Mehrfachresistenz bei HIV: Lenacapavir, halbjährlich gegeben, erzielt hohe Virussuppression
- Nicola Siegmund-Schultze
- Studien – kurz & knapp
Kernbotschaften
Für den langwirksamen Capsid-Inhibitor Lenacapavir gibt es nun Einjahres-Ergebnisse zu Effektivität und Wirksamkeit bei Patienten mit HIV-Resistenz gegen mindestens 2 der 4 verfügbaren Substanzklassen. Bei 78 % konnte die Viruslast durch Lenacapavir von > 400 Kopien/mL auf < 50 Kopien/mL gesenkt werden. Die entsprechenden Daten der CAPELLA-Phase-2/3-Studie sind in Lancet HIV publiziert worden (https://doi.org/10.1016/S2352-3018(23)00113-3).
Hintergrund
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellt in den letzten Jahren eine Zunahme von Infektionen mit mehrfachresistenten HI-Viren fest. Die Entwicklung gefährdet das "90-90-90"-Ziel der WHO: mindestens 90 % aller HIV-Infektionen sollten erkannt und davon mindestens 90 % medikamentös behandelt werden mit dem Ziel, bei mindestens 90 % die Viruslast im Blut unter die Nachweisgrenze zu senken, damit sich Resistenzen möglichst nicht ausbilden können. Allerdings erfolgt ein Teil der Neuinfektionen bereits mit primär resistenten HIV-Stämmen, in Deutschland sind es circa 10 %. Außerdem nimmt das Risiko für Resistenzausbildungen im Verlauf der HIV-Infektion doch zu. Lenacapavir (GS-6207) ist ein "small molecule" und der erste Wirkstoff aus der Substanzklasse der HIV-Kapsid-Inhibitoren. Er bindet an konservierte Regionen von Kapsid-Monomeren und verhindert Wechselwirkungen zwischen den Proteinen, die für den Replikationszyklus des Virus essenziell sind (1). Für die Behandlung von Patienten mit HIV-Resistenzen ist die Substanz besonders interessant, weil sie erstens eine sehr hohe antivirale Aktivität hat und in pikomolaren Konzentrationen virussupprimierend wirkt, weil sie zweitens die systemische Substanzclearance nach subkutaner Gabe sehr langsam erfolgt und weil es drittens keine Kreuzresistenzen mit anderen antiviralen Substanzen gibt. Bislang lagen aus der Phase-2/3-Studie CAPELLA nur Daten über einen Beobachtungszeitraum von 26 Wochen vor (2), jetzt wurden die 1-Jahres-Ergebnisse publiziert (3).
Design
- Studienform: internationale randomisierte Phase-2/3-Studie unter Beteiligung eines deutschen Zentrums
- Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Patienten mindestens 12 Jahre mit fortgeschrittener HIV-Erkrankung:
- CD4-Zellzahlen zu Studienbeginn bei median 150/µL, bei 22 % < 50 Zellen/µL und
- Resistenz gegen antivirale Medikamente aus mindestens 2 Substanzklassen; bei 46 % lagen Resistenzen gegen alle 4 Substanzklassen vor.
- Resistenz war gegeben bei konstanter Virämie mit einer Viruslast von ≥ 400 Kopien/mL Blut und einem Abfall der Viruslast um weniger als 0,5 Logstufen (log10) durch antivirale Medikation
- Merkmale der Teilnehmer: zu 75 % männlich, Durchschnittsalter: 52 Jahre
- Therapieregime:
- Kohorte 1 mit 36 Probanden erhielt randomisiert (2 : 1) eine "Loading dose" Lenacapavir oral (je 600 mg an Tag 1 und 2, 300 mg an Tag 8) oder Placebo zusätzlich zur bisherigen Medikation. In der Verumgruppe wurde ab Tag 15 alle 26 Wochen Lenacapavir 927 mg subkutan injiziert, die Placebogruppe startete an Tag 15 entsprechend mit Lenacapavir.
- Kohorte 2 mit ebenfalls 36 Patienten erhielt eine optimierte Basismedikation und zusätzlich Lenacapavir nach o.g. Schema.
Hauptergebnisse
- In Kohorte 1 hatten nach 1 Jahr 83 % der Teilnehmer < 50 HIV-1-RNA-Kopien/mL im Blut und 86 % < 200 RNA-Kopien/mL.
- Bei 9 Patienten der insgesamt 72 Teilnehmer (12 %) traten nach 12 Monaten Zeichen einer Lenacapavir-Resistenz auf, 78 % sprachen noch immer stabil an.
- Bei 65 % der Gesamtgruppe (Kohorte 1 + 2) traten unerwünschte, mit Lenacapavir assoziierte Effekte auf, vor allem Schwellungen an der Einstichstelle (36 %), Schmerzen (31 %) und Erytheme (31 %).
Klinische Bedeutung
Bei HIV-Infektion mit mehrfach resistenten Viren, deren Vermehrung nur ungenügend durch die gängigen Medikamentenkombinationen unterdrückt werden kann, führt eine zunächst orale und anschließend subkutane Gabe von Lenacapavir alle 26 Wochen bei fast 80 % der Patienten zu einer effektiven Virussuppression (Beobachtungszeitraum von 12 Monaten). Die Effektivität der Substanz gegenüber HI-Viren mit Multiresistenz sei "beeindruckend" und erhöhe offenbar auch die Wirksamkeit von neueren Substanzen wie Fostemsavir (seit Februar 2021 EU-weit zugelassen) oder Ibalizumab (seit September 2019 EU-weit zugelassen), so die Kommentatorin (4).
Es seien aber weitere, größere klinische Untersuchungen erforderlich, auch, um die Sicherheit von Lenacapavir besser zu erforschen.
Seit August 2022 ist Lenacapavir in der EU zugelassen zur Behandlung von HIV-Patienten, bei denen sich multiple Resistenzen gegen andere Wirkstoffe entwickelt haben. In Deutschland leben circa 91.400 Menschen mit HIV.
Finanzierung: Gilead Sciences
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