Mainzer Kardiologe warnt: Auch Bodenverschmutzung eine Gefahr für Herz und Gefäße
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Erneut warnen Wissenschaftler vor den möglichen gesundheitsschädlichen Folgen von Klimawandel und Umweltverschmutzung: Sie seien eine existenzielle Bedrohung für die menschliche Gesellschaft, so ein Autorenteam um den Mainzer Kardiologen Professor Thomas Münzel im Fachmagazin „Cardiovascular Research“.
Boden- und Wasserverschmutzung, Entwaldung, übermäßige Düngung und der Einsatz von Pestiziden sowie anderen giftigen Chemikalien beeinträchtigen nach Angaben der Wissenschaftler die reiche biologische Vielfalt der Böden in der ganzen Welt, mindern die Nachhaltigkeit der Ökosysteme, verringern die Nahrungsmittelproduktion und bedrohen die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen. So erhöhten die vielen Schadstoffe, die den Boden verunreinigten, zum Beispiel das Risiko von Herz-Gefäßkrankheiten. Besonders betroffen sind Menschen in armen Ländern.
„Bodenverunreinigungen sind eine weniger sichtbare Gefahr für die menschliche Gesundheit als verschmutzte Luft", sagt Thomas Münzel. „Es gibt aber immer mehr Hinweise darauf, dass Schadstoffe im Boden die kardiovaskuläre Gesundheit durch eine Reihe von Mechanismen schädigen können, darunter Entzündungen und die Störung der biologischen Uhr."
Ursachen: kurzfristiges wirtschaftliches Denken und Gier
Die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden ist den Autoren zufolge „jedes Jahr für mindestens neun Millionen Todesfälle verantwortlich“. Mehr als 60 Prozent der „verschmutzungsbedingten Krankheiten und Todesfälle“ seien auf Herz-Gefäß-Erkrankungen wie chronisch ischämische Herzkrankheiten, Herzinfarkt, Schlaganfall und Herzrhythmusstörungen zurückzuführen. Zu den Schadstoffen im Boden, die für die menschliche Gesundheit relevant sind, gehören Schwermetalle wie Cadmium und Blei, außerdem Pestizide und Kunststoffe.
Klimawandel, Luftverschmutzung, Artensterben und Bodenverschmutzung seien letztlich die Folge kurzfristigen wirtschaftlichen Denkens und von Gier, die weder die natürlichen Systeme noch andere Menschen oder künftige Generationen respektieren, so Münzel und seine Kollegen abschließend.
Schon 2015 hatte die sogenannte „Lancet Commission on Pollution and Health“ eine Analyse der vorzeitigen Todesfälle durch Umweltschadstoffe vorgenommen. Im Fokus standen damals vor allem Luftverschmutzung in Haushalten, Wasserverschmutzung und unzureichende sanitäre Einrichtungen. Jetzt sind es besonders die Luftverschmutzung in der Umwelt und die Belastung mit Schwermetallen, die für die Übersterblichkeit relevant sind, wie kürzlich auch andere Wissenschaftler im Fachmagazin „The Lancet Planetary Health“ berichteten. Allein an Blei stürben weltweit mehr Menschen als an Malaria, so die Autoren, darunter auch der Umweltmediziner Professor Stephan Böse-O’Reilly von der LMU-München. Über 90 Prozent dieser Todesfälle ereignen sich laut einer Mitteilung in Ländern mit niedrigen oder mittleren Einkommen. In Indien zum Beispiel sei die Lage dramatisch: Dort leben viele Menschen eng zusammen, die Belastung des Wassers ist hoch, die mit Verkehrsbelastung verbundene Luftbelastung extrem groß. Im Innenraum wird oft mit Holzkohle gekocht, im Außenraum ist die industrielle Belastung durch Schadstoffe weder hinreichend reguliert noch überwacht.
Europa steht relativ gut da
In der EU hingegen sei die Umweltverschmutzung ein vergleichsweise geringes Problem, heißt es in der Mitteilung weiter. „Die Umweltbelastung in der Europäischen Union hat sich deutlich verbessert“, sagt Böse-O’Reilly, „gerade die Luftbelastung ist einerseits durch Regulierungsmaßnahmen besser geworden. Deshalb haben wir vergleichsweise weniger Todesfälle durch Umweltbelastung, schon gar nicht durch Quecksilber oder Blei, und wenn, dann durch Feinstaub in der Außenluft.“
Europa steht allerdings auch deshalb so gut da, weil sich die industrielle Produktion in Länder mit niedrigen bis mittleren Einkommen verlagert hat. „Wenn man eine Aluminiumfabrik an der Nordsee zumacht und sie in Asien wieder öffnet, wird die damit verbundene Belastung zu einem gesundheitlichen Problem der dortigen Bevölkerung“, betont Böse-O’Reilly, „die Produkte werden aber weiterhin von uns verwendet.“ Umweltverschmutzung ist mithin ein globales Problem, mit einer weitreichenden Verantwortung auch für die reichen Industriestaaten. „Wenn wir den Menschen mehr gesunde Lebensjahre schenken wollen, muss die Politik das globale Problem der Umweltverschmutzung anpacken.“
Die Umweltverschmutzung ist eng verbunden mit dem Klimawandel, weil die Luftschadstoff-Emissionen sehr viel mit dem Ausstoß von Kohlendioxid zu tun haben. Der Münchner Umweltmediziner: „Wenn wir die CO2-Situation verbessern würden, würde sich automatisch auch die Umweltverschmutzung verringern.“
Projekt PARC soll Abhilfe schaffen
Die EU will die Exposition gegenüber Schadstoffen weiter reduzieren und die Krankheitsrisikobewertung verschiedener Substanzen optimieren, indem die vorliegenden Daten aus ganz Europa harmonisiert und neue Erkenntnisse durch Studien geschaffen werden sollen. Zum Beispiel ist vielfach völlig unklar, wie der Körper auf die gleichzeitige Exposition verschiedener Schadstoffe reagiert. Dafür hat die EU unter anderem das Projekt PARC (für „Partnership for the Assessment of Risk from Chemicals“) ins Leben gerufen, an dem auch die LMU-Umweltmediziner um Stephan Böse-O‘Reilly beteiligt sind. Das PARC-Projekt ist im Mai angelaufen, wird mit 350.000 Euro gefördert und dauert sieben Jahre.
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