Menschen mit HIV leben weniger Jahre bei guter Gesundheit als nicht infizierte
- Nicola Siegmund-Schultze
- Studien – kurz & knapp
Kernbotschaften
In Ländern mit gut strukturierten und gut finanzierten Gesundheitssystemen hat sich die Lebenserwartung von Menschen mit HIV der der Allgemeinbevölkerung fast angeglichen. Es bleiben aber Unterschiede bei der Lebenszeit in guter Gesundheit: Schon mit Anfang 50 haben Menschen mit HIV doppelt so viele Komorbiditäten wie nicht infizierte und diese Differenzen bleiben auch in den darauf folgenden Jahren bestehen (Lancet HIV https://doi.org/10.1016/S2352-3018(22)00400-3). Mit einer höheren Krankheitslast korrelieren speziell niedrigere CD4-Zellzahlen (< 200/µl) und Therapiephasen mit Einnahme von nukleosidalen Reverse-Transkriptase-Hemmern (NRTI).
Hintergrund
Die Lebenserwartung von Menschen mit HIV und Aids ist generell abhängig vom Immunstatus und einer rechtzeitigen, effektiven und nebenwirkungsarmen HIV-Behandlung. Wurde eine HIV-Therapie ab der Jahrtausendwende zum Beispiel begonnen, können HIV-Infizierte mit einer nahezu normalen Lebenserwartung rechnen (1). Seit Längerem allerdings werden Unterschiede bei den Komorbiditäten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung festgestellt, ohne dass allerdings die Kontrollgruppen in Bezug auf Lebensstilaspekte jemals vergleichbar gewesen wären mit denenvon HIV-infizierten. Diese Lücke schließt erstmals eine große prospektive Längsschnittstudie aus den Niederlanden (2).
Design
Studienform: prospektive, longitudinale Kohortenstudie mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus dem Großraum Amsterdam
Rekrutierungskriterien: Alter ab 45 Jahren (Durchschnitt: 52 Jahre bei Einschluss in die Studie),
Informationen über HIV-Status, ärztliche Behandlungen, Lebensstil wie Rauchen, Häufigkeit und Intensität des Alkohol- oder Drogenkonsums, Body Mass Index, Körpergewicht und Komorbiditäten
Hauptergebnisse
596 HIV-positive Personen wurden eingeschlossen und 550 HIV-negative.
Die beiden Kohorten waren in Bezug auf demographische Merkmale und alle anderen Einschlusskriterien vergleichbar. 78,5 % waren Männer, die angaben, Sex mit Männern zu haben (MSM). Die übrigen machten keine Angaben oder waren keine MSM (16,5 %).
Ohne Komorbiditäten waren zu Studienbeginn 55,5 % in der Kohorte mit HIV-Infektion und 74,2 % in der Kohorte ohne HIV-Infektion. Die übrigen hatten 1 Komorbidität (29,4 % vs. 21,5 %; HIV-positive vs. HIV-negative Teilnehmer), 2 Komorbiditäten (10,9 % vs. 3,1 %) oder mindestens 3 Komorbiditäten (4,2 % vs. 1,3 %).
Die insgesamt 1.146 Teilnehmer wurden für median 5,9 Jahre nachbeobachtet (5,7-6,0 Jahre).
In diesem Zeitraum starben 5,2 % in der HIV-positiven Gruppe – keiner an Aids - und 1,3 % in der HIV-negativen Gruppe. Die Unterschiede ergeben sich vor allem durch mehr gastrointestinale Tumoren, Lungenkarzinome und hämatologische Malignome sowie durch häufigeres Multiorganversagen und mehr kardiovaskuläre Erkrankungen bei HIV-Positivität.
Die durchschnittliche Komorbiditätsrate stieg in beiden Gruppen mit der Zeit in vergleichbarem Maße an. Sie lag bei 1,04 jährlich in der Kohorte mit HIV-Infektion und bei 1,05 in der Kohorte ohne HIV-Infektion.
Außerdem wurde die Krankheitslast zwischen beiden Gruppen als Disability-adjusted Life Years (DALYs) verglichen. DALY setzt sich zusammen aus den durch Tod und gesundheitliche Einschränkungen verlorenen Lebensjahren.
Hier nun gab es deutliche und auch signifikante Unterschiede im Verlauf. Der durchschnittliche Anstieg der DALYs betrug 0,209 pro Jahr bei HIV-positiven Teilnehmern vs. 0,091/Jahr bei HIV-negativen, eine Differenz um den Faktor 2,3 (p = 0,0045).
Innerhalb der Gruppe der HIV-positiven Teilnehmer war der Anstieg der DALYs rascher, wenn NRTIs in der Vergangenheit eingenommen worden waren, und außerdem stärker bei CD4-Zellzahlen < 200/µl.
Klinische Bedeutung
Die Differenz bei der prognostizierten Lebenserwartung zwischen HIV-infizierten und nicht infizierten Personen hat sich in den letzten Jahren noch einmal deutlich verringert. Es bleibt aber eine Differenz bestehen bei den durch gesundheitliche Einschränkungen und vorzeitigen Tod verlorenen Lebensjahre.
Diese Ergebnisse weisen nach Meinung der Autoren und der Kommentatoren daraufhin, dass auch in westlichen Ländern mit gut funktionierenden Gesundheitssystemen das Monitoring und möglicherweise auch die Schwellen für einen Beginn von Therapien besser an Menschen mit HIV angepasst werden müssten (3). Die Anzahl der Menschen mit HIV in Deutschland wird auf 85.300–96.000 geschätzt (4).
Finanzierung: öffentliche Mittel
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