Leichenschau: Diskrepanzen zur Obduktion bei jedem dritten Pflegeheimbewohner
- Studien – kurz & knapp
Kernbotschaften
Eine Fallanalyse von 2278 Menschen, die im Alter > 60 Jahre gestorben waren, ergab bei jedem dritten Pflegeheimbewohner und jedem vierten außerhalb eines Heims Verstorbenen Abweichungen bei Todesarten und -ursachen zwischen Leichenschau und Obduktionsbefund. Das belegen Daten eines großen deutschen Instituts für Rechtsmedizin. Die Leichenschau sollte auch bei älteren Verstorbenen und vor allem bei Pflegeheimbewohnern kritisch erfolgen, fordern die Studienautoren. Und es sollte häufiger als bisher eine Obduktion zur Klärung der Todesart und -ursache angestrebt werden (1).
Hintergrund
Gewaltanwendungen gegenüber Patienten in Krankenhäusern und in Alten- und Pflegeheimen werden immer mal wieder einmal öffentlich. Bei Tötungen sind dies meist Serientötungen. Sie werden häufig nur zufällig entdeckt (2, 3). Tatort ist der Ort des beruflichen Wirkens des Täters oder der Täterin. Und dort werden Gewaltverbrechen zum einen nicht erwartet, zum anderen gehören Sterben und Tod zum Alltag. Umso größer ist die Bedeutung der ärztlichen Leichenschau, denn sie stellt die Weichen für die Aufdeckung von Gewaltdelikten. Gerade bei Pflegenbedürftigen aber erfolgt die Leichenschau möglicherweise unkritischer als bei älteren Menschen, die außerhalb von Einrichtungen des Gesundheitswesens sterben (1). Deshalb hat das Institut für Rechtsmedizin der Universität Mainz in einer retrospektiven Analyse eigener Fälle diese beiden Fallgruppen unterschieden.
Design
- Fallakten von Obduktionen bei über 60-jährigen Personen im Zeitraum von 2007 bis 2018
- Vergleich der Angaben zu Todesart und -ursache auf den Todesbescheinigungen mit den Ergebnissen der Obduktion
- Berücksichtigung der Gründe für die Anordnung einer Obduktion
Hauptergebnisse
- 2278 Fallakten betrafen Menschen, die zum Zeitpunkt des Todes > 60 Jahre waren.
- Zu 11,3 % waren dies Pflegeheimbewohner und zu 88,7 % Nicht-Pflegeheimbewohner.
- Bei Pflegeheimbewohnern waren hauptsächlich Stürze der Anlass für die rechtsmedizinische Untersuchung, nämlich zu 54,4 %.
- Bei Nicht-Pflegeheimbewohnern kam es vor allem nach ärztlichen Interventionen und nach Verletzungen zur rechtsmedizinsichen Klärung (jeweils 35 %).
- Bei 69,8 % der Pflegeheimbewohner und bei 73,0 % der Nicht-Pflegeheimbewohner stimmten die Todesarten (natürlich/nichtnatürlich) des Leichenschaubefundes mit dem Obduktionsergebnis überein.
- Bei jedem 7. Pflegeheimbewohner wurde aus einem natürlichen Tod gemäß Leichenschauschein ein nichtnatürlicher Tod nach Obduktion.
- Bei der Todesursache lag die Rate der Übereinstimmungen für die Pflegeheimbewohner noch etwas unter der der Nicht-Pflegeheimbewohner, nämlich bei 66,0 % vs. 73,1 %, und praktisch gleich hoch bei Nicht-Pflegeheimbewohnern, nämlich bei 73,1 %.
- Bei 25,4 % der Nicht-Pflegeheimbewohner wurde autoptisch statt einer natürlichen eine nichtnatürliche Todesart festgestellt.
- Bei 28,4 % der Gesamtgruppe blieben die Todesumstände ungeklärt, und zwar bei 25,6 % derer, die im Pflegeheim verstorben waren, und bei 28,8 % der außerhalb eines Heims gestorbenen Personen.
Klinische Bedeutung
Die Leichenschau sollte auch bei älteren Verstorbenen und insbesondere bei Pflegeheimbewohnern kritisch erfolgen, schlussfolgern die Autorinnen und Autoren (1). Es sollte häufiger eine Obduktion zur Klärung der Todesart und der Ursachen angestrebt werden. Diese aktuellen Daten legten ebenso wie frühere nahe, dass die ärztliche Leichenschau teilweise nicht lege artis erfolge. So habe beispielsweise eine Studie unter 1000 zufällig befragten Ärzten aus dem Bereich der Ärztekammer Westfalen-Lippe ergeben, dass lediglich 25 % der Ärztinnen und Ärzte die Toten bei der Leichenschau vollständig entkleideten (4).
Finanzierung: öffentliche Mittel
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