Von Anke Brodmerkel
Die Menopause als einen behandlungsbedürftigen Hormonmangel zu betrachten, ist falsch und für die meisten Frauen in den Wechseljahren eher schädlich als hilfreich. Davon ist ein Team um Prof. Dr. Martha Hickey vom Royal Women's Hospital Victoria und von der University of Melbourne in Australien überzeugt. Ihre Kritik an der Medikalisierung der Menopause, die negative Erwartungen der Frauen an diese Phase ihres Lebens verstärke und somit eher zu einer Verschlimmerung der Beschwerden führe, haben die Mediziner jetzt im „British Medical Journal“ veröffentlicht.
In Deutschland wird die Hormontherapie eher selten verordnet
„Um den Beitrag richtig einordnen zu können, ist es hilfreich zu wissen, dass die Hormontherapie in Großbritannien derzeit einen regelrechten Hype erfährt“, kommentiert die Präsidentin der Deutschen Menopause Gesellschaft, Dr. Katrin Schaudig, im Gespräch mit Medscape. „Seitdem die Frauen dort nur noch eine Rezeptgebühr für einen Jahresvorrat an Hormonen, die vom National Health Service verschrieben wurden, bezahlen müssen, sind die Zahlen derjenigen Frauen, die sich einer Hormontherapie unterziehen, deutlich gestiegen“, erläutert die in Hamburg niedergelassene Ärztin für gynäkologische Endokrinologie.
Außerdem würden Menopause-Experten in Großbritannien vom sogenannten „Davina-Effekt“ sprechen, sagt Schaudig. Davina McCall ist eine englische Moderatorin und Schauspielerin, die sich öffentlich – unter anderem auf dem sozialen Netzwerk Instagram – für eine Hormontherapie in den Wechseljahren stark macht. Allein auf Instagram folgen ihren Beiträgen rund 1,5 Millionen Menschen.
In Deutschland sehe sie keinen Trend zur Medikalisierung der Menopause, sagt Schaudig. Zahlen der Techniker Krankenkasse zufolge hätte im Jahr 2017 nur etwa jede 15. erwerbstätige Frau zwischen 45 und 65 Jahren ein Hormonpräparat von ihrem Arzt verordnet bekommen. Das entspreche gerade einmal 6,6% der Frauen dieser Altersstufe. Im Jahr 2000 habe noch rund jede 3. Frau (37%) Hormonpräparate genommen.
„Und wenn man dann noch bedenkt, dass ungefähr ein Drittel der Frauen Wechseljahrsbeschwerden haben, die sie in ihrem Alltag wirklich beeinträchtigen, würde ich mir eigentlich eher wünschen, dass mehr Frauen als momentan eine Hormontherapie in Erwägung ziehen“, sagt Schaudig.
Gegen starke Hitzewallungen helfen nur Hormone
Vieles von dem, was Hickey und ihre Kolleginnen im "BMJ" schreiben, sei natürlich richtig, sagt Schaudig. Nicht jede Frau brauche eine Hormontherapie und gänzlich ohne Risiken sei diese natürlich auch nicht, wenngleich ihr Nutzen meist überwiege. Auch der Aussage, dass es sowohl den Frauen selbst als auch den behandelnden Ärztinnen und Ärzten oft an Wissen zum Thema Menopause fehle, stimme sie zu. „Aber manche Botschaften in dem Artikel haben mich auch richtig wütend gemacht“, sagt Schaudig. Zum Beispiel die, dass es doch auch ohne Hormone zu schaffen sei, gut durch die Wechseljahre zu kommen. „Aber etwas anderes als eine kognitive Verhaltenstherapie oder mehr Sport bietet Hickey den Frauen in dem Artikel als mögliche Hilfe nicht an.“
Dabei könne Sport Hitzewallungen nach derzeitiger Studienlage nicht lindern, allenfalls bei manchen Frauen die Schlafstörungen und depressiven Verstimmungen verbessern. „Und die Schwelle für die Inanspruchnahme einer kognitiven Verhaltenstherapie ist bei vielen Frauen hoch, zumal die Kostenfrage unklar ist“, sagt Schaudig.
In jedem Fall halte sie es für richtiger, Frauen mit Wechseljahrsbeschwerden Hormone zu verordnen, als ihnen Schlafmittel und Serotonin-Wiederaufnahmehemmer zu geben – wie es zum Teil leider immer noch gängige Praxis sei.
Die Wechseljahre haben auch viele positive Folgen
Die Menopause sei für die Hälfte der Bevölkerung ein natürliches Ereignis, schreiben Hickey und ihre Kolleginnen in ihrem Beitrag mit dem Titel „Normalising menopause“. Dennoch variiere die Erfahrung zwischen verschiedenen Frauen und bei ein und derselben Frau im Laufe der Zeit beträchtlich.
„Während Frauen mit starken Hitzewallungen und nächtlichen Schweißausbrüchen häufig von einer Hormontherapie in den Wechseljahren profitieren, betrachten die meisten Frauen die Wechseljahre als einen natürlichen Prozess und ziehen es vor, keine Medikamente einzunehmen“, so die Autorinnen.
Hickey und ihre Kolleginnen sehen einen dringenden Bedarf an einer realistischeren und ausgewogeneren Darstellung der Wechseljahre, die aktiv gegen geschlechtsspezifische Altersdiskriminierung vorgeht. Qualitative Studien würden zeigen, dass Frauen sowohl über positive als auch negative Folgen der Wechseljahre berichten, schreiben sie. Als positive Folgen nennen die Autorinnen unter anderem das Ausbleiben von Menstruation und prämenstruellen Symptomen sowie die schwindende Notwendigkeit zur Verhütung.
Eine Hormontherapie kann das Altern nicht aufhalten
Soziale und kulturelle Faktoren spielen laut Hickey und ihren Kolleginnen eine wichtige Rolle bei den Erwartungen und Erfahrungen der Frauen mit den Wechseljahren. „In Gesellschaften, in denen Frauen wegen ihrer Jugend und Fruchtbarkeit geschätzt werden, ist die Menopause gleichbedeutend mit einem Niedergang“, schreiben sie. Der Glaube, dass das Altern durch eine Hormonersatztherapie hinausgezögert oder rückgängig gemacht werden könne, halte sich hartnäckig und werde durch die Medien, die medizinische Fachliteratur und Informationen für Frauen, die oft von Marketinginteressen geleitet seien, noch verstärkt. „Natürlich kann eine Hormontherapie das Altern nicht verhindern“, sagt auch die Hamburger Expertin Schaudig. „Den Frauen, die Hormone nehmen wollen, um länger jung zu bleiben, würde ich sicherlich keine verordnen.“ Aber zumindest hierzulande sei es doch eher so, dass selbst Frauen mit starken Beschwerden insbesondere aus Angst vor Brustkrebs lieber auf eine Hormontherapie verzichten. Von einer Medikalisierung der Menopause sei man in Deutschland weit entfernt.
„Dabei ist das Risiko durchaus überschaubar – und mit einer jährlichen Mammografie erhöht sich zudem die Chance, einen eventuell entstehenden Tumor in der Brust frühzeitig zu entdecken und effektiv zu behandeln“, sagt Schaudig. Darüber hinaus müsse ihrer Ansicht nach auch bedacht werden, dass das Risiko für Osteoporose, Diabetes mellitus und Darmkrebs durch eine Hormontherapie sinke. Und das Risiko für Thrombose oder Schlaganfall tendiere gegen Null, wenn man die Östrogene transdermal verabreiche.
Negative Erwartungen sind verbreitet, aber nicht hilfreich
Hickey und ihre Kolleginnen kritisieren die Medikalisierung der Menopause noch aus einem weiteren Grund: Mit ihrem engen Fokus auf Symptome verleite sie Frauen dazu, das Schlimmste zu erwarten, schreiben sie. „Dies kann sich direkt darauf auswirken, wie die Wechseljahre erlebt werden, da Frauen mit negativen Erwartungen eher unter lästigen Symptomen leiden.“
Nach der Menopause hätten Frauen eine positivere Einstellung, „was darauf hindeutet, dass negative, gesellschaftlich vermittelte Erwartungen nicht immer mit der Realität der Erfahrungen von Frauen übereinstimmen“, so die Autorinnen. Studien würden zudem darauf hindeuten, dass sich die meisten Frauen nicht auf die Wechseljahre vorbereitet fühlen und dass ihnen wichtiges Wissen darüber fehle, was sie erwarten können und wie sie ihre Gesundheit optimieren können, schreiben Hickey und ihre Kolleginnen. „Zusammen mit der begrenzten öffentlichen Diskussion, der unzureichenden Aufklärung und der Scham, die mit dem Altern bei Frauen verbunden ist, führt dies zu Verlegenheit und negativen Erwartungen an die Wechseljahre.“
Das Wissen ist bei den Frauen und den Ärzten oft gering
Auch Schaudig weiß aus eigener Erfahrung, dass viele Frauen nur sehr wenig darüber wissen, was während der Wechseljahre in ihrem Körper geschieht. „Dabei können sie die Beschwerden meist viel besser aushalten, wenn sie verstehen, was mit ihnen los ist“, sagt sie. Ein solches Beratungsgespräch sei jedoch in weniger als einer halben Stunde eigentlich nicht zu machen und werde den Ärzten leider nicht entsprechend honoriert.
Hinzu komme, dass auch die Ausbildung der Ärzte zum Thema Menopause in Deutschland nicht gerade die beste sei. „Die Ausbildung zum Facharzt findet ja in den Kliniken statt“, sagt Schaudig, „das Thema Wechseljahre betrifft aber rein die ambulante Betreuung.“ Generell seien Hormone und hormonelle Störungen ihrer Ansicht nach nicht ausreichend im Lehrplan für Mediziner verankert. Zudem seien tatsächlich viele Ärzte – ebenso wie die Patientinnen – durch die teils widersprüchlichen Studienergebnisse zur Hormontherapie inzwischen oft verunsichert, so Schaudig.
Stigmatisierungen älterer Frauen müssen abgebaut werden
Hickey und ihre Kolleginnen fordern in ihrem Artikel vermehrte Anstrengungen, um die Öffentlichkeit für das Thema Menopause zu sensibilisieren und Stigmatisierungen im Zusammenhang mit den Wechseljahren und dem Altern abzubauen, um die Erfahrungen der Frauen zu verbessern. „Die Normalisierung des Alterns bei Frauen und die Würdigung der Stärke, der Schönheit und der Leistungen älterer Frauen können das Bild verändern und positive Vorbilder schaffen“, schreiben sie.
Die Autorinnen begrüßen zudem neue Entwicklungen in Großbritannien, wie zum Beispiel die Aufnahme des Themas Menopause in den Lehrplan der weiterführenden Schulen, Maßnahmen zur Behandlung der Menopause am Arbeitsplatz und Online-Ressourcen, die Arbeitgebern dabei helfen, ihre Mitarbeiter bei der Bewältigung von Wechseljahrsbeschwerden zu unterstützen.
„Auch wenn die Ergebnisse dieser Maßnahmen sorgfältig beobachtet werden müssen, kann die weitere Sensibilisierung durch öffentliche Gesundheits- und Aufklärungskampagnen dazu beitragen, dass Frauen die Wechseljahre positiver erleben – und genießen“, so die Schlussfolgerung von Hickey und ihren Kolleginnen.
Schaudig hingegen sieht die vorgeschlagenen Maßnahmen am Arbeitsplatz eher kritisch. „Flexible Arbeitszeiten sind in den meisten Berufen ja eher illusorisch“, sagt sie. Und zudem sollten Frauen heutzutage doch gerade im Job „ihre Frau“ stehen. „Auch ich würde es allerdings begrüßen, wenn der Jungendwahn weniger und das Thema Menopause salonfähiger würden“, betont Schaudig.
Eine gemeinsame Entscheidung von Frauen und ihren Ärzten ist hilfreich
Passend zum Thema geht die britische Ärztin Dr. Rammya Mathew in ihrer regelmäßigen Kolumne im "BMJ" auf die jüngste Kritik an Hausärzten ein, die auf eine Dokumentarserie im Fernsehen über die Wechseljahre von Davina McCall erfolgt war. McCall hatte berichtet, dass eine ganze Reihe von Frauen unter ihrem Hausarzt zu leiden hätten, der ihnen gesagt habe, sie bräuchten keine Hormontherapie oder sie seien nicht in den Wechseljahren.
„Ich bestreite nicht, dass einzelne Frauen im Stich gelassen wurden, und ich applaudiere Davina dafür, dass sie das Bewusstsein für ein Thema geschärft hat, das in der Gesellschaft oft immer noch als Tabuthema gilt“, schreibt Mathew. Die nuanciertere Wahrheit sei jedoch, dass viele Umkehrungen in Bezug auf die Sicherheit der Hormontherapie gemacht worden seien, die das Vertrauen der Ärzte in die verfügbaren Beweise nachhaltig beeinträchtigt hätten. Auch könnten die Symptome von Frauen nicht immer auf die Wechseljahre zurückgeführt werden. „Und obwohl die Vorteile der Hormontherapie bei den meisten Frauen die Risiken überwiegen, ist dies nicht immer der Fall“, so Mathew.
„Viele meiner Patientinnen behaupten, dass ich ihnen ihr Wohlbefinden zurückgegeben hätte, nachdem wir über die Wechseljahre gesprochen und gemeinsam eine Entscheidung über eine Hormontherapie getroffen hätten“, schreibt die Medizinerin. Und sie glaubt, dass Hausärzte im ganzen Land dasselbe tun und ähnlich positive Rückmeldungen erhalten.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Medscape.de.
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