Laut Umfrage kann einer von fünf Ärzten mit Long-COVID nicht mehr arbeiten

  • Claire Sibonney
  • Medizinische Nachricht
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Schwerwiegende Symptome, verlorene Karrieren und erodierte Einkommen: Das ist die harte Realität für Ärzte, die unter Long-COVID leiden, so das Ergebnis der ersten großen Umfrage unter betroffenen Ärzten.

Die von der British Medical Association (BMA) und der Selbsthilfegruppe Long COVID Doctors for Action durchgeführte Umfrage beleuchtet die anhaltenden Auswirkungen von Long-COVID auf mehr als 600 chronisch kranke und behinderte Ärzte mit dieser Erkrankung. Zudem beschreibt sie einen Mangel an medizinischer und finanzieller Unterstützung durch die Regierung und die Arbeitgeber im Nationalen Gesundheitsdienst (NHS).

"Wir fühlen uns verraten und im Stich gelassen", sagte Kelly Fearnley, Vorsitzende und Mitbegründerin von Long COVID Doctors for Action. "In einer Zeit der nationalen Krise, als die Beschäftigten des Gesundheitswesens aufgefordert wurden, sich zu engagieren, haben wir das getan. Als die Nation uns brauchte, sind wir aufgestanden. Wir haben unser Leben aufs Spiel gesetzt. Wir haben das Leben unserer Familien aufs Spiel gesetzt. Und jetzt, wo wir geschädigt sind, nachdem wir wissentlich ungeschützt, absichtlich und wiederholt einer biologischen Gefahr der Stufe drei ausgesetzt waren, finden wir uns in dieser Lage wieder."

Fearnley erkrankte im November 2020 während ihrer Arbeit auf der COVID-Station eines Krankenhauses. Sie ist eine von schätzungsweise zwei Millionen Menschen im Vereinigten Königreich - darunter Tausende von NHS-Mitarbeitern -, die an Long COVID erkrankt sind. Sie konnte seit fast drei Jahren nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurückkehren.

Einer von Zehn Infizierten entwickelt Long-COVID-Symptome

Weltweit sind mehr als 65 Millionen Menschen von Long COVID betroffen. Experten schätzen, dass einer von zehn mit dem Virus infizierten Personen langfristige Symptome entwickelt. Im Vereinigten Königreich ist die Wahrscheinlichkeit, dass Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen schwer an COVID-19 erkrankt waren, siebenmal höher als bei anderen Arbeitnehmern.

Die Ärzte, die an der BMA-Umfrage teilnahmen, berichteten über ein breites Spektrum von Long-COVID-Symptomen, darunter Müdigkeit, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, Nervenschäden, Gelenkschmerzen und Atemprobleme.

Zu den wichtigsten Ergebnissen der Umfrage gehört, dass 60 Prozent der Ärzte angaben, Long-COVID habe ihre Fähigkeit zur regelmäßigen Erledigung alltäglicher Aufgaben beeinträchtigt. Fast jeder Fünfte (18 Prozent) gab an, nicht mehr arbeiten zu können, während weniger als jeder Dritte (31 Prozent) eine Vollzeitstelle hat. Zum Vergleich: Vor dem Ausbruch ihrer COVID-Erkrankung war mehr als die Hälfte (57 Prozent) der Befragten vollzeitbeschäftigt - ein Rückgang um 46 Prozent.

Fast die Hälfte (48 Prozent) der Befragten gab an, infolge von Long COVID in irgendeiner Form Einkommensverluste erlitten zu haben, und fast die Hälfte der Ärzte wurde nie an eine NHS-Klinik für Long COVID überwiesen. Die Umfrage enthielt die folgenden Erfahrungsberichte von Ärzten, die mit dieser Krankheit leben:

  • Ein Arzt sagte: "Ich hätte beinahe mein Leben, mein Zuhause, meinen Partner und meine Karriere verloren. Ich habe kaum Unterstützung erhalten, um sie zu behalten. Die Auswirkungen auf meine psychische Gesundheit hätten [mich] wieder fast das Leben gekostet."
  • Ein leitender Oberarzt kommentierte: "Das Leben ist absolut erbärmlich. Jeder Tag ist ein Kampf. Ich wache erschöpft auf, die Schlaflosigkeit und die nächtlichen Schrecken sind furchtbar, da ich jede Nacht meine schlimmsten Ängste durchlebe. Jede Aktivität wie Essen, Waschen und so weiter führt dazu, dass ich mich für ein paar Stunden ins Bett legen muss. Ich kann mich nicht um mich selbst oder mein Kind kümmern, Sport treiben oder soziale Beziehungen pflegen. Ich habe keine finanzielle Sicherheit. Long-COVID hat mein Leben völlig zerstört. "
  • Ein angestellter Allgemeinmediziner sagte: "Ich kann nicht mehr arbeiten, meine Finanzen sind ruiniert. Ich hatte keinen Beschäftigungsschutz und bin jetzt arbeitslos und pleite.

Die BMA fordert unter anderem folgende Maßnahmen:

  • Finanzielle Unterstützung für Ärzte und Gesundheitspersonal mit Long-COVID
  • die Anerkennung von Long-COVID als Berufskrankheit bei Beschäftigten im Gesundheitswesen sowie eine Definition der Krankheit, die alle Symptome dieser schwächenden Krankheit abdeckt;
  • Verbesserter Zugang zu physischen und psychischen Gesundheitsdiensten, um eine umfassende Beurteilung, Untersuchung und Behandlung zu ermöglichen;
  • Besserer Schutz am Arbeitsplatz für Mitarbeiter im Gesundheitswesen, die ihr Leben für andere riskieren;
  • Bessere Unterstützung für Personen mit Long-COVID für eine sichere Rückkehr an den Arbeitsplatz, wenn sie dazu in der Lage sind, einschließlich eines flexiblen Ansatzes für Anpassungen am Arbeitsplatz.

"Man sollte meinen, dass die NHS-Arbeitgeber angesichts der Umstände, unter denen wir erkrankt sind, und des derzeitigen Arbeitskräftemangels alles tun würden, um die Rückkehr von Menschen mit Long-COVID an ihren Arbeitsplatz zu erleichtern", so Fearnley. "Die NHS-Arbeitgeber sind jedoch gesetzlich verpflichtet, nur 'angemessene Anpassungen' vorzunehmen, sodass Dinge wie eine verlängerte stufenweise Rückkehr oder Anpassungen der Schichtpläne nicht immer ermöglicht werden. Stattdessen entscheiden sich immer mehr Arbeitgeber dafür, Verträge zu kündigen".

Raymond Agius, Ko-Vorsitzender des BMA-Ausschusses für Arbeitsmedizin, machte auch die unzureichenden Sicherheitsmaßnahmen für Ärzte verantwortlich. Diese unzureichenden Maßnahmen bestehen bis heute fort, da die britischen Krankenhäuser die Maskenpflicht aufgehoben haben.

"Während der COVID-19-Pandemie waren die Ärzte bei der Arbeit exponiert und ungeschützt", sagte er in einer BMA-Pressemitteilung. "Sie hatten oft keinen Zugang zu der richtigen persönlichen Schutzausrüstung .... Es wurden zu viele Risikobewertungen von Arbeitsplätzen und insbesondere von gefährdeten Ärzten nicht durchgeführt".

Nur eine kleine Minderheit der befragten Ärzte gab an, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Infektion mit COVID-19 Zugang zu einer Atemschutzausrüstung ("respiratory protective equipment", RPE) hatten. Nur 11 Prozent hatten Zugang zu einer FFP2-Atemschutzmaske (entspricht einer N95-Maske); 16 Prozent hatten eine FFP3-Atemschutzmaske (entspricht einer N99-Maske).

Bislang hat die britische Regierung noch nicht auf die Umfrage reagiert, sondern lediglich mitgeteilt, dass sie mehr als 50 Millionen Euro investiert hat, um Long COVID besser zu verstehen.

Dieser Artikel erschien im Original in der englischsprachigen Ausgabe von Medscape.com