Leberkranke: Durch frühe Transplantation lebend gespendeter Teillebern gewinnen Patienten viele Lebensjahre

  • Dr. Nicola Siegmund-Schultze
  • Studien – kurz & knapp
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Kernbotschaften

Bisher galt, dass Patienten mit chronischer Lebererkrankung erst ab einem MELD-Score ≥ 15 einen Überlebensvorteil von einem neuen Organ haben, zumindest wenn die Leber von Verstorbenen stammt. Nun belegt eine große US-amerikanische Studie: Steht eine lebend gespendete Teilleber zur Verfügung, gewinnen chronisch Leberkranke schon ab einem MELD-Score-Wert von 11 viele Lebensjahre hinzu (1).

Hintergrund
In vielen Ländern und auch in Deutschland gilt: Patienten können in eine Warteliste zur Lebertransplantation aufgenommen werden, wenn die mittlere Überlebenszeit oder die Lebensqualität nach einer Lebertransplantation größer wäre als ohne Transplantation (2). Dabei wird die Dringlichkeit über den MELD-Score (Model for End Stage Liver Disease) beschrieben, eine Abschätzung der Dreimonatsmortalität von Patienten im Endstadium einer chronischen Lebererkrankung. Der MELD-Score kann Werte zwischen 6 und 42 haben, die Dreimonatsmortalität liegt dann zwischen 1 und 100 %. Bisherige Studien hatten ergeben, dass bei Spenderlebern von Verstorbenen ab einem MELD-Score von 15 mit einem relevanten Überlebensvorteil zu rechnen ist. Nun hat eine große US-amerikanische Studie die Frage untersucht, ob Leberkranke auch bei niedrigerem MELD-Score-Wert von einer Transplantation profitieren, wenn ein lebend gespendetes Leberteilstück zur Verfügung steht (1).

Design

  • Datenbasis: Scientific Registry of Transplant Recipients, Liver (SRTR)
  • Studienzeitraum: Januar 2012 bis September 2021
  • Einschlusskriterien: erwachsene Patienten mit chronischer Lebererkrankung auf der Warteliste für ein Organ (n = 116 455) oder Empfänger einer lebend gespendeten Teilleber (n = 2820)
  • Bewertung der Dringlichkeit: MELD-Na-Score, der außer Serum-Kreatinin, Bilirubin und INR (MELD) das Serumnatrium mitberücksichtigt
  • Analyseparameter: durch Transplantation gewonnene Lebensjahre und MELD-Score-Wert, ab dem ein Überlebensvorteil durch lebend gespendete Teillebern erkennbar wird

Hauptergebnisse

  • Die Studienteilnehmer waren durchschnittlich 55,1 Jahre alt.
  • Bei sehr niedrigen MELD-Na-Score-Werten (6-10) war die Sterblichkeit in der Gruppe der Wartepatienten (56 Todesfälle/1000 Patientenjahre) vergleichbar mit der von Empfängern einer lebend gespendeten Teilleber (60 Todesfälle/1000 Patientenjahre)
  • Für alle höheren MELD-Na-Score-Werte (≥ 11) war die 1-Jahres-Sterblichkeit nach Transplantation eines lebend gespendeten Teilstücks geringer als die von Patienten auf der Warteliste (Hazard Ratios [HR]: 0,66 bis 0,28).
  • Das 1-Jahres-Sterblichkeitsrisiko reduzierte sich danach bei einem MELD-Na-Score von 11-13 um 34 %, (HR: 0,66) bei einem MELD-Na-Score-Wert von 14-16 um 53 % (HR: 0,47), bei einem MELD-Na-Wert von 17-19 um 55 % (HR: 0,45) und bei einem MELD-Na von 20-26 um 72 % (HR: 0,28).
  • Der Überlebensvorteil für Organempfänger mit einem MELD-Na-Wert von ≥ 11 wird auf 15-17 Jahre geschätzt.

Klinische Bedeutung
Die Bedeutung früher Lebertransplantationen für das Überleben chronisch Kranker sei bislang unterschätzt worden, zumindest für Patienten, für die eine lebend gespendete Teilleber zur Verfügung steht, resümieren die Autoren. Eine Stärke der Studie sei die hohe Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ein Nachteil, dass sich zum Überleben von Patienten mit MELD-Score-Werten ≥ 26 keine vergleichenden Aussagen machen ließen.

Wegen der Organknappheit erhalten häufig erst Patienten mit höherer Dringlichkeit ein postmortal gespendetes Organ. In Deutschland liegt der durchschnittliche MELD-Score zum Zeitpunkt der Transplantation bei 35 Punkten (3). Dann beträgt die Dreimonatsmortalität bereits 80 % (2).

Als Schwäche der Studie kann gesehen werden, dass es keine Angaben zu Komplikationsraten bei den Teilorgan-Lebendspendern gibt, zum Beispiel Nekrosen an der Schnittstelle, Gallenlecks, Cholangitis oder Pleuraerguss. Das Mortalitätsrisiko nach Leber-Lebendspende wird auf 0,3 % bis 0,5 % geschätzt.

Die Risiken einer Leberlebendspende sind höher als bei einer Nierenspende. Das dürfte einer der Gründe sein, warum die Leberlebendspende in Deutschland nur circa 6 % der transplantierten Lebern ausmacht (4, 5).

Finanzierung: Hennepin Healthcare Research Institute, Vertragspartner des SRTR-Registers