerationale Weitergabe

Wann werden Menschen handgreiflich? Als Risikofaktoren nennen die Autoren:

  • Misshandlungen in der Herkunftsfamilie, als Zeuge oder als Opfer
  • Lebensalter zwischen 15 und 34 Jahren
  • schlechte Schulbildung, geringes Einkommen oder Arbeitslosigkeit
  • Scheidung oder nichtehelich lebend
  • schlechte Gesundheit
  • Kinder im Haushalt
  • Alkohol- oder Drogenkonsum
  • Migrationshintergrund, besonders wenn die Partnerin eine westliche Lebenseinstellung hat (Stichwort „Verletzung der Familienehre“)

Hinzu kommen Warnhinweise:

  • Schwere oder Bild der Verletzungen stimmen nicht mit den Schilderungen des Vorfalls überein; als Begründung werden Unfälle genannt.
  • Verletzte kommen erst verspätet zur Behandlung oder mit einem überbesorgten Begleiter, der ihnen nicht von der Seite weicht.
  • Chronische Beschwerden ohne offensichtliche Ursache
  • Verletzungen während der Schwangerschaft
  • Verzögerter Beginn der Schwangerschaftsvorsorge
  • Suizidversuche und Suzidgedanken

Angriffe mit bloßen Händen oder auch mit Worten

Das „Rad der Gewalt“, entwickelt vom Domestic Abuse Intervention Projekt, gibt die  Dimensionen wider, die häufig parallel auftreten:

  1. Stumpfe Gewalt: Die Täter stoßen die Opfer, so dass sie stürzen, versetzen ihnen Tritte, Fausthiebe oder Schläge, teilweise mit Gegenständen wie Gürtel, Kabel oder Softairpistolen. Kopf, Rumpf und Gliedmaßen sind gleichermaßen Angriffsziele, sichtbar an Abschürfungen, Platzwunden, Knochenbrüchen, Hautblutungen und -verfärbungen eventuell mit Konturen wie Striemen oder Handabdrücken.
  2. Halbscharfe Gewalt: Axt- und Beilklingen, pfahlartige Gegenstände und Bisse erzeugen Verletzungen im Übergang zwischen Quetschung, Schürfung oder Unterblutung einerseits und Stich andererseits.
  3. Scharfe Gewalt: Stiche und Schnitte entstehen durch Messer, Kugelschreiber, Scheren, Nadeln, Spieße, Gabeln, Schraubenzieher oder Glasscherben.
  4. Strangulation: Kompression der Weichteile am Hals durch die Hände erzeugt Würgemale, ovale bis bizarr geformte Hautunterblutungen. Drosselmarken - fast waagerecht um den Hals verlaufende Streifen - bilden sich, wenn die Täter Strangwerkzeuge benutzen. Gelegentlich allerdings sind diese Merkmale ebenso wie Stauungszeichen - flohstichartige Einblutungen in Mundschleimhaut, Lid- und Bindehaut oder hinter den Ohren – nur schwach ausgeprägt.
  5. Thermische Gewalt: Verbrühungen gehen auf heiße Flüssigkeiten wie Wasser oder Öl zurück, aber auch auf Dampf. Nach gewaltsamem Eintauchen erscheinen die Hautrötungen scharf begrenzt, nach Überschütten dagegen bizarr geformt. Sogar Verbrennungen durch eine offene Flamme oder heiße Gegenstände werden beobachtet.
  6. Sexualisierte Gewalt: Nach Nötigung, Missbrauch, Vergewaltigung oder Zwang zur Prostitution ergeben rechtsmedizinische und gynäkologische Untersuchungen nicht immer Verletzungen, vor allem dann nicht, wenn das Opfer bedroht oder durch Drogen willfährig gemacht wurde. Glaubwürdige Anzeichen sind Schleimhauteinrisse genital, anal oder rektal, am übrigen Körper Hämatome, Schürfwunden, Kratzspuren, Schläge oder Bisse. An Armen und Handgelenken deuten sie auf gewaltsames Entkleiden hin, auf Fixieren oder Fesseln, an den Innenseiten der Oberschenkel auf Abwehr- und Spreizverletzungen durch gewaltsames Auseinanderdrücken der Beine. Widerlagerverletzungen, die durch Druck gegen einen Untergrund entstehen, zeigen sich über den Schulterblättern, der Wirbelsäule oder dem Becken. Einblutungen in die Mundschleimhaut verweisen auf Zuhalten des Mundes.
  7. Psychische Gewalt: Die Opfer werden bedroht und beschimpft, für verrückt erklärt, einschüchtert durch Zerstören ihres Eigentums, Schreien und Toben, bevormundet, gedemütigt und manipuliert. Vor allem Männer benehmen sich tyrannisch und erniedrigen Frauen zu ihren Dienerinnen.
  8. Ökonomische Gewalt: Der böswillige Partner macht den Unterlegenen finanziell von sich abhängig, durch Arbeitsverbote, aber auch Arbeitszwang, alleinige Verfügungsmacht über das Konto oder Zuteilung eines knappen „Taschengelds“.
  9. Soziale Gewalt: Die Täter treiben ihre Partner in die Isolation, indem sie ihnen sowohl Treffen mit Verwandten und Freunden als auch Telefonate, E-Mails und Textnachrichten verbieten, sie ausspionieren und kontrollieren. So erschweren sie es ihnen auch, sich Hilfe zu suchen.

Kinder sind immer Leidtragende

Kinder: Selbst ohne direkte Attacken gegen die Kinder gilt familiäre Gewalt grundsätzlich als sogenannte Kindeswohlgefährdung, weshalb die Polizei stets gemäß dem Schutzauftrag nach §8a SGB VIIIe eine Meldung ans Jugendamt verfasst. Ebenso sollten Ärzte bei Gewalt gegen die Mutter nach Kindesmisshandlung fragen, weil sich beides oft überschneidet, und zuständige Stellen, darunter Kinderschutzzentren informieren.

Kinder werden zudem nicht selten zur Erpressung genutzt und gegen die Mutter ausgespielt. Eine Befragung von rund 10.000 Frauen in Deutschland zeigt das Ausmaß des Problems: In mehr als der Hälfte der Haushalte mit gewalttätiger Paarbeziehung lebten Kinder. Die meisten sahen oder hörten, was passierte, manche wurden sogar ebenfalls angegriffen, ein Viertel versuchte, die Mutter zu verteidigen.  Mögliche Folgen sind psychische und Verhaltensauffälligkeiten im Kindes- und Erwachsenenalter, außerdem die Gefahr, die spätere Familie ebenfalls zu drangsalieren.